Project:
Contact:
Object:
NatMus 🔗
Type:
national museum
Location:
Country:
Qatar
Architect:
Jean Nouvel 🔗, Paris
Materials:
fibre-reinforced-concrete-façade
Published:
Beton Bauteile 2020-2
Pages:
82 - 87
Content:
[article]      
 

Nationalmuseum Katar

Wüstensandrose aus Beton

Der französische Architekt Jean Nouvel hat in Doha, der Hauptstadt von Katar, das dortige Nationalmuseum errichtet. Es besteht aus 539 doppelt gekrümmten und ineinander verschnittenen Faserbetonscheiben mit einem Durchmesser von bis zu 87 m.
[no english version available]
Die Auseinandersetzung mit arabischer Kultur zieht sich durch das gesamte Werk des französischen Stararchitekten Jean Nouvel, der 2008 mit dem Pritzker- Preis ausgezeichnet wurde; dieser wird gerne als „Architektur- Oscar“ bezeichnet. So steht das neue Nationalmuseum in Doha, der Hauptstadt von Katar, in einer Reihe mit der Louvre Dependance von Abu Dhabi (2017) und dem Kulturzentrum Institut du monde arabe in Paris (1987), Nouvels allererstem Bau überhaupt.
Sein aktuelles, gut 450 m x 250 m großes Bauwerk kann getrost als Architekturskulptur bezeichnet werden; es besteht aus 539 sandbraunen, diskusartigen Scheiben, die ineinander verschnitten einen Durchmesser von bis zu 87 m aufweisen. Dabei wirkt die Silhouette, als hätte „ein Tornado den Bestand eines Geschirrgeschäftes durcheinander gewirbelt“, wie es Norman Kietzmann vom Baunetz so schön treffend beschreibt.
Tatsächlich ließ sich Nouvel bei seiner Kreation von Wüstensandrosen inspirieren, mineralischen Strukturen, die bei der Verdunstungskristallisation gipshaltiger Sande entstehen. Er verteilte die blätterartigen Strukturen auf zwei ungleich große Anhäufungen, die klammerartig den alten Herrscherpalast umfassen. Die einstige Residenz der regierenden Al- Thani- Dynastie gehört ebenfalls zum Museum und wurde zu diesem Zweck aufwändig saniert und sensibel in das rd. 40 m hohe Volumen integriert. Von seiner Eröffnung an ist der Neubau zum Wahrzeichen des Hafens der katarischen Hauptstadt am Persischen Golf avanciert und braucht den Vergleich mit der Oper von Sydney oder der Hamburger Elbphilharmonie nicht zu scheuen. Der Rundgang durch das Museum beträgt beeindruckende 1,5 km und schließt als Höhepunkt einen Palastbesuch mit ein. Themen der Dauerausstellung sind Ursprung, Herkunft und Selbstverständnis sowie der Wandel von einem Beduinenstaat zur heutigen Wirtschaftsnation.
Tragflächen
Die doppelt gekrümmten Paneele aus Faserbeton (FRC = Fibre Reinforced Concrete) formen die geometrisch anspruchsvolle Gebäudehülle. Mit Hilfe verdeckt angebrachter Befestigungsanker wurden diese auf eine justierbare Stahlunterkonstruktion (SSS = Secondary Steel Structure) montiert. Diese besteht aus Längs- und Querspanten, die mit ihren geschwungenen Formen an den Flugzeugbau erinnern. Alle Paneele basieren auf „Disk Cladding Patterns“, die auf demselben statischen Prinzip fußen. Die Scheibengroßformen variieren in Durchmesser und Stärken, auch bilden ein „Boden“ und ein „Deckel“ nicht allein einen Sandrosendiskus. Vielmehr bestehen diese aus zahlreichen Segmenten, die erst auf der erwähnten SSS zu einer Gesamtfläche zusammengesetzt sind. Konstruktive Sachzwänge machten dies erforderlich und erhöhten die Elementzahl auf rd. 76.000 Stück. Für eine kostenorientierte Realisation wurden die Scheibensegmente nach rotationssymmetrischen Prinzipien bewertet und produktionstechnisch vorsortiert, um immerhin die Schalungsanzahl zu minimieren. Insgesamt wurden rd. 106.000 m² an sphärisch gekrümmten FRC- Paneelen verbaut, die alle eine Wandstärke von 40 mm besitzen. Die Entwicklung der Leitdetails für die Ausführungsplanung der Faserbetonsilhouette geschah durch das Stuttgarter Ingenieurbüro Werner Sobek. Dieses positionierte die Einbauteile zur Paneelfixierung mittels einer parametrischen Software, mit der auch die Spannweiten ermittelt und optimiert wurden. Dabei ruht die Stahlunterkonstruktion, welche die Gebäudehülle trägt, ihrerseits auf einem polygonalen Stahlgerüst (PSS = Primary Steel Structure), das aus verstellbaren Stutzen („Stubs“) mit Anschweißbolzen besteht. Eine Justagemöglichkeit und eine individuelle Platziermöglichkeit dieser Stutzen waren von großer Bedeutung für die Realisierung, da die gekrümmten Träger der SSS der Kugelkalottengeometrie der diskusförmigen Elemente folgen.
Kuchenstücke
Leicht ist man versucht, darüber hinwegzusehen, aber natürlich sind die Faserbetonscheiben im Geiste einer Sandrose die camouflageartige Verkleidung einer Glasfassade, die sowohl die thermische Trennung als auch die Regendichtigkeit sicherstellt. Auch durchdringen die diskusartigen Scheiben einander immer wieder, so dass nur in ganz wenigen Fällen ein FRC- Paneel als vollständige Scheibe ausgeführt ist. Die meisten muss man sich als flache Kuchen vorstellen, von denen ein mehr oder weniger großes Stück fehlt. In einem Fall wird mit diesem Ausschnitt eine Ecke der Glasfassade umschlossen, ein andermal durchdringen sich zwei Scheiben.
Weltrekord
2011 erhielt der südkoreanische Generalunternehmer Hyundai den Zuschlag für die Gesamtbaumaßnahme durch das Büro Jean Nouvel, auch auf Basis der vom Ingenieurbüro Werner Sobek entwickelten Leitdetails. Der Planungsprozess erfolgte auf Basis eines BIM- Modells (Building Information Modelling), in das alle beteiligten Fachplaner und ausführenden Firmen ihre aktuellen Planungs- und Bauzustände kontinuierlich einspeisten. Zur Anwendung kam dabei die BIM- Software „Digital Project“ von Gehry Technologies. Dabei war das Nationalmuseum von Katar während seiner Bauzeit nicht nur wegen seiner beachtlichen Größe, sondern auch wegen seines außergewöhnlich hohen Detaillierungsgrads (LOD 400) tatsächlich das weltgrößte BIM- Modell.
Robert Mehl, Aachen