Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Brückeneinfahren A45 / B54
Typ:
Stahl-Beton-Verbundbrücken
Ort:
Haiger-Kalteiche [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Materialien:
Stahl, Beton, SPMT (Transport)
Publiziert:
metallbau 11/2019
Seiten:
13 - 21
Inhalt:
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Stahlbetonverbundbrücken über A45

Brückeneinhub

Bei Wilnsdorf wurden zwei baufällige Brücken über die A45 durch zwei neue Stahlbetonverbundbrücken ersetzt. Diese waren in dem Jahr zuvor lokal auf der halbseitig gesperrten Autobahn vormontiert worden und wurden beide an einem Wochenende hydraulisch eingefahren.
"Des Pudels Kern", einst von Goethe Mephisto in den Mund gelegt, ist immer wieder überraschend banal. Beim Neubau der beiden, in einem Abstand von vielleicht 2 km aufeinander folgenden Brücken der B54 über die A45 – die berühmt berüchtigte Sauerlandlinie – bei Wilnsdorf bestand er im Vermeiden einer so genannten Inselbaustelle.
Dabei handelt es sich um ein Bauvorhaben auf dem Mittelstreifen, bei dem zu beiden Seiten der Verkehr weiterläuft. Dessen verkehrstechnischer Unterhalt mit seitlichen Absperrungen und fortlaufenden Gelbmarkierungen ist kostenintensiv, aber dennoch unfallträchtig – sowohl für den Verkehr wie auch für die Baubeteiligten.
Derzeit wird südlich dieser beiden die Autobahn querenden Bauwerke die große Talbrücke Kalteiche ohnehin erneuert und alle Nutzer einseitig in einer so genannten 4+0 Verkehrsführung geleitet. So bot es sich an, diese Regelung über den gesamten Autobahnabschnitt einzurichten und von einer zudem unfallträchtigen Überfahrt zwischen der Talbrückenbaustelle und den Querbrückenneubauten abzusehen.
Deshalb entstand die Idee, zwei Brücken ohne Mittelpfeiler zu projektieren und diese erstmal längs der Autobahn auf der vollständig gesperrten südlichen Fahrtrichtung zu bauen. Die vollständig fertigen Brücken sollten darauf hin in einem schnellen Manöver um 90° gedreht und dann in ihren ebenfalls neu erstellten Auflagern platziert werden. Genau das ist jetzt an einem einzigen Wochenende in den tendenziell verkehrsarmen Sommerferien – natürlich unter Vollsperrung der Autobahn – geschehen.
Für jeden Kran zu schwer
Für final noch einmal zu bewegende Elemente besitzen beide Brücken beachtliche Dimensionen: Dabei misst die nördliche Brücke 98 m, ist 13,23 m breit, weist einen Überbau von 9,31 m auf und wiegt 2.900 to; die südliche Brücke ist hingegen 120 m lang, mit 13,80 m etwas breiter. Ihr Überbau beträgt infolge der erheblich größeren Spannweite jedoch 11,40 m, auch wiegt sie 3.200 to.
Da dieses Gewicht von keinem Kran der Welt zu heben wäre, entschloss man sich, die Brücken mit Selbstfahrenden Plattform- Modultransportern (SPMT) einzufahren. SPMT werden von der Ulmer Kamag Transporttechnik GmbH & Co. KG hergestellt und weltweit vertrieben. Eingesetzt werden sie von Dienstleistern, in diesem Fall der belgischen Firma SARENS NV aus Wolvertem.
Aus dem "Wie" ergab sich letztendlich automatisch die Form. Gewählt wurden deshalb zwei einfache Kastenbrücken, deren Vorteil darin besteht, dass die Brücken grundsätzlich unter jedem Knotenpunkt des Untergurtes angehoben werden können. Damit waren allein strategische Gesichtspunkte für die Bewältigung der vielleicht 200 m langen Strecke zu berücksichtigen, um die SPMT unter den Brücken zu platzieren.
Alles verschweißt
Bei beiden Brücken handelt es sich statisch um Einfeldbrücken, die jeweils auf einem starren und einem beweglichen Auflager aufliegen. Bei Stahl setzt man als thermische Dehnung 1 mm pro Laufmeter Brücke an, bei der südlichen Brücke von Wilnsdorf sind dies also immerhin 12 cm. Dieser nicht unerhebliche Dehnweg wird mittels Kämmen, also Scharen wechselseitig ineinandergreifender Stahlschwerter, mit Gummiprofilen oder mit aufliegenden Metallplatten geschlossen.
Der Brückenstahl kommt aus dem Saarland von der Dillinger Hütte Saarstahl AG. Verarbeitet und eingebaut wurde er durch die Donges SteelTec GmbH, die in ihrem Darmstädter Werk zunächst den Stahl zu entsprechenden Hohlprofilen präzise zusammenschweißte. Die einzelnen stabförmigen Elemente des Stahlfachwerkes wurden dann als Langware mit regulären LKWs zur Baustelle gefahren. Dort wurden diese abseits des Verkehrs auf zwei Feldbaustellen zusammengeschweißt. Da hinsichtlich des Brandschutzes keine Anforderungen an beide Brücken bestehen, sind die Hohlprofile weder verfüllt noch mit einer besonderen Brandschutzlackierung versehen. Die Diagonalträger sind miteinander und mit dem Untergurt der Fahrbahn durch zwei vertikale Platten, die längs der Brücke ausgerichtet sind, ohne sichtbare Schweißnaht verbunden. Die gesamte Bauzeit währte von der Sprengung der alten Brücken im November 2017 bis zum Juli 2019; in dieser Zeit konnte man als Autofahrer die zwei Brücken langsam wachsen sehen.
Stahlbetonverbund
Während das gesamte Brückentragwerk aus Stahl besteht mit stählernen Querträgern verbunden ist, liegt auf diesen eine Ortbetonplatte. Die dafür nötige Brettschalung wurde in einer sägerauen Variante handwerklich zwischen die besagten stählernen Querverbinder eingebracht und ergab in der Untersicht eine gelungene Betonoberfläche. Es wurde der Ortbetonkonstruktion gegenüber der Verwendung von Betonfertigteilen der Vorzug gegeben, um Gewicht zu sparen. Zwar hätte man letztere einfach auf die Querträger auflegen können, allerdings wäre bei diesen eine höhere und damit schwerere Stahlbewehrung erforderlich gewesen. Dauerhaft verbunden ist die Tragkonstruktion mit der Fahrbahnplatte über 3.500 Kopfbolzendübel, die an den stählernen Untergurt angeschweißt sind und mit dem Beton vergossen wurden. Alle Betonbauarbeiten führte dabei die Aschaffenburger Baufirma Adam Hörnig Baugesellschaft mbH & Co. KG aus.
Rangieren mit 384 Rädern
Die hierbei eingesetzten 16 SPMT verfügten über jeweils 24 Räder, die sich auf sechs Achsen mit je vier um 90° schwenkbare Einzelräder verteilen. Acht SPMT waren hier zu einer Einheit zusammengeschaltet. Sie trugen einen großformatigen Stahlbock, auf dem in rd. 4 m Höhe die Brücke auflag, was weitgehend der finalen Durchfahrtshöhe entspricht. Vor der eigentlichen Fahrt wurden beide Brücken zunächst hydraulisch mit Hebevorrichtungen entsprechend angehoben. Die Hebeanlagen funktionierten ähnlich einem Wagenheber; sie arbeiten mit Teilhüben von rd. 30 cm. Ist diese Höhe erreicht, wird ein Auflagerklotz untergeschoben und ein weiterer Teilhub durchgeführt.
Mit Erreichen der Transporthöhe wurden unter die Brücke die beschriebenen SPMT gefahren, die sich auf zwei Großeinheiten mit acht Fahrzeugen verteilten. Deren Manövrierung geschah synchronisiert über Funkfernsteuerungen, bedient von zwei "Fahrern". Diese bewegten sich jedoch zu Fuß, das Vorankommen der Brücke im Schritttempo unablässig zwischen den Einheiten kontrollierend.
Evident war, dass sich die SPMT auf einer homogenen Ebene bewegten und kein Rad in unbefestigtem Untergrund versank. Infolge einer Gesamtradzahl von 384 Stück ergaben vorherige statische Berechnungen, dass eine Einzelradlast der eines 40-Tonners entspricht und damit keine Probleme im Fahrstreifenbereich zu erwarten waren. Zu präparieren waren jedoch der unbefestigte Mittelstreifen und die Autobahnbankette vor den Brückenauflagern. Diese Bereiche wurden großflächig mit Metallplatten abgedeckt.
Das Einfahren der ersten Brücke geschah am Abend des 19. Juli, einem Freitag, ab 21:00 Uhr. Bis Mitternacht vollführten die SPMT einen Viertelkreis, bei dem die Brücke zunächst ihre künftige Auflagerachse durchfuhr, um dann in einer rangierenden Querbewegung ihr hinteres Ende nachzuziehen, bis die Brücke parallel zu ihren Auflagern stand. Dieses Manöver erinnerte stark an das Einparken in eine beengte Parktasche. Nun wurden alle Räder um 90° gedreht und die gesamte Brücke seitlich quer in ihre Auflager gefahren. Das abschließende Absenken der Brücke in ihre Auflager erfolgte umgekehrt zum eingangs beschriebenen Aufstapeln und nahm den Rest dieser Nacht in Anspruch. Samstags wurden die SPMT zur südlichen Brücke verlegt und diese in der Folgenacht in gleicher Weise eingefahren. Der Sonntag diente dem Baustellenrückbau, so dass am frühen Montagmorgen die Autobahn wieder freigegeben werden konnte.
Fast fertig
Mit ihrer Einfahrt waren beide Brücken fast fertig. Montiert waren schon die Leitplanken, durch die zusätzlich ein Stahlseil geführt ist. Es verhindert im Falle eines Unfalls einen Fahrzeugdurchbruch durch die Leitplanke, da mit diesem die Anpralllast auf die benachbarten Leitpfosten verteilt wird. Ebenfalls angebracht waren die Plexiglasscheiben oberhalb des Brückengeländers. Sie fungieren als Spritzschutz für den Schneepflug, so dass beim winterlichen Räumen der Bundesstraße kein Schnee auf die darunterliegende Autobahn fällt. Für Projektleiter Dienst ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis diese klaren Scheiben durch Graffiti verschmiert sind, klare Scheiben stellen jedoch das günstigste Produkt unter allen Materialien dar. Im Schadensfall werden sie einfach ersetzt.
Vor der Verkehrfreigabe der Brücken werden noch deren Zufahrten neu angelegt und die Brückenoberfläche erhält eine doppelte, jeweils 3,5 cm starke Asphaltdecke. Betoniert werden zudem die leicht erhöhten, seitlichen Brückenbankette angelegt. Diese sind über Kopfbolzen ebenfalls mit dem Stahltragwerk verbunden.
Der Lack ist ab
Beide Brücken weisen eine petrolfarbene Metalliclackierung auf, die mit einem Airless- Farbsprühsystem appliziert wurde. Ihr schillernder Glanz ergibt sich aus mikroskopischen Metallplättchen, die infolge des Sprühens ungerichtet auf der Oberfläche aufliegen. Leider hat das mit der Ausführung beauftragte Malerunternehmen bei den Nacharbeiten zwar die identische Farbe verwendet, diese jedoch mit einer Rolle aufgetragen. Damit ergab sich eine vollkommen andere Reflexion und die lackierten Oberflächen wirkten wie ein Flickenteppich. Da es sich aber in Hinblick auf den Korrosionsschutz um keinen Mangel handelte und die Farbe identisch war, entzündete sich daran ein Streit um die Haftungsfrage. Klärung brachte die Prüfung des Ausschreibungstexts, der eindeutig ein Farbsprühsystem forderte.
Wartungsmodus
Beide Brücken sind auf eine Lebensdauer von 100 Jahren ausgelegt; Experten gehen davon aus, dass sie sehr wartungsarm sind. Beide Vorgängerbrücken besaßen Mittelstützen, deren Lager alle drei Jahre zu prüfen waren, was jedes Mal eine kleine Baustelleneinrichtung mit Fahrstreifenverengung erforderte. Die beiden Neubauten haben nur noch ein zu prüfendes Rollauflager. Es befindet sich in den östlichen Brückenköpfen, die dafür über einen Wartungsraum verfügen.
Sollte einmal in ferner Zukunft – der zuständige Baudezernent Harald Mank nennt hier 40 Jahre als Größenordnung – die Sanierung der Brücken doch anstehen, dann wäre es möglich, beide anzuheben und von der Autobahn weg, ganz auf die Bundesstraße zu ziehen. Hier könnte man dann die Arbeiten ausführen, ohne den Fernverkehr zu stören. Möglich ist auch dies durch die kompakte Stahlfachwerkkonstruktion.
Robert Mehl, Aachen