Project:
Contact:
Object:
Urschel Wall Building Machine
Type:
construction machine
Location:
Valparaiso [satellite]
Country:
USA
Architect:
Materials:
lean concrete
Published:
baublatt 21/2021
Pages:
44 - 47
Content:
[article]      
 

Urschel Wall Building Machine von 1941

Urahn des Betondrucks

Derzeit fasziniert der 3D- Druck von ganzen Häusern nicht nur die Bauindustrie. Dabei ist die Idee, automatisiert aus weichem Beton schalungsfrei Wände zu erstellen, nicht neu: Schon 1941 hat William E. Urschel eine entsprechende Maschine in den USA zum Patent angemeldet.
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Am 24. Juli 2021 wurde im nordrheinwestfälischen Beckum von der Unternehmergesellschaft Hous3Druck das erste deutsche Wohnhaus unter Anwesenheit hochrangiger Politiker eingeweiht, dessen Rohbau vollständig mit einem 3D- Drucker aus Spritzbeton vor Ort erstellt wurde. So innovativ und zukunftsweisend – gerade mit dem Blick auf den wachsenden Fachkräftemangel – das Projekt auch sein mag, so gab es auch dafür bereits technische Vorläufer.
1941 meldete der Erfinder und Unternehmer William E. Urschel, ansässig in Valparaiso im US- Bundesstaat Indiana, seine "Wall Building Machine" zum Patent an, das ihm laut Patentschrift am 25.1.1944 erteilt wurde. Sogleich begann er mit dem Bau eines Demonstratorgebäudes auf dem damaligen Firmengelände der Urschel Laboratories Inc. in Valparaiso.
Urschel war kein kleiner Tüftler, der in einer Garage abwegigen Ideen nachhing: 1910 hatte er bereits mit dem "Gooseberry Sniper" eine Maschine erfunden, die Stengel und Stacheln einer Stachelbeere zuverlässig entfernte und damit den Grundstein für einen bis heute existierenden Weltkonzern legte. Die Urschel Laboratories sind auch gegenwärtig einer der führenden Hersteller von industriellen Schneidemaschinen für Lebensmittel. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Kartoffelchips, die bei dem geneigten Leser im Schrank stehen, auf einer "Urschel" entstanden sind.
Funktionsweise
Die "Urschel Wall Building Machine" arbeitete ähnlich einem Fleischwolf. Es gab einen großen Trichter, in den Magerbeton mit geringer Korngröße eingefüllt wurde. Darunter saß eine rotierende Walze, die den Beton nachführte und verdichtete. Unterstützt wurde diese durch ein Löffelwerk, das schaufelartig den Betonbrei vom Trichtermund gegen die vorwärts drehende Trommel drückte. Der Prozess hatte überdies den Vorteil, dass – sofern der Nachschub einmal stockte, was bei einer Befüllung von Hand durchaus vorkam – der Maschinenvortrieb automatisch aussetzte.
Während an der Oberseite die soeben aufgebrachte Magerbetonwulst durch die besagte Walze geglättet wurde, geschah dies an ihren Flanken über zwei rotierende Stahlscheiben. Diese erinnern in ihren Arbeitsweisen an Reibebretter, die die vertikalen Flächen homogen verdichteten. Subtil verweist die Mechanik auch auf die technische Verwandtschaft zu den anderen Produkten des Herstellers, den Schneidemaschinen. Die Höhe des jeweils aufgebrachten Betonstrangs entsprach dem Radius von 7 Inch (= 17,78 cm) dieser rotierenden Seitenscheiben.
In der Patentschrift hat Urschel seiner "Wandbaumaschine" noch eine Spule zugedacht, von der ein Bewehrungsdraht mit dem Fortschreiten des Apparates langsam abgewickelt werden soll. Dieses Bauteil ist in den Videos nicht zu erkennen. Es ist davon auszugehen, dass von seiner Verwendung abgesehen wurde, da das Abrollen des im Video erkennbaren, fingerdicken Armierungsdrahtes sicherlich an seinem zu großen Elastizitätsmodul scheiterte.
Nichtsdestotrotz wurde jede Betonlage mit einem Armierungseisen bewehrt, der statische Effekt dürfte mit dem eines umlaufenden Ringankers vergleichbar sein. Zum Einbringen desselben wurde mit der Walze zusätzlich eine Nut in die Wulstoberseite eingepresst. Das eigentliche, sicherlich von Hand erfolgte Einlegen wird nicht in den Videos gezeigt, wohl aber das anschließende Vergießen des Stahls mit dünnflüssigem Beton. Nunmehr wurde mit einem Hebel die Maschine um eine Schichthöhe angehoben und ein neuer Wulstring betoniert und dabei mit einer Gleitkufe der flüssige Beton über der Armierung glatt gestrichen.
Ritterburg
Das allererste mit der Maschine erstellte Bauwerk war ein schlichter zylindrischer Baukörper. Es handelte sich um einen eingeschossigen Schuppen mit einem großen Tor und einem Flachdach, dessen Holztafeln auf horizontalen Holzpfetten ruhte, die in Mauerwerksaussparungen auflagen. Oberhalb des Flachdaches besaß der Bau eine Attika, die mit ihren Höhenversprüngen an Zinnen einer Ritterburg erinnerte.
Der kreisförmige Grundriss ergab sich aus einer konstruktiven Pragmatik: In der Mitte stand ein Mast, der höher als die angestrebte Bauhöhe war. Daran war mit einem Ausleger die "Wall Building Machine" montiert. Am Mast selber befand sich der Hebelmechanismus zum Anheben der Apparatur für das Anlegen der nächst höheren Wulst.
Begonnen wurde selbstredend an der Türleibung (man wählte dessen rechte Seite), die Wandfertigung erfolgte entsprechend gegen den Uhrzeigersinn. Angesetzt wurde eine neue Wulst mit einem Schalungsbrettchen in Mauerbreite, das ein Arbeiter mit der Hand in die Leibung drückte. Die Fertigung begann und sobald die Maschine etwa um ihre eigene Länge fortgeschritten war, nahm der Arbeiter das Brett weg und der Maueransatz trug sich selber.
Für die Ausbildung des Türsturzes wurde mit einer langen Holzdiele gearbeitet, die zwischen beiden Leibungswangen spannte. Über diese fuhr die Wandmaschine hinweg – wie ein Auto über eine Brücke – und ließ dabei ihren wohlgeformten Mauerwulst hinter sich. Der Autor geht davon aus, dass zuvor die Arbeiter auf diese Holzdiele ein Armierungseisen legten, das bei dieser "Überfahrt" einbetoniert wurde. Um die beiden Torflügel zu halten, aber auch aus formalen Gründen wurden die Torleibungen mit Lisenen verstärkt. Hierzu wurde an die beiden Wandenden jeweils vier Betonlagen hohe, C-förmige Stahlschalungen gestellt. Diese befüllt man ebenfalls mit Stampfbeton, den man mit einem Besenstiehl verdichtete. Nach Fertigstellung eines vertikalen Leibungsabschnittes, nahm man die Stahlschalung weg und setzte sie wie eine Betonwulst auf den soeben ausgeschalten Betonblock und wiederholte die Prozedur. Die Auflager der hölzernen Dachpfetten wurden unmittelbar nach Betonage der jeweiligen Betonschicht mit einer Blechlehre markiert und dann mit einem hobelartigen Handwerkzeug freigeraspelt. Das Video seines Baus ist auf der unten aufgeführten Website des baublatts zu sehen.
Eiförmiges Iglu
Der zweite Demonstrator, der unmittelbar neben dem Ersten entstand, trug den Namen "Eskimo House", wobei das Objekt eher an ein gigantisches Ei, denn an ein Iglo erinnerte. Das Video mit Slapstickelementen seines Baus ist ebenfalls auf der unten genannten Website des baublatts zu sehen.
Seine konstruktive Weiterentwicklung gegenüber dem Vorgängerbau ist offensichtlich: Es ist anzunehmen, dass Urschel unzufrieden war mit der improvisierten Flachdachlösung aus Holz, weshalb er auf Basis seines neuen Konstruktionsprinzips einen kuppelartigen Gebäudeabschluss ersann.
Seine Wall Building Machine wird erneut von einem zentralen Mast aus mittels eines Auslegers geführt, doch kann dieser nunmehr nicht nur senkrecht nach oben angehoben, sondern auch noch geneigt werden. Dadurch kippt die Wandwulst mit jeder Schichtlage ein Stück weiter nach innen und bildet im Gebäudeschnitt einen polygonalen Kreisbogen aus. Mit der Maschine werden die umlaufenden Steinwülste bis zu einer Neigung von geschätzt 75° angelegt. Darüber hinaus macht die senkrecht wirkende Schwerkraft eine Stampfbetonnachführung in der Wandbaumaschine unmöglich. Übrig bleibt eine im Durchmesser gegenüber dem Grundriss deutlich reduzierte, oberlichtartige Dachöffnung. Diese wird mit einem Deckel aus Stampfbeton verschlossen. Hierzu wurde unmittelbar an die umlaufende Innenrand- Unterkante eine flache Deckenschalung errichtet, auf die man – einfach ausgedrückt – einen großen Haufen des weichen Materials schüttete. Aus der Mitte des Oberlichtes ragte Stahlrohr, in das man nunmehr eine Art Kugelform- Lehre steckte. Sie war aus einer hölzernen Richtlatte geschnitten, deren Unterseite kreisförmig ausgesägt war. Ein Arbeiter fuhr damit den Stampfbetonhaufen in einer Kreisbewegung ab und modellierte so aus dem Haufen ein gleichmäßiges Kugelsegment. Das runde Metallrohr in der Kuppelmitte verblieb auch nach Fertigstellung in dem Bauwerk und diente u.a. bei der feierlichen Einweihung als Fahnenhalter.
Zweigeschossiges Haus
Unmittelbar neben den beiden ersten Gebäuden entstand in der Folge ein dritter, diesmal zweigeschossiger Versuchsbau, der überdies auch linear verlaufende Wandabschnitte aufweist. Dessen Bau ist Gegenstand eines dritten Films, der uns freundlicherweise von den Urschel Laboratories zur Verfügung gestellt wurde und der als Weltpremiere ebenfalls auf der unten genannten Website gezeigt wird.
Darauf zu sehen ist eine erneute Weiterentwicklung der Urschel Wall Building Machine: Im Gegensatz zu dem ersten Modell werden Walze und Löffelwerk nicht mehr durch einen Elektromotor, sondern von einem kleinen Verbrennungsmotor angetrieben.
Für die Erstellung der linearen Wandabschnitte konnte nicht mehr mit einem zentralen Mast gearbeitet werden. Stattdessen richtete man am Boden unmittelbar auf den Innenseiten der geplanten Wände jeweils eine Führungsschiene ein, auf der sich die Apparatur horizontal fortbewegte. Deren vertikale Arbeitshöhe wurde hingegen eingestellt an einem linealartigen Holm, der auf besagter Schiene mit einer Rollkonstruktion aufsaß. Ergab sich bei dem ersten Modell noch dessen Vortrieb unmittelbar aus der Materialnachführung, wurde das Fortschreiten der Maschine hier über eine Kette an das Räderwerk auf der Schiene weitergegeben.
Auch der Neuansatz der Wandbaumaschine an einer Fensterleibung war präzisiert worden. Geschah dies zuvor per Hand, wurde nunmehr das Leibungsbrettchen mittels einer temporären Diagonalstrebe in der Ecke zwischen gegenüberliegender Leibung und Fensterbrüstung fixiert.
Der dritte Versuchsbau weist wie erwähnt lineare Wandabschnitte auf, besitzt aber keine 90°-Ecken. Diese vollführen stattdessen Kurven in einem 45°-Winkel. Dieses ist natürlich dem Kurvenradius der "Wall Building Machine" geschuldet und erinnert zusammen mit den sichtbar angelegten Schichtlagen so subtil an das jüngst fertig gestellte 3D- Gebäude in Beckum.
Haus mit Gebäudeecken
Neben den drei bislang beschriebenen Bauten ist in Valparaiso/Indiana an der Napoleon Street 158 noch ein vierter Versuchsbau entstanden. Im Gegensatz zu den anderen drei Gebäuden liegen dem Autor allerdings bis auf einige Baustellenfotos keine weiteren Angaben dazu vor. Offensichtlich ist jedoch, dass der vierte Versuchsbau über rechtwinklige Gebäudeecken verfügt. Darüber hinaus existiert dieses, wie auch das unmittelbar daran anschließende dritte Objekt bis heute. Die beiden Rundbauten sind hingegen verschwunden. Es ist anzunehmen, dass sie irgendwann baufällig geworden sind. Die Urschel Laboratories haben ihren Firmensitz 1957 von der Napoleon Street an die Calumet Avenue verlegt und sind 2015 in das benachbarte Chesterfield umgesiedelt. Den Landstrich kann man als das östliche Umland von Chicago betrachten.
Bedeutung für heute
Den Hinweis auf die "Wall Building Machine" erhielt der Autor durch einen Vortrag von Frau Gözdem Dittel M. Sc., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen. Sie forscht dort aktuell zu druckfähiger Carbonbewehrung für 3D- Beton. Die Maschine von William E. Urschel stellte sie darin nur kurz vor und schloss daran die Frage an, warum sich die Bauweise in den letzten 80 Jahren in dieser Form nicht durchsetzen konnte. Ihrer Einschätzung nach gab es hierzu einfach keinen Bedarf. Arbeitskräfte waren günstiger, das Ansteuern der Maschine umständlich, das Stellen einer Schalung schneller, die ausführbaren Details präziser. Der heutige Betondruck hat hingegen einen weitaus höheren Automatisierungsgrad, besitzt eine größere Flexibilität und lässt ganz andere Bauteilgeometrien zu.
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