Project:
Contact:
Object:
Type:
opera house
Location:
Szczecin [satellite]
Country:
Poland
Architect:
MXL4 🔗, Szczecin
Materials:
old building refurbishment
Published:
colore 14
Pages:
22 -29
Content:
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Sanierung der Oper von Stettin

Wand mit Schreibschutz

Die heutige Stettiner Oper entstand Anfang der 1970er Jahre in den Trümmern des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Renaissance- Stadtschlosses. Nach 35 Jahren wurde der sanierungsbedürftige modernistische Einbau entfernt und durch eine Architektur ersetzt, die einen größeren Bezug zum Altbestand aufweist.
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Fast 25 Jahre war der heute allseitig anerkannte Grenzverlauf zwischen dem damals noch geteilten Deutschland und Polen ungeklärt. Stettin, eine Stadt am Westufer der Oder, gehört zwar seit dem Zweiten Weltkrieg zu Polen, ist aber eine ehemals deutsche Stadt, die geographisch in der Uckermark liegt. Aufgrund der unterschwelligen Ungewissheit ob seiner Westgrenze, hielt sich der polnische Staat in den Nachkriegsjahren merklich mit Investitionen in Stettin zurück. Erst der berühmte Kniefall von Bundeskanzler Willy Brand im Dezember 1970 und die damit einhergehende Anerkennung der Ostgrenzen durch Westdeutschland brachte für Stettin die infrastrukturelle Wende.
Sozialistischer Wiederaufbau
Wie ein Phoenix erwachte Stettin aus seiner Asche und wurde sehr schnell wiederaufgebaut. Das geschah jedoch nicht historisierend wie in manchen Bundesdeutschen Städten, sondern in sozialistisch geprägter Bauweise – also vor allem modern und autogerecht. Die wenigen verbliebenen Schlüsselbauten der Oderstadt rekonstruierte man zwar äußerlich, der städtebauliche Kontext ist aber bis heute irritierend. So steht etwa der mittelalterliche Dom – ursprüngliche ein Bau der Backsteingotik – heute inmitten einer tristen Plattenbausiedlung. Die Situation hat Vorstadtcharakter mit einer etwas zu großen Kirche. Der typische Vorplatz mit kleinteiligen Fachwerkhäusern oder Cafés fehlt völlig.
Der andere das Stadtbild prägende Bau ist ein Stadtschloss aus der Renaissance mit seinen markanten Türmen. Auch dessen Fassade stellte man wieder her, nur wurden darin komplett neue Grundrisse angelegt und Neunutzungen eingebracht: ein Teil der Stadtverwaltung wurde hier untergebracht, ein Museum und ein Opernhaus. Die enormen Zerstörungen des Krieges überlebte beim Schloss allein der zentrale Bergfried. Der Turm wurde schon in den 1970ern, aber auch zuletzt behutsam gesichert und restauriert, ist allerdings weiterhin nur mit einer Sondergenehmigung zugänglich.
Anklänge von Industriekultur
2009 gewann das Stettiner Architekturbüro MXL4 architekci den Wettbewerb zur Sanierung und zur Neugestaltung des bestehenden Opernhauses. Tomasz Maksymiuk und seine Mitarbeiter analysierten zunächst den vorgefundenen Bestand und entwickelten ein Konzept, das die historischen Reste nicht rekonstruierend ergänzt, sondern die Relikte inszeniert und diese mit erkennbar neuen Elementen kontrastiert.
So stieß man im Kellergeschoss auf unverhältnismäßig große Natursteine, mit denen die meterdicken Fundamentmauern in ihrem Inneren verfüllt waren. Diese besseren Flusswacker inszenierten die Architekten als Spolien in neugeschaffenen Wanddurchbrüchen, die nun aus weißen Putzflächen herausragen. In den Fluren und Foyers zeigten die Architekten bewusst die tiefen Fensterlaibungen und die abgerundeten, teilweise windschief erscheinenden Wände. Diese Raumvolumina kontrastierten sie mit eingehängten Treppen, mit modernen Geländern und mit runden LED- Pendelleuchten, die in beliebiger Farbgebung zum Strahlen gebracht werden können.
Herzstück ist der große Opernsaal für 594 Zuschauer. Diese finden Platz in einem gestuften Parkettbereich und auf einem langgestreckten Oberrang, dessen schmale Flanken - ausschließlich hintereinander angeordnete Einzelsitze - fast bis zur Bühne ziehen. Mit Seitenwänden aus freigelegtem Ziegelmauerwerk, gegliedert durch kämpferlose Flachbögen, erinnert der Saal subtil an Bauten der Industriekultur in vergleichbarer Nutzung. Unwillkürlich fühlt man sich ins Ruhrgebiet versetzt und muss an die bekannten Objekte der IBA Emscherpark denken.
Mit einem Wisch ist nichts weg!
Während MXL4 architekci das historische Mauerwerk freilegen ließen, wurden die neuen Einbauten – allen voran die Decke und die Brüstungskanten des Oberranges – mit stumpfmatter Farbe gefasst. Matte Farben sind unerlässlich in Veranstaltungsräumen mit starkem Scheinwerflicht. Zu leicht entstehen bei einer anderen Farbgebung unkontrollierbare Reflexionseffekte. Da die entsprechenden Wandflächen entlang der Zuschauerabgänge verlaufen, musste die stark pigmentierte, schwarze Farbe weitgehend wischecht sein, was als "verminderter Schreibeffekt" bezeichnet wird. Bis vor kurzem war es unumgänglich, dass bei einer Verwendung von stumpfmatten Farben selbst ein leichter unabsichtlicher Kontakt etwa mit einem Anzugärmel zu leicht hellen Streifen auf der Wand und entsprechend einem dunklen Striemen auf der Gaderobe führte. Dabei handelte es sich schlicht um ungebundene Farbpigmente, die man mit der Kleidung abgewischt hatte. Vor dem neuen Vetrolux- System von Brillux gab es praktisch keine befriedigende Lösung in stumpfmatt, wie die ausführenden Handwerker sichtlich zufrieden berichten. Einem ungetrübten Opernerlebnis selbst in einer festlich hellen Gaderobe steht nun nichts mehr im Wege!
Robert Mehl, Aachen