Projektart:
Anfrage:
Objekt:
VerSeidAG Speditionshaus
Typ:
Pavillon der frühen Moderne
Ort:
Krefeld [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Erich Holthoff (1935), Georg von Houwald 🔗 (2016)
Materialien:
Mies van der Rohe 🔗 (Berater)
Publiziert:
BHW 1-2/2017
Seiten:
20 - 24
Inhalt:
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Gebäudesanierung auf Mies van der Rohes Spuren

"Weniger ist mehr!"

Ludwig Mies van der Rohe hat in den 1930er Jahren in Krefeld seinen einzigen Industriekomplex realisiert. Grundsätzlich bekannt, aber weitgehend unbeachtet, verfiel das Areal in den letzten Jahren sogar. Wissenschaftlich begleitet werden die Gebäude nunmehr behutsam nacheinander saniert. Im November ging das einstige Speditionshaus neu in Nutzung.
Mies - wie seine Fans ihn kurz nennen - war Ende der 1920er Jahre mit dem deutschen Pavillon auf der Weltausstellung von Barcelona sowie der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die er kuratiert hatte, weltberühmt geworden. Zudem wurde er 1930 zum Direktor des Dessauer Bauhauses ernannt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die seine Architektur nicht schätzten, reduzierten sich seine Aufträge jedoch beachtlich. Dennoch zogen ihn weiterhin die Krefelder Textilindustriellen Hermann Lange und Josef Esters als Berater für die Planung ihrer neuen Fabrikanlage heran. Realisiert wurden die Entwürfe überwiegend von Erich Holthoff, seinem ehemaligen Bauhaus- Mitarbeiter, der dazu mit ihm im Austausch stand.
Moderner Pavillon
Das ehemalige Speditions- oder Pförtnerhaus ist ein eingeschossiger, vollständig unterkellerter Pavillon mit großen Glasflächen unmittelbar an der Werkszufahrt. Bis zum aktuellen Umbau gab es keine interne Treppe zwischen den beiden Ebenen, eine Außentreppe erschloss das als Lager genutzte Untergeschoss. Im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, wurde das Gebäude in den Folgejahren in pragmatischer Manier wiederaufgebaut und unterhalten.
Entsprechend den Idealen der Moderne, weist der Bau keine tragenden Wände auf, sondern nur zwei nah beieinander verlaufende Stützenreihen, an die im Keller schwere Unterzüge anschließen. Dazwischen lag in beiden Geschossen ein Flur, von dem jeweils kleinteilige Räume, separiert durch nicht tragende Wände, abgingen. Diese wurden nunmehr alle entfernt.
Im Erdgeschoss entstand so eine rd. 300 m² große Bürolandschaft, die mittels schallisolierter quint-it- Ganzglaswände gegliedert wird. Montiert wurden diese Wände von den beiden Handwerkern Michael Kummer und Jürgen Koch. Der neue Nutzer, der Teppichfliesenhersteller Interface, organisiert zudem die Bürogroßfläche mittels entsprechendem Fliesendesign mit inselartigen Nutzungsschwerpunkten. Teilflächen dienen etwa zu Schreibtischarbeiten, als Ruhezone, zur Besprechung oder als Cafeteria.
Um den Keller intern an das Erdgeschoss anzuschließen, plante das mit dem Umbau beauftragte Krefelder Architekturbüro Georg von Houwald eine einläufige Treppe im Zentrum der mittigen Flurachse. Hierzu sägten Betonbauer über die gesamte Achsbreite eine rechteckige Öffnung in die Kellerdecke. Der Treppenlauf besteht aus zwei massiven C-förmigen Stahlprofilen in die eine entsprechend geneigte Ortbetonfläche betoniert wurde. Tritt- und Setzstufen sind Betonfertigteile, die sich um 1 cm Unterschneiden. Die gedachten Schnittpunkte dieser Elemente liegen genau auf der Oberkante des C- Profils. "Man musste beim Einbau unglaublich genau arbeiten - die üblichen Rohbautoleranzen gab es hier nicht!" so Bauleiter Stefan Grefraths.
Wärmeschutzverglasung in ungedämmten Stahlrahmen
Wolf- Reinhard Leendertz, der jetzige Eigentümer des früheren VerSeidAG (Vereinigte Seidenwerke AG) Fabrikgeländes und heutigen Mies-van-der- Rohe- Business- Parks, legt großen Wert auf die Originalität seiner Industriebauten. Insofern war es für ihn keine Option, die vorhandenen, weitgehend intakten Fensterstahlrahmen zu ersetzen, nur weil diese ungedämmt sind. Eine Berechnung ergab, dass der Wärmeverlust, wenn allein die Scheiben eine Wärmeschutzverglasung erhielten, die originalen Rahmen jedoch beibehalten würden, vertretbare 8 % beträgt.
Die mit dem Fensterumbau und deren Instandsetzung beauftragte Krefelder Franz Krüppel GmbH & Co. KG Metallbau ging dabei so vorsichtig vor wie ein Oldtimer- Restaurator. So benutzten die Handwerker für die Entlackung der Rahmen Nadelentroster. Diese Pressluft- Pistolen besitzen rotierende Nadeln auf ihren Düsenköpfen, die, auf die Flächen aufgesetzt, einen ähnlichen Effekt wie Drahtbürsten haben. Die Schließmechaniken der Fensterprofile wurden wieder gangbar gemacht und die Rahmen grundiert und schwarz lackiert. Die Wärmeschutzverglasung wurde schließlich in Ermangelung einer Führung eingeklebt.
Brandschutzauflagen erfordern, dass an fünf Stellen über die Fenster geflüchtet werden kann. Die ursprünglich quadratischen Fensterflügel waren hierfür zu klein und zu hoch. Die Schlosser der Firma Krüppel verbanden deshalb die bislang zwei übereinander liegenden Fensterfelder mit einem dritten darunter zu einem neuen Großrahmen. Dafür bauten sie die untere horizontale Mittelstrebe der Festverglasung aus und schweißten einen neuen Fensterrahmen, in welchem sie diese dann auf deren ursprünglichen Höhe wieder montierten.
Fassadendämmung und Kellerabdichtung
Konstruktiv besteht die Fassade des Pavillon- Baus neben der über 2,00 m hohen Verglasung nur aus einer rd. 1,00 m hohen Brüstung. Um die kubische Außenwirkung zu erhalten, wurden vorhandene Heizkörpernischen mit einer Multipor- Dämmung teilweise aufgefüllt. Sie dienen aber auch weiterhin der Aufnahme von Standradiatoren; da nunmehr jedoch deutlich flachere Modelle eingesetzt werden konnten, ragen diese auch weiterhin nicht in den Raum hinein.
Auch das Untergeschoss des Speditionshauses wurde innenseitig vollflächig mit Multipor- Platten gedämmt. Auf der Außenseite nahm der interne Baubetrieb des Mies-van-der- Rohe- Business- Parks eine klassische Kellerabdichtung vor. Die aus Ortbeton bestehenden Kellerwände erhielten zunächst einen Bitumenanstrich, vor den dann 5 cm starke Dämmplatten gestellt wurden.
Kellerabgrabung
Auch die Kellerräume werden nunmehr als Bürofläche genutzt, weshalb eine natürliche Belichtung gewünscht war. Der Architekt Georg von Houwald entwickelte für die südliche Gebäudeschmalseite eine um 40° geneigte Abgrabung. Der Kellerfassade vorgelagert ist ein Kiesbett, das mittig in eine kleine Pausenterrasse übergeht. Gerne hätte Wolf- Reinhard Leendertz auch die längere Westseite freigelegt, jedoch verfremdete dies nach Ansicht der Denkmalbehörde zu stark den Gebäudecharakter. Bei der Gestaltung der freigelegten Kelleraußenwand orientierte man sich an der Verklinkerung der Erdgeschossbrüstung und ließ dafür eigens 1,5 cm dicke Ziegelriemchen brennen.
Während die großformatigen Kellerfenster Originale sind, die zuvor nur auf Lichtschächte mündeten, ist die mittlere Glastür eine Neuanfertigung. Ihre mittige Position am Ende der Flurachse erscheint ursprünglich, dennoch wurde die gesamte Öffnung mit einer Betonsäge neu in die Wand geschnitten. Auch lässt ihr Anblick nicht vermuten, dass es sich hierbei um ein weiteres Einzelstück der Firma Krüppel handelt. Grund für die Neuanfertigung ist die aufwändige Sicherheitstechnik, die in der Stahlrohrrahmentür untergebracht ist: eine Hochsicherheitstür, die mit dem Alarmsystem verschaltet ist und dennoch als Paniktür fungiert. Zudem kann sie im regulären Betrieb wie eine normale Tür auch von außen betätigt werden.
Dachisolation
Nicht vermuten würde man bei dem kubischen Speditionshaus, dass sich hinter einer 90 cm hohen Attika ein um 4-5° geneigtes Walmdach befindet, das eine Firsthöhe von 1,30 m aufweist: ein klassisches Holzpfettendach. Dessen Entwässerung ist natürlich auf die bestehenden Geometrien abgestimmt, weshalb eine Auf- Sparren- Dämmung nicht umzusetzen war. Den Dachdeckern des internen Baubetriebes blieb letztlich keine andere Wahl, als im niedrigen Stuhl herumzukriechen und eine Zwischensparrendämmung vorzunehmen, unter der sie dann eine dampfdiffusionsdichte Folie montierten.
Der Dachzugang erfolgte ausschließlich über eine vorhandene Dachluke vom Erdgeschoss aus, da die eigentliche Deckenkonstruktion, wie sich Bauleiter Stefan Grefraths augenzwinkernd ausdrückte, "aus 1000 Schätzen" bestehe: Teilweise traf er Ortbetondecken an, unterbrochen von fragilen Rabitzgitter- Konstruktionen, auf die dann wieder Hohlsteine folgten: Ein Umbau des Dachzuganges empfahl sich nicht.
Eine Zukunft für die Vergangenheit
Der beste Weg, ein Gebäude zu erhalten, ist es zu beleben“, erläuterte Daniel Lohmann anlässlich der Einweihung des Pförtnerhauses im letzten November. Zusammen mit Prof. Norbert Hannenberg von der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) in Gießen begleitet der Wissenschaftliche Mitarbeiter des Lehrgebietes Denkmalpflege der RWTH Aachen das Großprojekt VerSeidAG- Sanierung. Das Ergebnis gibt dem Wissenschaftler Recht. Wortwörtlich "begreift" man Mies' berühmten Ausspruch: "Weniger ist mehr!"
Robert Mehl, Aachen