Project:
Contact:
Object:
Type:
factory building
Location:
Apolda [satellite]
Country:
Germany
Architect:
Materials:
concrete, glass
Published:
db 12/2019
Pages:
14 - 16
Content:
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IBA Thüringen

Wider die Landflucht

Weitgehend unbemerkt von der Architekturszene geht die IBA- Thüringen nach fünf Jahren in die Zwischenpräsentation. Ihr Thema ist das StadtLand als Beschreibung der dichten und kleinteiligen Siedlungsstruktur Thüringens. Zu ihren Projekten gehören kleine aber feine Projekte bei denen Bauherrn oder Bürgerinitiativen oft selbst Hand anlegen, um diesen neues Leben einzuhauchen.
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Thüringen – man ahnt es eigentlich, wenn man die A4 gen Dresden fährt – schrumpft. Mit einer Einwohnerzahl von rd. 2,15 Mio. weist es eine Bevölkerungsdichte auf, die annähernd der von 1925 (1.609.300 Einwohner, allerdings ohne Erfurt, da preußisch) entspricht . Verzerrt wird dies aber dadurch, dass die Mittelstädte wie Erfurt, Weimar oder Jena ähnlich dicht besiedelt sind, wie andere deutsche Universitätsstädte – mit vergleichbaren Mietpreisen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Hinterland noch dünner besiedelt ist als zu Kaisers Zeiten. Und auch das spürt man, wenn man durch die stillen Dörfer hindurch zu einem der 30 IBA- Projekte fährt.
Offizielles Motto der IBA ist Stadt.Land, die Syntaxwahl symbolisiert den essentiellen Austausch von beidem. Einerseits versucht die IBA der Landflucht, den Drang vor allem junger Leute in die Stadt Konzepte entgegenzusetzen, so dass nicht nur die "Alten" auf dem Land zurückbleiben und damit die Region langsam ausstirbt. Gleichzeitig ist da aber auch die von wissenschaftlichen Studien belegte Sehnsucht der Stadtbewohner nach einem idyllischen Leben auf dem Land, nach einer Flucht vor der Großstadthektik und einem ländlichen Refugium zum geschützten Aufziehen des Nachwuchses. Als dritter Faktor kommt nun die Digitalisierung ins Spiel, Home- Office geht überall, sofern ein schnelles Internet vorhanden ist.
Die IBA- Thüringen hat daraufhin "gute" Projektbeispiele gesucht – und gefunden. Goethe, Schiller und das Bauhaus hat man hingegen außen vor gelassen. Die stehen zwar auch für Thüringen, sind aber ohnehin medial omnipräsent. Vorgestellt werden im Anschluss fünf bereits realisierte IBA- Projekte. Diese ist selber als ein zum Jahr 2023 fortlaufender Prozess konzipiert.
1. Eiermannbau
Bei dem sogenannten Eiermannbau in Apolda handelt es sich um eine ehemalige Textilfabrik, die in den 1930er Jahren von dem jungen Egon Eiermann zu einer Feuerlöscherfabrik umgebaut wurde. Diese Funktion behielt der Bau während der DDR- Zeit, jedoch wurde im Zuge der Wende die Produktion eingestellt. In den Folgejahren verfiel der Bau zunehmend und wurde letztlich von der Bürgerinitiative, dem Verein der Freunde des Eiermannbaus, gerettet. Insbesondere die Eiermannsche Erweiterung und der damit einhergehende Umbau sind ein Zeugnis der frühen Moderne. Während das Ursprungsgebäude noch Details aufweist, die eher zur Neuen Sachlichkeit zu zählen sind, spielt Eiermann mit Sichtbeton und Motiven eines Kreuzfahrtschiffs. So besitzt der Bau eine Dachterrasse, die an das Sonnendeck eines Ozeandampfers erinnert. Hier verbrachten die Werktätigen ihre Mittagspausen. Auch die Metallringe in den Wänden, in denen Blumentöpfe hängen, sind aus dieser Zeit. Kulturhistorisch bedeutsam ist der Bau, weil hier eine der ersten Dachterrassen zur Erholung entstand, die Le Corbusiers vergleichbare Idee bei der "Unité d'habitation" um fast 20 Jahre vorwegnahm.
Die Geschosse des Eiermannbaus basieren auf offenen Grundrissen. Während im 1. OG alle 30 IBA- Projekte vorgestellt werden, ist im Geschoss darüber das IBA- Büro selber untergebracht. Dies wurde 2018 getreu dem eigenen Motto von Weimar nach Apolda verlegt. Um den denkmalgeschützten, aber nicht isolierten und weitgehend unbeheizten Bau nur wenig konstruktiv zu stören, implementierte man die Zellenbüros als gläserne Gewächshäuser mit Holzsockel. Diese Kleinsträume können elektrisch beheizt und über Dachklappen und Fenster intern belüftet werden. Durch den solaren Strahlungseintrag sind sie aber meist ausreichend warm Zudem existiert eine große Holzbox als Meetingbereich. Im Unterschied zu den transparenten 'kommunikativen' Gewächshausbüros ist der Besprechungsbereich nach innen orientiert, durch große Drehtüren aus Holz kann er für das konzentrierte Arbeiten vollständig verschlossen werden. Dann ist darin freilich Kunstlicht nötig.
2. Timber- Prototype- House
Das Timber Prototype House entstand im Rahmen der Forschungsinitiative Bau des Bundes als Fortentwicklung eines Projektes der Münster School of Architecture. Hintergrund ist, dass 34 % der Fläche Thüringens bewaldet ist und das entgegen dem bundesweiten Trend, der dortige Waldanteil sogar im 13 % in den letzten 10 Jahren zugenommen hat. "Wald" ist so gesehen mit die Kernkompetenz dieses Bundeslandes. Das Timber Prototype House ist ein Beitrag, dies zu thematisieren und Aufzuzeigen, wie man mit dem nachwachsenden Baustoff Holz nachhaltig bauen kann.
Der kleine, temporäre Pavillon, der Anfang 2019 auf der Grünbrache hinter dem Eiermannbau entstand, besteht, abgesehen von seinen stirnseitigen Fensterfronten, aus einer hoch dämmenden Massivholzkonstruktion. Angestrebt wurde bei dem Projekt eine maximale Produktionsdigitalisierung, die von dem Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart wissenschaftlich betreut wurde. Das Ergebnis war eine parametrische Software, bei der die Entwerfer nur noch die Hüllkurven vorgaben, auf deren Basis sich die gesamte Gebäudegeometrie ergab und direkt die Steuerdateien der CnC- Fräse berechnet wurden.
In das Fichtenvollholz ist ein Lamellenkamm eingefräst, dessen Luftkammern den Holzdämmwert um ein Drittel erhöhen. An den Ecken erhielten die Kanthölzer digital eingefräste Nut/Feder- Verbindungen, die nur noch zusammenzustecken waren. Der gesamte Pavillon besteht aus 440 Massivholzrahmen, deren Fußboden und Decke gleichartig ausgeführt sind. Die Regendichtigkeit wird mit einer diffusionsoffenen, jedoch wasserdichten Membran sichergestellt, die um den Rohbau gelegt ist. Der Rohbaustufung folgend wurde diese mit einer fugenoffenen Fassadenlattung verkleidet. Die gläsernen Stirnseiten stehen sinnbildlich für den digitalen Projektanspruch und sollen Assoziation zu einem Handydisplay wecken. Dabei handelt es sich um zwei vorproduzierte Stufenfalzglaselemente, die per Kran von der Seite eingeschoben wurden.
3. Flammenorgel
Krobitz ist ein kleiner Weiler mit einigen wenigen Häusern und 25 Einwohnern, zugehörig zur Gemeinde Weira. Dort wurde durch die IBA gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes (KSB) eine Flammenorgel installiert. Der Entwurf stammt von dem internationale renommierten Künstler und Komponisten Carsten Nicolai. Flammenorgeln nutzen den thermischen Effekt, der entsteht, wenn heiße Luft in Röhren schnell nach oben steigt und diese damit zum Schwingen bringt. Das Krobitzer Instrument besitzt 25 Orgelpfeifen in Form entsprechend gestimmter Glasröhren. Diese sind oberhalb eben so vieler Gasflammen montiert. Zum Anspielen eines Tons werden die jeweiligen Glasröhrn per Schrittmotor herabgefahren, bis die Flamme sie umschließt. Ein kaminartiger Sog setzt ein und mit diesem der Ton. Bauartbedingt kann das Instrument nur sehr lange Noten spielen, weshalb Nicolai eigens dafür ein 12 minütiges Stück komponierte, das mit einem Computer vorgeführt wird. Mit dem Kunstprojekt wurde die Kapelle romanischen Ursprungs, die über Jahrzehnte geschlossen war, wieder für die Kirchengemeinde, aber vor allem auch für Anwohner der Gemeinde als ein öffentlicher Ort geöffnet. Das Vorhaben entstand im Rahmen des offenen Ideenaufrufes ‚STADTLAND:Kirche. Querdenker für Thüringen 1017’.
4. Her(r)bergskirche
Die Her(r)bergskirche in Neustadt am Rennsteig, dem alten Handelsweg durch den Thüringer Wald, ist die dortige – und als solche genutzte – evangelische Gemeindekirche. Infolge einer mehrjährigen Pfarrvakanz suchte die Gemeinde nach neuen Möglichkeiten ihr Gotteshaus zu beleben. Die Teilnehmer eines dort von der TU Berlin veranstaltetes und von dem Wissenschaftler und Architekten Hannes Langguth betreutes Vor- Ort- Seminar suchten eine Woche lang nach geeigneten Nutzungsoptionen. Dabei entstand ein zimmermannsmäßig erstellter Schlafbereich direkt im Kirchenraum. Obwohl nur temporär angedacht, ergab sich bei dem versuchsweisen Einstellen in ein bekanntes Hotelbuchungsportal sofort eine rege Nachfrage. Um die Kirche dennoch als solche zu nutzen, verlegte man im Vorjahr die Schlafstätte in den hinteren Teil des Kirchenraumes und teilte diesen mit einem blauen Stoffvorhang ab, der sich farblich an der Deckenvertäfelung orientiert. Die Schlafmöglichkeit besteht aus einem einzigen Doppelbett, Toilette und Dusche finden sich nebenan in der unbewohnten Pfarrwohnung. Derzeit werden die Möglichkeiten ausgelotet, einen entsprechenden Sanitärraum in der Kirche einzurichten. Leider ist die Kirche unbeheizt, dicke Decken sind allerdings vorhanden, dennoch besteht das Übernachtungsangebot immer nur von April bis Oktober. Ziel es nun, weitere Kirchen entlang des Rennsteiges als Her(r)bergskirchen zu transformieren. Auch dieses Vorhaben entstand im Rahmen des oben genannten Ideenaufrufes und hat eine starke Vorbildwirkung für andere Kirchenstandorte.
5. Station Sch(l)afstall Schloss Bedheim
Bedheim liegt ganz im Südwesten von Thüringen im leicht hügeligen Gebiet des Oberlaufs der Werra. Vom restlichen Bundesland getrennt durch den imposanten Thüringer Wald, separiert zu Hessen durch die Rhön, ist der Landstrich nach Coburg orientiert. Kulturell ohnehin zugehörig zu Niederfranken prosperiert der Landstrich durch seine Nähe zu Bayern. Viele Pendler wohnen im günstigeren Thüringen und arbeiten im bayerischen Freistaat. Insofern sieht Architekt Florian Kirfel, Schlossherr von Bedheim und Stadtrat, die zunehmende Landschaftszersiedlung und den damit verbundenen Verlust traditioneller Haufendörfer als ein strukturelles Problem seiner Region an. Letztlich waren es auch städtebauliche Erwägungen, die ihn bewogen, das Projekt Sch(l)afstall anzugehen. Der Neubau fußt auf Fundamenten eines früheren, baufällig gewordenen Schafstalls, den er eigenhändig abriss. Danach war das Grundstück hinter der Dorfkirche mehr als 15 Jahre lang eine Brache Den Architekten vom Studio Gründer Kirfel waren hier vor allem die Wiederherstellung der einstigen Gebäudeensembles wichtig.
Der Neubau ist Gemeinschaftsunterkunft und wird von einem gemeinnützigen Verein getragen. Gruppen mit bis zu 12 Teilnehmern können in einem Obergeschosssaal unterhalb des offenen Dachstuhls mit Matratzen auf dem Boden schlafen. Daneben ist ein Einzelzimmer, für etwaige Betreuer angeordnet. Im Erdgeschoss befinden sich die Sanitärräume und diesen im Foyer vorgelagert ein lang gestreckter Waschspülstein. An der westlichen Gebäudeseite liegt die große Gemeinschaftsküche mit einem Esstisch.
Der Bau ist eine Holzkonstruktion, verwendet wurde nur Fichtenholz in Standardgrößen, das äußerlich mit Holzteer versiegelt und innen weiß gestrichen ist. Die zweischalige Außenwand besitzt keine Dampfsperre, vielmehr wurde der Hohlraum mit Tongranulat verfüllt, ein atmungsaktives Material, das zudem die Feuchtigkeit bindet. Diese Tondämmung wurde über das Dach bis hinauf zum First geführt
Robert Mehl, Aachen
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