Projektart:
Anfrage:
Objekt:
tamedia Verlag
Typ:
Büro- und Verwaltungsgebäude
Ort:
Zürich [Satellit]
Staat:
Schweiz
Architekt:
Shigeru Ban 🔗 Tokio
Materialien:
Holz, Stahl, Glas
Publiziert:
d+h 5/2013
Seiten:
44 - 49
Inhalt:
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Tamedia Verlagshaus, Zürich

Tragwerk als Kunstwerk

Der japanische Architekt Shigeru Ban hat für einen Schweizer Medienkonzern an dessen Züricher Stammsitz einen transparenten Neubau geschaffen. Bemerkenswert an diesem innerstädtischen, siebengeschossigen Verwaltungsbau ist seine Tragkonstruktion, die vollständig aus Holz besteht.
Das Schweizer Verlagshaus Tamedia will mit seinen zahlreichen Medien Transparenz im Sinne von informativer Aufklärung schaffen. Man begreift diese Offenheit als den zentralen Wesenszug des Unternehmens und wollte diesen Charakter auch architektonisch in dem Neubau umgesetzt wissen – daher die über alle Geschossebenen sich erstreckende Glasfassade.
Der Bau sollte zudem die ökologische Verantwortung des Unternehmens widerspiegeln. Das zukunftsweisende Planungskonzept stellt den zweiten Grundpfeiler der konzeptionellen Überlegungen der Bauherren dar. Ein Null- Energie- Gebäude sollte es werden, weitgehend CO2-neutral erstellt, das am Besten aus nachwachsenden Rohstoffen, also vornehmlich aus Holz besteht – so könnte man die Wunschvorstellung umschreiben.
Das Ergebnis ist dann auch tatsächlich nicht weit vom Wunsch entfernt: Die Tragkonstruktion des Gebäudes besteht aus Fichtenbrettschichtholz, sogar die Verbindungselemente sind aus Holz gewählt und ergeben so – neben der Bewunderung für den Rohstoff – für die Besucher auch architektonische und konstruktive Einblicke, was mit Holz alles machbar ist.
Neue Brandschutznorm – größere Holzdimensionen
Damit diese siebengeschossige Holzbauweise überhaupt möglich wurde, war die Novellierung der Schweizer Brandschutznorm notwendig. Vereinfacht gesagt, lässt sie es nun zu, ein Gebäude auf Abbrand auszulegen, sofern die brennenden Bauteile ausreichend lange tragen, damit alle Personen das Gebäude sicher verlassen können. Bisher musste um ein Tragelement herum eine zusätzliche Brandschutzwand errichtet werden, die dem Feuer 90 Minuten lang widerstand, bevor die Konstruktion selbst Feuer fangen konnte. Nach der neuen Schweizer Norm muss nur der Nachweis erbracht werden, dass die entsprechende Tragkonstruktion diese geforderten 90 Minuten noch sicher trägt, obwohl sie schon brennt. Da Holz langsam von außen nach innen abbrennt, müssen abhängig von Holzart und Konstruktionsform die Bauteile folglich nur größer dimensioniert werden. Die unschöne Brandschutzverkleidung kann somit entfallen.
Sorgfältige Holzauswahl
Die Tragkonstruktion wurde aus Bauholz der Festigkeitsklasse GL 24 bis GL 32 erstellt. Es handelt sich um Fichtenholz, das von einer Hochebene aus der Steiermark in Österreich stammt. Die Herkunft wurde mit Bedacht gewählt, da dieses Holz bedingt durch das dortige Mikroklima besonders gleichmäßig, verwindungsfrei und gerade gewachsen ist. Zudem weist es infolge des kühleren Höhenklimas und des etwas geringeren Luftdruckes eine kompaktere Reihung der Jahresringe auf und ist damit fester. Das Holz wurde mit einem Jahr Vorlauf geschlagen, witterungsgeschützt abgelagert und somit langsam getrocknet.
„Aus Gründen des Schall- und Brandschutzes wurden die Decken sehr schwer ausgeführt“
Statisches System und Bauablauf
„Die Tragkonstruktion ist kein Holzrahmenbau, sondern ein echter Skelettbau“, betont Martin Antemann immer wieder. Er war der verantwortliche Bauleiter von der Blumer- Lehmann AG aus Gossau, die für den konstruktiven Holzbau verantwortlich war. Obwohl die Ansicht des Tragwerks durchaus den Eindruck einer Rahmenkonstruktion erweckt, besteht der rund 18 m breite Bau aus acht Achsen mit jeweils vier Stützen, an denen die Horizontalträger mit zehn Zangen (jeweils fünf übereinander) montiert sind. Die Montage musste millimetergenau erfolgen und wurde mittels geodätischer Messgeräte überwacht. Die Zimmerleute produzierten die acht einzelnen Achsen in Teilen werksmäßig vor und stellten diese dann wie eine Rahmenkonstruktion nach und nach hintereinander auf. Die Handwerker platzierten die ersten jeweils 21 m hohen Stützen (Querschnitt 44/44 cm) am Bestandsbau und maßen diese exakt ein. Danach wurden die ersten fünf übereinander liegenden Zangenpaare montiert. Anschließend erfolgte eine kraftschlüssige Fixierung der Deckenträger mit den Stützen durch eigens dafür entwickelte und oval geformte Buchenfurnierdübel. Da die für diese Knotenpunkte erforderlichen Auslassungen die vertikalen Holzstützen stark schwächen, umgaben die Holztechniker die Holzdübel zusätzlich mit einem breiten, kragenartigen Ring aus Buchenfurnierholz. Schließlich sicherten die Holzbauer den Holzknoten durch einen seitlich sitzenden Holzsplint. Die weitere Montage folgte analog zum ersten Holzskelett.
Die einzelnen rahmenartig auf diese Weise erstellten, etwa 25 t schweren Skelettachsen wurden zum Erreichen der finalen Position mit einem Mobilkran noch einmal um wenige Zentimeter angehoben und dabei justiert. Diese vorübergehende Umkehrung des statischen Systems führte immer wieder zu einem lauten und durch die ganze Stadt vernehmbare „Ächzen im Gebälk“, das erst mit dem Absetzen der Last wieder zur Ruhe kam.
Das relativ steile Dach ist mit einem zurückspringenden Mansardengeschoss ausgestattet. Dessen zurückversetzte Innenstützen fungieren nicht als Last abtragende Stützen, sondern dienen lediglich als vertikale Holzverbindung. Statisch betrachtet „schweben“ sie. Allerdings wurden die konstruktiven Verbindungen ebenfalls in der oben beschriebenen Art der Ringdübelkonstruktion ausgeführt.
Erweiterung des Bestandsgebäudes mit gleichem Prinzip
Der Medienkonzern Tamedia war schon immer in dem Gebäudeblock in der Werdstraße ansässig. Das vorhandene Bestandsgebäude, an den der beschriebene Neubau als Verlängerung flussabwärts angebaut wurde, erhielt zudem eine zweigeschossige Aufstockung mit einer vergleichbaren Holzkonstruktion wie die der Erweiterung.
Augenfälliger Unterschied sind die 20,4 m langen Bogenträger, welche das Gebäude in Querrichtung stützenfrei überspannen. Diese Konstruktion war erforderlich, da die vorhandene Dachkonstruktion zu schwach dimensioniert war und nicht sinnvoll ertüchtigt werden konnte, um die zusätzlichen Auflasten aufzunehmen. Der Bodenaufbau der neuen zusätzlichen Geschossebene besteht aus Trapezblechen, auf denen die Trockenbauer mit Mineralwolle unterlegte, zementgebundene Spanplatten verlegt haben.
„Mit Bedacht ausgewähltes Holz erreicht eine hohe Festigkeitsklasse“
Tragende Struktur ist sichtbar
Das gesamte Holztragwerk, sowohl das der Dachaufstockung wie das des Anbaus, soll so natürlich wie möglich erscheinen. Alterungsbedingte Farbveränderungen wurden bewusst in Kauf genommen. So ist das Tragwerk komplett unbehandelt, wurde aber natürlich nach der werksmäßigen Herstellung, also dem CNC-basierten Zusägen und Ausfräsen der Leimholzbinder, in drei Lagerhallen bis zur Montage zwischengelagert. Auch war das Primärtragwerk zum Transport mit Folien und Kantenschutzprofilen gesichert. Mit dem Erreichen der endgültigen Einbauposition wurde Letzteres aber wieder entfernt. Beabsichtigt war eine gleichmäßige, der jeweiligen Lage entsprechende Farbveränderung zu erzielen und um jeden Fall schattenartige Veränderungen, etwa durch in die Folie eindringende Nässe und etwa so entstehenden Schimmel, zu verhindern.
Sandgefüllte Deckenkonstruktion
Die Zangen sind im Bereich des mittleren Feldes 25 mm überhöht und verlieren ihre nach oben gerichtete Biegung mit der Deckenauflast. Aus Gründen des Schall-, wie des Brandschutzes wurden die Decken ungewöhnlich schwer ausgeführt, indem man diese mit Sand ausfüllte. Hierzu wurden die von unten sichtbaren und ebenfalls in Holz ausgeführten Deckenelementen nicht nur mit den Horizontalträgern der Holzskelettkonstruktion verschraubt, sondern auch verleimt. Von oben wurde dann eine 8 cm starke Sandschicht eingebracht. Grundsätzlich wurde in den Deckenflächen nur noch sichtbare Ausbaueinheiten, wie die Beleuchtung und die Hochleistungskühldecken integriert. Alle horizontalen Leitungen und Kanäle verlegte man in einem Hohlraumfußboden oberhalb der Sandlage. Die besonders leistungsstarken Kühldecken sind erforderlich, weil die hier tätigen Redakteure und Graphiker der Medienunternehmens mit bis zu acht Bildschirmen ausgestattet sind und damit eine immense Wärmelast entsteht, die abgeführt werden muss.
Intermediate Space
Jede der fünf Geschosszangen der acht Hauptachsen ist in drei Felder aufgeteilt. Statisch wirken sie so als Durchlaufträger mit einer gleichmäßig verteilten Last. Dabei messen die beiden äußeren Tragfelder etwa 3,25 m, während das innere stützenlose Hauptfeld mit rund 11,25 m etwa dreieinhalb Mal so lang ist. Die so entstandene schmale Raumscheibe auf der Fluss- Seite nimmt das Treppenhaus sowie einen so genannten „Intermediate Space“ auf. Dieses sind kleinere Besprechungs- und Pausenräume, die allesamt eine große Glasfront zum Fluss Sihl besitzen, welche komplett geöffnet und daher diese Bereiche bei entsprechender Witterung als Balkone genutzt werden können.
Fazit
Aufgrund der hohen Anforderungen, die hinsichtlich der Passgenauigkeit in den Bereich einer Tischlerarbeit ging, haben die beteiligten Zimmerleute die Tragwerkkonstruktion recht zügig „Möbel“ genannt. Zweifellos wertet ein gelungenes Möbelstück eine Wohnlandschaft merklich auf, insbesondere wenn es eine gute handwerkliche Arbeit ist. Bezogen auf das Verlagshaus Tamedia ist dies mit der urbanen Landschaft in bester Weise gelungen.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bauhandwerk.de