Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Demonstrator Bauwerk
Ort:
Apolda [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Prof. Achim Menges 🔗, Uni Stuttgart; Hans Drexler 🔗, Jade-HS Oldenburg
Materialien:
konstruktiver Holzbau
Publiziert:
baublatt 32/2019
Seiten:
10 - 12
Inhalt:
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Timber- Prototype- House, Apolda

Massivholzrahmen, gedruckt

Im thüringischen Apolda kann aktuell ein annähernd monomaterieller und doch hochgedämmter Massivholzpavillon besichtigt werden. Er besteht aus CnC-gefrästen Kanthölzern, deren Schnittform automatisiert durch eine parametrische Software errechnet wurde.
Derzeit findet in Thüringen die Internationale Bauausstellung (IBA) statt, bei der 30 in diesem deutschen Bundesland verteilte Projekte vorgestellt werden. Allen gemein sind ein kostengünstiger Finanzierungsansatz und das Ziel, die Revitalisierung des Hinterlandes voranzutreiben. So haben Demoskopen Thüringen unlängst attestiert, dass seine aktuelle Bevölkerungsdichte derjenigen von 1905 entspricht. Das Zentrum IBA liegt in der früheren Glockengießerstadt Apolda, in einer ehemaligen Feuerlöscherfabrik angesiedelt. Auch dieser Bau ist ein IBA- Projekt, stammt sein großer Umbau von 1938 doch von keinem geringeren als Egon Eiermann.
Auf einer Brache hinter diesem Baudenkmal der frühen Moderne findet sich mit dem Timber- Prototype- House gleich ein zweites Exponat dieser landesweiten Ausstellung.
Der Pavillonbau mit der großen Nur- Glas- Front besteht, abgesehen von den beiden gebäudehohen Fenstern, der Zugangstür und einem rückwärtigen Lüftungsspalt zum Öffnen, aus einer hochdämmenden, jedoch monomateriellen Massivholzkonstruktion. Verwendet wurde dafür handelsübliche Fichte aus regionaler Quelle mit einer typischen Kantenlänge von 10/20 cm. Es handelt sich letztlich also um Standard- Konstruktions- Vollholz (KVH), von dem rd. 100 m³ hier verbaut sind.
Maximal digital
Ein weiterer Anspruch dieses Projektes bestand in seiner maximalen Produktionsdigitalisierung. Die Untersuchungen hierzu stellte das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart von Prof. Achim Menges an. Ebenfalls beteiligt war Prof. Hans Drexler von der Jade Hochschule Oldenburg, der dort Konstruieren und Energie und Gebäudetechnik lehrt; er verantwortete hierbei vor allem die Konzeption der monomateriellen Dämmung.
Eigens für dieses Projekt wurde eine hoch parametrische Software entwickelt, bei der die Entwerfer nur noch wenige Hüllkurven vorgaben und zusätzlich noch zahlreiche baukonstruktive Bedingungen festlegten, so dass die eigentliche Ausführungsplanung quasi auf Knopfdruck erfolgte. Das Ergebnis waren dann unmittelbare Steuerdateien für eine CnC- Fräse.
Baukonstruktion
In das 10/20er Fichtenvollholz wurde ein 70 mm tiefer Lamellenkamm eingefräst und so wurden unventilierte Luftkammern geschaffen, die den ʎ- Wert des Vollholzes von den für Nadelholz üblichen 1,2 auf 0,8 W/(m•K) senkten. Das dämmende Grundprinzip ist mit dem Aufbau eines Hochlochziegels vergleichbar. Damit wurde eine erhebliche Annäherung an den ʎ- Wert von Dämmmaterial erreicht, der zwischen 0,3 - 0,4 W/(m•K) liegt. Jeweils zwei Kanthölzer stoßen an ihren Schmalseiten aneinander, so dass die effektive Wandstärke 40 cm beträgt und damit eine hochbautypische Dimension erhält, die gewöhnlich zwischen 35 - 50 cm zu veranschlagen ist. An den Kopfenden der Kanthölzer fräste die Software eine parametrisierte Eckverbindung ein, die ebenfalls vom Stuttgarter ICD entwickelt wurde. Sie ermöglicht dem Handwerker ein einfaches, jedoch präzises Zusammenstecken der Hölzer im 90°-Winkel, wodurch der umlaufende Gebäuderahmen überhaupt erst entsteht. Auch die hintereinander sitzenden Kanthölzer sind monomateriell miteinander verbunden. Dafür verwendete man Buchenholzbolzen, die durch Bohrungen leimfrei mit Pressluft in die Hölzer geschossen wurden. Im benachbarten Kantholz findet sich an der entsprechenden Stelle eine längs verlaufende Nut, in die diese Bolzen dann eingreifen.
Der gesamte Pavillon besteht aus 440 dieser CnC-gefrästen Kanthölzer. Sie sind umlaufend angeordnet, dass heißt Fußboden und Decke unterscheiden sich in ihrer Bauweise nicht von den Wänden. Ein Rahmen besteht der Logik folgend aus vier dieser Hölzer; sie wurden in einer Werkstatt zusammengefügt und noch dort zu Modulen aus 8 Einzelrahmen vorkonfektioniert. Diese Einheiten wurden dann an die Baustelle geliefert und dort mit wenigen Schrauben demontabel zusammengefügt. So sind ein zügiges Zerlegen des Demonstrators und sein neuerliches Zusammensetzen, etwa auf einer Messe, ohne großen Aufwand möglich.
Gebäude- DNA in jedem Element
Die Planer haben dem Rechner Bedingungen definiert. So wurde etwa festgelegt, dass die dämmenden Lamellen natürlich nicht offen liegen dürfen, da sonst die dämmende Luft entweichen würde und sich der Dämmeffekt vermindert. Deswegen findet sich an den gefrästen Kanthölzern eine 4 cm breite Leerspur, die einen leichten Versatz der Rahmenelemente zueinander ermöglicht.
Grundsätzlich stand im Vorfeld keine gestalterische Idee im Vordergrund, dass man sich etwa eine besonders amorphe Struktur wünschte, sondern eigentlich nur die Entwicklung eines alle Aspekte berücksichtigenden Algorithmus. In diesem wurden die eingangs erwähnten konstruktiven Bedingungen definiert. Das eigentliche Kreieren geriet so fast zur Nebensache: In dem Moment, in dem man sicher war, dass das Programm funktionierte, zog man mit lockerer Hand am Bildschirm einige Hüllkurven und der Computer begann darauf basierend zu rechnen.
Der erste Prototyp eines gefrästen Kantholzes wurde mit einem 7-Achs- KUKA- Roboter der UNI Stuttgart gefräst. Das Ergebnis war zwar beeindruckend, man erkannte jedoch, dass das Fräsen der erforderlichen Holzmenge von rd. 100 m³ mittels Roboter einfach viel zu lange dauern würde, weshalb die Arbeiten schlussendlich mittels einer industriellen CnC- Großfräse erfolgten.
Aus produktionstechnischer Sicht besonders spannend ist, dass sich die gefrästen Pavillonelemente besitzen etwa alle den einheitlichen Eckanschluss, die Bolzennut oder den erwähnten Lammellendämmkamm.
Diese Redundanz im Detail erinnert einerseits an das Prinzip der DNA in der Natur, andererseits schafft diese hochdigitale Vorproduktion, bei der unmittelbar montierbare Bauteile aus der Fräsmaschine kommen, eine prinzipielle Nähe zu der Idee des "Druckens" ganzer Häuser. Das quasi aufwandlose Umsetzen geringfügiger Maßkorrekturen von Bauteil zu Bauteil ist letztendlich auch der überragende Vorteil einer computerbasierten Produktion. Dem Roboter ist die Position letztlich egal, die sein Fräskopf exakt einzunehmen hat. Ein Handwerker hingegen arbeitet mit Anschlägen, die er jedes Mal geringfügig korrigieren muss. Ein immenser Mehraufwand.
Außenhaut
Für die Regendichtigkeit wurde der hölzerne Rohbau mit einer diffusionsoffenen, jedoch wasserdichten Membran wie ein Geschenk eingewickelt - es ist die wasserführende Schicht. Auf diese wurde, der Rohbaustufung folgend, eine würfelartige Holzunterkonstruktion aufgebracht, auf die die Schreiner schließlich die weiß lasierte, fugenoffene Fassadenlattung montierten. Zahllose Spalten geben den Blick frei auf die schwarze Membran darunter.
Fensterfront
Die gläserne Stirnseite sollte einerseits so einfach wie möglich sein, andererseits auch sinnbildlich für den digitalen Anspruch stehen, weshalb Prof. Menges eine Assoziation zu einem Nur- Glas- Handy- Display wecken wollte. Tatsächlich handelt es sich hier um ein wärmegedämmtes Stufenfalzglas, dessen äußere Scheibe umlaufend um die Holzrahmenstärke also 40 cm größer als die innere Scheibe ist. Dieser Randbereich erhielt einen schwarzen Siebdruck; große Mengen Kleber wurden auf der Innenseite aufgetragen, während das Glas zur Montage mit Saugnäpfen an einem Autokran hing. Sodann wurde die innere Scheibe bündig in die lichte Öffnung des Holzrahmens eingeschoben, bis das äußere Glas an das umlaufende Holz stieß. Während der Kleberaushärtung wurden um das gesamte Timber- Prototype- House Spanngurte gelegt, mit denen zugleich die Scheiben an Vorder- und Rückseite fixiert wurden.
Tradition und Innovation
Die steckbare Eckverbindung der Rahmenelemente basiert auf dem klassischen Schwalbenschwanzprinzip. Grundsätzlich waren die Wissenschaftler aufgeschlossen für tradierte Bauweisen, sie sehen hier ein großes Erkenntnispotenzial, um das digitale Bauen, gerade bei einem leicht verarbeitbaren Material wie Holz, noch effektiver zu gestalten. Tobias Haag, zuständiger Projektleiter der IBA Thüringen weist zudem darauf hin, dass Holz aus gewachsenen Bäumen und eben nicht Leim und Holzspäne verarbeitet wurden und dass das Zerschneiden und Fräsen neben den konstruktiven Erfordernissen auch den Vorteil besitzt, dass so austrocknungsbedingte Spannungsrisse minimiert werden. Die Kanthölzer sind ausschließlich in Faserrichtung geschlitzt, was diese Spannungen reduziert, jedoch die eigentliche Tragkraft kaum verringert.
Robert Mehl, Aachen