Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Aachener Dom
Typ:
Kathedrale
Ort:
Aachen [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Materialien:
Altbausanierung
Publiziert:
build 05/2007
Seiten:
16 - 17
Inhalt:
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Ein Baugerüst für den Aachener Dom

Rein funktional

 
Betrachtet man die Kulturgeschichte des Menschen, so bemerkt man schnell, dass es den frühen Gesellschaftsformen oft mehr als heute ein Anliegen war, Bedeutsames zu verdecken. Die Frage nach den Motiven zu solch einem verkleidenden Handeln wird anschaulich am mittelalterlichen Reliquienkult der katholischen Kirche: Abgeschnittene Finger, Knochen und andere Leichenteile wurden seinerzeit in mondäne Monstranzen oder ausladende Altäre eingebracht. Meist führte ihre materielle Überhöhung dazu, dass man das eigentliche Heiligtum gar nicht mehr sehen konnte, was in Anbetracht seines vergänglichen Charakters wohl häufig auch keine so schlechte Idee war. Letztendlich keimt also das Bestreben zum Verdecken in der Erkenntnis des Unperfekten und Vergänglichen – einem essentiellen Wesenzug der Natur. Der Mensch bevorzugt offenbar die Abstraktion und die Illusion. Vollkommenheit wird als Versprechen genossen, da man das Enttäuschende der nackten Tatsachen ahnt.
Einem Baugerüst wohnt für gewöhnlich etwas Störendes inne, da es grundsätzlich etwas verdeckt. Gerade in einem reich ausgestalteten Kontext wie dem Zentralraum des Aachener Domes kann nur dieser Effekt erwartet werden. Anstehende Sanierungsarbeiten machen in den kommenden zwei Jahren jedoch den Einsatz einer solchen temporären Arbeitshilfe unausweichlich. Zudem wird die Hilfskonstruktion nacheinander in allen acht Jochen des karolingischen Kernbaus aufgebaut werden. Die dafür notwendige konstruktive Flexibilität ist ein zusätzlicher Umstand, der nicht besonders dazu geeignet wäre, eine womöglich unbefriedigende Anmutung zu mildern.
Die Lösung fand die Dombauleitung bei dieser Maßnahme in der Verwendung einer leicht zu montierenden Metallverblendung, die jedoch durch ihre markante Fugenausbildung raumkantenbildend wirkt. Sicher dient diese Verkleidung auch als Staubsperre für den restlichen Innenraum. Die bedeutendere Aufgabe dieses Trennelementes besteht aber darin, die Besucher vor dem unattraktiven Anblick dieser restauratorischen Operation zu bewahren und dafür eine optisch ansprechende Alternative zu schaffen.
Vielfach wird Verkleidung mit Dekor gleichgesetzt. Eindrucksvoll wird dieses Vorurteil hier negiert. Dekoration wäre ein bedrucktes Textil, das den verdeckten Gebäudeteil wiedergibt. Seine Kraft schöpft dieses temporäre Objekt jedoch aus seiner Schlichtheit und dem Kontrast zu der reichen Ornamentik des Restvolumens. Dabei folgt die Blendenkonstruktion aus blanken Aluminiumblechen und transparenten Kunststoffdoppelstegplatten stoisch dem Raster des verborgenen Gerüstes: „form follows function“ umgesetzt in puristischer Reinheit. So sind alle Ebenen und Stellachsen ablesbar. Das durchgehende vertikale Belichtungsband ist notwendig, um die ansonsten recht düstere Baustelle zu erhellen. Der damit mögliche Einblick stellt eine zusätzliche Qualität dieser Zweckinstallation dar: Während Hermetik zu Distanz und sogar Ablehnung führen kann, wohnt dem unvollständig Verhüllten eine reizvolle Ahnung inne.
Robert Mehl, Aachen