Project:
Contact:
Object:
Estádio do Maracanã
Type:
soccer stadium
Location:
Rio de Janeiro [satellite]
Country:
Brazil
Architect:
roof: sbp 🔗, Stuttgart
Materials:
steel, PTFE-foil
Published:
DBZ-Stadionheft 2014
Pages:
10 - 15
Content:
[article]      [image gallery]      
 

Estádio do Maracanã in Rio de Janeiro

Hexenkessel mit neuem Deckel

 
[no english version available]
Bis heute hält das Maracanã- Stadion den Weltrekord der höchsten Besucherzahl bei einem Fußballspiel: Gut 199 854 Menschen sahen 1950 hier das WM- Endspiel zwischen Brasilien und Uruguay. Da es die Gastgeber verloren, ist es gleichzeitig die größte Niederlage in der brasilianischen Fußball- Geschichte. Trotzdem ist natürlich die Arena der Inbegriff für Fußball schlechthin und steht seit Jahren unter Denkmalschutz. Für die Weltmeisterschaft musste der altehrwürdige Hexenkessel jedoch kernsaniert werden. Die Arbeiten begannen im August 2010 und wurden planmäßig für den Confederations- Cup letztes Jahr im Mai abgeschlossen. Generell galt es das Maracanã- Stadion vollständig zu modernisieren und an die heute geltenden FIFA Empfehlungen anzupassen. Mit der Denkmalpflege einigte man sich dahingehend, dass nur die Außenfassade als relevanter Bestandteil des Stadtbildes zu erhalten sei. Sowohl die alten Ränge wie auch das Dach durften ersetzt werden. Für die Neuanlage der Ränge war der brasilianische Architekt Daniel Fernandes verantwortlich. Das Dach, das in ersten Planungen eigentlich nur vom Ende des Betonkragdachs in Leichtbauweise verlängert werden sollte, wurde von dem Stuttgarter Ingenieurbüro schlaich bergermann und partner (sbp) entwickelt und realisiert.
Die Ränge
Genauso wie in früheren Jahren besitzt das Stadion nur zwei vollständig umlaufende Ränge. Im Vergleich zu ihren Vorgängern sind sie etwas steiler und kompakter ausgelegt. Das heißt, es gibt mehr Sitzreihen als früher und die Kapazität wurde so deutlich auf 78 800 Zuschauer erhöht. Die Arena ist etwas „dazwischen“, mehr ein Kreis denn ein Oval, und die so entstehenden lang gestreckten „Zwickel“ an den beiden Längsseiten, also nach Osten und nach Westen, wurden mit großzügig angelegten Lobbys, Lounges und Fluren gefüllt. Aus Bestandsschutzgründen galt es den bisherigen Haupteingang weiter als solchen zu nutzen. Äußerlich gut erkennbar ist dieser durch eine gewaltige, recht steile Rampe, die vorzugsweise von Gabelstaplern genutzt wird, um die oberen Stadionebenen mit Waren zu beschicken. Gleichzeitig dient der stufenfreie, jedoch vollkommen auf Stützen stehende Aufgang auch als Notausgang des Oberranges. Mit dem Austausch der Ränge ging auch eine Erneuerung der darunter liegenden Innenraumflächen einher.
Das Ringseildach
Mehr als bemerkenswert ist das neue textile Stadiondach, das über eine ausgefeilte Stahlseilkonstruktion über allem zu schweben scheint. Dessen Spannweite beträgt 68 m vom äußeren Rand bis zur ovalen, inneren Öffnung, die immer noch 160 x 122 m misst. Man muss sich die Dachkonstruktion vorstellen wie das Rad eines Fahrrades, das deckelartig auf einer großen Schüssel liegt. An seinen Speichen ist eine Glasfasermembran mit Polytetrafluorethylen (PTFE- Beschichtung) befestigt, die vor Regen und Sonne schützt. Während bei einem Fahrrad die Speichen alle in einer Nabe zusammenlaufen, befinden sich hier die drei inneren Zugringe. Insgesamt verspannen ringsum 60 radiale Seilbinder (Speichen) die jeweils auf den bestehenden Gebäudachsen liegen, die Zugringe mit dem umlaufenden Druckring und halten das Dach somit in der Schwebe. Bei einem Fahrradreifen werden die inneren Zugkräfte in der Felge kurzgeschlossen, auch hier gibt es einen solchen Druckring. Dieser – und das war hier die besondere Herausforderung – sollte so unauffällig wie möglich sein, denn er durfte keinesfalls die äußere Erscheinung des Stadions verändern. Im Grunde sollte das neue Dach flach auf der alten Stadionfassade liegen, quasi wie ein Deckel auf einem Topf. Die Ingenieure von schlaich bergermann und partner konzipierten hierfür einen umlaufenden, aus 60 Einzelteilen bestehenden Stahlring, zusammengesetzt aus einem rund 1 m hohen und 2 m breiten Rechteckhohlkasten, den sie an allen Gebäudeachsen identischer Anzahl auf meist horizontal frei verschieblichen Auflager legten. Errichtet wurde die Seilkonstruktion mittels eines „Big Lifts“. Hierzu wurde mit hydraulischen Pressen und Litzenhebern simultan an allen Stahlseilachsen gezogen, bis die exakt berechneten Kräfte und die Geometrie (Dachhöhe) erreicht waren. Danach fixierten alpine Monteure die PTFE- Glasfasermembran an dem Seiltragwerk. Polytetrafluorethylen ist die chemische Bezeichnung für den Markennamen Teflon®. Aus der heimischen Küche bekannt, zeichnet sich das Material vor allem durch seine Glätte und Widerstandsfähigkeit aus. In schwindelnder Höhe, gut 30 m über dem Spielfeld, zogen die Monteure die Textilie von außen zu dem innersten Zugring ein.
Photovoltaik
Die flache Oberseite der 2 m breiten äußeren Druckrings wurde durch eine aerodynamisch geformte und später verkleidete Unterkonstruktion auf über 4 m verbreitert, und anschließend belegte man diese umlaufend mit Photovoltaikelementen. Der so gewonnene Strom reicht freilich nicht ansatzweise dazu aus, das Stadion mit Strom zu versorgen. Die Ingenieure von schlaich bergermann und partner sowie der Bauherr, der brasilianische Staat, wollen es als Symbol des Aufbruchs in Richtung nachhaltiger Energieversorgung verstanden wissen.
Das Zahlenwunder
Obwohl mit den neuen Rängen die Stadionkapazität deutlich auf 73 531 erhöht wurde, stellt sich natürlich die Frage, wie man schon vor 64 Jahren die knapp 200 000 Fußballfans dort hineinbekommen hat. Die Antwort lautet: damals waren noch keine Sitze installiert und es gab ausschließlich Stehplätze. Dieser Umstand lässt vermuten, dass der eingangs erwähnte Rekord sicher noch weitere 64 Jahre Bestand haben wird.
Robert Mehl, Aachen