Project:
Contact:
Object:
St Lambert chapel
Type:
church
Location:
Merzenich-Morschenich [satellite]
Country:
Germany
Architect:
Paulssen + Schlimm 🔗, Aachen
Materials:
Published:
baublatt 08/2025
Pages:
32 - 34
Content:
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Aussergewöhnlicher Kirchenbau

Wie aus einem Kranich im Kopf eine Kapelle erwächst

Das Zentrum von Morschenich- Neu, einer Ortsgründung im Zuge der Umsiedlungen am Hambacher- Forst im Rheinischen Braunkohlerevier, bildet die Lambertuskapelle. Die Entwurfsidee basiert ursprünglich auf einem Origami- Kranich. Bewusst wählten die Architekten Paulssen + Schlimm diese neutrale Metapher. Der Sakralbau, an den sich ein Friedhof anschließt, soll allen Konfessionen offenstehen.
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Die Bilder von der Räumung des Hambacher Forstes sind noch sehr präsent. Sie entstanden im September 2018 beim Ausbau des Hambacher Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier bei Köln. Am Ende ist es nicht zur Rodung des fast 10 Kilometer langen und kaum zwei Kilometer breiten Waldstücks westlich von Kerpen gekommen. Doch weil die Vorbereitung der geplanten Umsiedlung der betroffenen Gemeinden viel Zeit erforderte, war diese längst abgeschlossen als die Entscheidung zum Walderhalt fiel. Eine der Gemeinden ist Morschenich- Neu. Der Namens- Sufix wurde bewusst gewählt, damit der Ort im Alphabet nicht die vertraute Position wechseln muss. Die Neugründung ist ein östlicher Vorort von Merzenich, das wiederum zu Düren gehört. Tatsächlich nimmt sich Morschenich- Neu mehr wie ein Neubaugebiet aus, dessen einzige Zufahrt über ein kleines Einkaufszentrum erfolgt, das wiederum an einer ebenfalls neu angelegten Ortsumgehungsstraße von Merzenich liegt.
Städtebaulich ist Morschenich- Neu schwer zu beschreiben. Es ist anzunehmen, dass das zuständige Bauamt bei der Genehmigung der zahlreichen Einfamilienhausentwürfe zur Großzügigkeit angehalten war, um den Vertreibungsschmerz zu mildern. Jedenfalls zeichnet sich die Siedlung durch eine auffallende Durchmischung von Fassadenarten und der Dachformen aus.
Außergewöhnliche Architektur
Das neue emotionale Zentrum von Morschenich- Neu bildet die Lambertuskapelle der Aachener Architekten Paulssen + Schlimm. Der auf einem rautenförmigen Grundriss basierende Sakralbau wird dominiert von einem keilartig spitz nach oben ragenden, 21 Meter hohen Glockenturm. Dieser ist als neue Landmarke über die Felder hinweg auch von fern gut zu erkennen. Tatsächlich räumen die Architekten ein, dass sie bei ihren ersten Entwurfsüberlegungen für den Kirchbau zunächst an einen Origami- Kranich gedacht haben. Im Zuge der weiteren Projektausarbeitung und dem Finden eines realisierbaren Baukörpers, in dem Räume sinnvoll angeordnet werden können, entwickelte sich die Gebäudeform weg von einem gefalteten Vogel hin zu der bekannten Papierschiffchenform. Diese formale Entwurfsmodifikation war für die Architekten durchaus akzeptabel, da sie in der Schiffsform ebenfalls einen biblischen Bezug – nämlich den zur Arche Noah – erkannten.
Der Grundgedanke zur Kranichfigur war tatsächlich überkonfessioneller Natur, da sich an den Sakralbau auch ein neuer Friedhof der Ortschaft anschließt, der bewusst allen Konfessionen offen stehen soll. Entsprechend weist der Kirchbau neben dem eigentlichen, an der katholischen Liturgie orientierten Andachtsraum, einen großen Speiseraum mit Küchenzeile auf. Dieser wurde insbesondere geschaffen, damit andere Religionen hier ihre obligaten Totenmahle abhalten können. Die katholische Gemeinde nutzt diesen Mahrzweckraum überwiegend als Ort der Begegnung und zum Vorbereiten von Speisen für ihre verschiedenen Feierlichkeiten.
Getrennt ist dieser kleine Multifunktionssaal vom eigentlichen Kirchenraum durch einen langen, quer durch das Gebäude laufenden Gang, über den beide Räume auch erschlossen sind. Dieser Verbindungsgang kann sowohl von der Straßen-, wie auch von der rückwärtigen Friedhofsseite her betreten werden. Der Kapellenraum selbst besitzt zudem zwei direkte Eingänge – von der Straße und vom Friedhof.
Dreieckiger Kapellenraum
Durch den Verbindungsgang, der den rautenförmigen Grundriss fast mittig an seiner breitesten Stelle durchschneidet, ergibt sich für den eigentlichen Andachtsraum ein dreieckiger Grundriss. Der Mehrzweckraum hat dagegen eine trapezförmig Grundfläche. Die spitze Ecke, die hier für einen dreieckigen Grundriss in vergleichbarer Größe des Kapellenraums fehlt, bildet den Sockelbereich des Kirchturms. Dieser wird aber von außen – abgesehen von seiner schieren Höhe – nicht weiter betont. Die gleichmäßige Putzfassade zieht sich durch bis zur östlichen Gebäudeecke, in der der Kirchbau auch seinen höchsten Punkt hat.
Die dreieckige Anlage des Andachtsraums bezieht sich auf die Trinität des christlichen Glaubens (Vater, Sohn und heiliger Geist). Der spirituelle Ansatz findet sich zudem in einem Dachoberlicht oberhalb des Altars wieder. Bei entsprechendem Sonnenstand und Wetterverhältnissen sorgt es dafür, dass der Altar im wahrsten Wortsinne hell erleuchtet ist. Nach Süden, zur Straße hin, findet sich in dem neun Meter hohen Kapellenraum eine gläserne Ecknische, in der eine Figur vom Namenspatron Sankt Lambertus steht. Sie wurde aus der alten Kirche mitgenommen. Bei den Fenstern dieser Nische handelt es sich um wiederverwendete Bleiglasscheiben des Glaskünstlers Ludwig Schaffrath. Sie stammen aus einer anderen, entwidmeten Kirche und waren zwischenzeitlich vom Bistum Aachen ausgebaut und eingelagert worden. Diese Schaffrath- Fenster weisen zahlreiche, nach innen orientierte Glaspyramiden auf, die prismenartig das Licht brechen. So wird die Ecknische diffus aber hell ausgeleuchtet und die hier platzierte Heiligenfigur in ein besonderes Licht getaucht.
Baukonstruktion
Der Rohbau des Sakralbaus ist eine Ortbetonkonstruktion. Tatsächlich war die Kapelle zunächst sogar in kerngedämmter Sichtbetonbauweise geplant. Aus Kostengründen wurde sie aber nur mit einer Außendämmung versehen und darauf eine Putzfassade appliziert. Tatsächlich in Sichtbeton ausgeführt wurden die Innenwände des Kapellenraums. Bewusst hatten die Architekten in der Ausschreibung hier auf eine Anforderung in Sichtbetonqualität verzichtet, weil sie so das Thema des menschlich Fehlbaren visualisieren wollten. "Leider" fühlte sich jedoch das ausführende Bauunternehmen bei diesem Detail an der Ehre gepackt, weshalb dieser formale Wunsch nicht gelang: So weist die fertige Betoninnenwand keine nennenswerten optischen Mängel auf. Ein Umstand, den die Planer aber durchaus akzeptieren konnten.
Das Dach wurde mit Stahlblechen und einer darauf platzierten Dämmung realisiert. Die der Dachkrümmung folgenden Bleche liegen wiederum auf durchlaufenden Doppel- T- Trägern auf, die quer zur Dachneigung angeordnet sind.
Von unten sichtbar sind sowohl im Kapellenraum, über dem Verbindungsgang und auch im Mehrzwecksaal Abhangdecken aus Gipskarton. Darin sind technische Einheiten wie Deckenstrahler oder Akustikpaneele eingelassen. In die Deckenfläche oberhalb des Altars wurde zudem ein kreisrunder Ausschnitt für das bereits erwähnte Oberlicht eingelassen, dessen aufgehende zylindrische Leibung ebenfalls mit Gipskartonplatten geschlossen wurde.
Die zwei Glocken der mittlerweile abgerissenen Lambertuskirche in Alt- Morschenich wurden schließlich in den neuen Sakralbau überführt und um eine neue Glocke ergänzt. So bildet das Geläut nunmehr einen wohlklingenden Dreiklang – einen Akkord.
KiTa in der Bauflucht
Gleich neben der Lambertuskapelle, nur durch einen schmalen Parkplatz getrennt, schließt sich die Kindertagesstätte der Gemeinde an. Auch wenn bei genauerem Hinsehen die Detailsprache der Architektur eine andere ist, bilden der Sakralbau und der Kinderhort eine formale Einheit, die optisch die vorgelagerte Straßenkreuzung nach Norden hin schließen.
Bischof weiht Kapelle zur Kirche
Am 4. Februar 2024 hat der Aachener Bischof Helmut Dieser die Lambertuskapelle offiziell eingeweiht. Er zeigte sich sehr angetan von dem neuen Sakralraum und erhob die Kapelle in den Stand einer Kirche. Damit können in dieser neuen Kirche von Anbeginn an alle katholischen Sakramente gespendet werden.
Robert Mehl, Aachen
https://www.baublatt.ch/baupraxis/architektur-wo-ein-kranich-als-idee-fuer-eine-kappelle-dient-37337