Project:
Contact:
Object:
Camp's 🔗
Type:
mustard factory
Location:
Oudenaarde [satellite]
Country:
Belgium
Architect:
Materials:
precast-concrete elements
Published:
opus C 2/2020
Pages:
26 -33
Content:
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Camp's Senffabrik, Oudenaarde/B

Revolutionärer Senf

Die Produktionsanlage des Senfherstellers Camp's im belgischen Oudenaarde zeigt eine Formensprache, die an die Revolutionsarchitektur des ausgehenden 18. Jhd. erinnert. Der Betonbau gibt sich nach drei Seiten geschlossen und nach Süden offen ins Grüne.
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Spricht man von Revolutionsarchitektur, meint man eine Frühphase des Klassizismus, zur Zeit von Napoleon Bonapartes, deren Hauptvertreter Claude- Nicolas Ledoux und Étienne- Louis Boullée waren. Der vor allem philosophisch diskutierte Baustil verband die Idee von klaren Geometrien mit ersten Überlegungen zur Ergonomie für einen funktionalen Nutzen der Arbeiter. Natürlich hatte eine barocke Ästhetik dabei noch immer einen starken, formalen Einfluss. Leider geriet der Baustil im Zuge der Restauration mit dem Neuerstarkens der alten Kräfte schnell in Vergessenheit. Seine wegweisenden, humanen Ideen wurden erst mit der Moderne im 20. Jhd. wiederentdeckt.
"Ora et labora"
Ben Decock, heutiger Inhaber von Camp's Senffabrik ist studierter Psychologe, der viele Jahre in der Administration von Lebensmittelkonzernen tätig war. Die kinderlosen Vorbesitzer Albert und Robert Van Camp verkauften 2010 den 1905 gegründeten Familienbetrieb an den interessierten Quereinsteiger. Dieser schätzt an seiner neuen Lebensaufgabe die tägliche Herstellung eines realen Produktes. Diese Authentizität lebt er mit seiner kleinen Firma aus gerade einmal acht Mitarbeitern, in der er tagtäglich selber an den Kochmaschinen steht. Schnell stellte er fest, dass der alte Standort von der technischen Ausstattung, wie seinen Ansprüchen an die Gestaltung eines Arbeitsplatzes nicht mehr entsprach. Daher beauftragte er das Architektenpaar Saar Meganck und David Dhooge mit einem Neubau in einem Industriegebiet westlich von Oudenaarde. Hinsichtlich der Ausführung gab er ihnen eine Carte Blanche und wünschte sich allein einen "meditativen Arbeitsort". Ein Platz sollte es sein, an dem die handwerkliche Tätigkeit ganz im Vordergrund steht. Er sollte dieser Würde verleihen und durch eine sinnfällige, produktionsbezogene Abstimmung mit der Architektur eine zusätzliche Aufenthaltsqualität erhalten. Decock wünschte sich Analogien zu einem Kloster und der aktiv gelebten Einstellung "ora et labora" - Bete und Arbeite. Er wollte, dass aus der Architektur die Kraft geschöpft wird, besonders gute Arbeit zu leisten.
Von der Waagerechten in die Senkrechte
Saar Meganck und David Dhooge haben sich sehr umfassend der Senfproduktion und den damit verbundenen Abläufen genähert und die Arbeitsschritte in einer Art Praktikum nachvollzogen. Schnell erkannten sie, dass ein Großteil der körperlichen Arbeit im Heben und Bewegen von Schüttgut besteht. Sie folgerten, dass das doch leichter die Schwerkraft übernehmen kann. So ordneten sie die Vorratssilos in einem kleinen Turmaufbau auf dem Flachdach an, verlegten das Abmischen und das Kochen ins erste Obergeschoss und platzierten allein das Abfüllen und den Versand im Erdgeschoss. Darüber hinaus erkannten Sie, dass das Abfüllen der Ware in verschiedene Gebindegrößen, das Verpacken, Lagern sowie das Bereitstellen derselben eine logistische Kreisbewegung beschreibt. Tatsächlich wird die kleine Fabrik überwiegend nur vom firmeneigenen LKW angefahren. Über ihn erfolgt sowohl die Anlieferung der Zutaten, wie die Auslieferung der fertigen Ware an den Großhandel. Insofern erachteten sie es als unnötig, den Warenein- und -ausgang voneinander zu trennen, also separate Verladerampen zu schaffen, sofern hinter der Verladestation die Ware kreuzungsfrei zirkuliert.
Würde der Arbeit
"Die meisten Produktionsstätten für Lebensmittel sind pragmatisch nach Erfordernissen der Hygiene organisiert!", erklärt Ben Decock "Sie folgen in der Regel dem Haus-im- Haus- Prinzip: Es gibt eine äußere Halle mit Verwaltung und allen Nebenräumen. In dieser befindet sich eine zweite, mit einem restriktiv gesicherten Hygienebereich. Den kann man natürlich leichter sauber halten, allerdings sehen dann die Arbeiter während einer Schicht kein Tageslicht, sondern nur weiße Kacheln!" Diese Idee behagte Decock gar nicht. Gerne gibt er zu, dass ihm sein stark essighaltiges und damit auch desinfizierend wirkendes Produkt durchaus half, den Auflagen des Gesundheitsamtes zu entsprechen. Die offene Produktion hat aber auch den Effekt, dass überall, selbst in den wenigen Büros, immer ein subtiler Essiggeruch vorherrscht.
Sandwich im Lieferservice
Die wesentliche Konstruktion der kaum 600 m² großen Kleinfabrik unterscheidet sich nicht von einem klassisch-konventionellen Hallenbau in Betonfertigteilbauweise: Entsprechende Stützen wurden auf eine Bodenplatte gestellt, Horizontalträger und Hohlraumdecken dann in diese eingehängt, so dass ein dreidimensionales Pfosten/Riegel- Gitter entstand. Allerdings hängten daran außen die Architekten eine 31 cm starke Sandwichfassadenkonstruktion, die aus einer 12,5 cm starken Innenschale, einer starken 10 cm Hartschaumdeckung und einer 8,5 cm starken Außenschale besteht. Obwohl von vornherein der Einsatz der Fertigteile als Sichtbetonelemente gedacht war, stellten die Planer keine erhöhte Anforderungen an ihre Oberflächenqualität. Diese wurde weder besonders poliert, noch gesandstrahlt oder anschließend hydrophobiert. Auch kam nur ein regulärer Beton ohne besondere Weißpigmente oder entsprechender Zuschläge zum Einsatz. Für den Bauprozess ausgesprochen günstig war der Umstand, dass der Fertigteilhersteller Seveton Prefab Systems sein Werk quasi um die Ecke hatte und die Bauelemente "on demand" anliefern konnte. Diese produzierte er im Auftrag der bauausführenden Willy Naessens Group, die zudem als Generalunternehmer fungierte.
Zyklopenmauerwerk
Anstatt die Fassadenbauteile in Fensterachsen zu zerlegen, sind die Elemente an den sichtbaren Fugenstößen orientiert. Die Fensteröffnungen sind folglich immer von vier verschiedenen Betonbauteilen umgeben. Scheinfugen legten die Architekten hingegen nur dort an, wo echte Trennungen konstruktiv keinen Sinn machten, etwa im Torbogenscheitel. Denn natürlich wurde dort ein durchgehender Sturz angelegt. Abschließend ist feststellen, dass die Betonelemente immer dann zu einem Großbauteil mit Schattenfugen zusammengefasst wurden, wenn dies ihre Befestigung an der Tragkonstruktion erleichterte. Denn die an antikes Zyklopenmauerwerk erinnernden, großformatigen Betonbauteile folgen, wie bereits erwähnt, in ihrem Rhythmus nicht dem Gebäuderaster.
Gut bedacht
Auch das Fabrikhallendach ist eine Betonkonstruktion aus Hohlraumplatten. Sie erhielten eine Aufdämmung und wurden mit einer weißen PE- Bahn abgedichtet. Eine niedrige Attika, Flämisch "Opstand" genannt, begrenzt seitlich das Flachdach. Sie besteht aus horizontal angeordneten Betonfertigteilen, die zugleich den oberen Abschluss der Außenwände bilden. Zweifellos ist dieser markante, zweiteilige Fries ein Detail, das den Herren Ledoux und Boullée sicher gefallen würde.
Robert Mehl, Aachen