Projektart:
Anfrage:
Objekt:
NatMus 🔗
Typ:
Nationalmuseum
Ort:
Staat:
Katar
Architekt:
Jean Nouvel 🔗, Paris
Materialien:
Faserbetonfasade
Publiziert:
baublatt 43/2019
Seiten:
28 - 31
Inhalt:
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National Museum Katar

Wüstensandrosen, scheibenweise

In Doha, der Hauptstadt von Katar, hat der französische Architekt Jean Nouvel das dortige Nationalmuseum geschaffen. Seine skulpturale Fassade ist an die Struktur natürlicher Wüstensandrosen angelehnt und besteht aus 539 sphärisch gekrümmten Faserbetonscheiben.
Der Wüstenstaat Katar rückt zunehmend in den Fokus architektonischer Aufmerksamkeit: Nicht nur zahlreiche Stadien entstehen derzeit oder wurden bereits fertiggestellt – wie man erst unlängst bei der dortigen Leichtathletik- Weltmeisterschaft gesehen hat. Auch an der Hafenmole seiner Hauptstadt Doha hat Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Thani mit dem Nationalmuseum einen ikonographischen Neubau geschaffen. Entworfen wurde dieser vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel, durch dessen Gesamtwerk sich die Auseinandersetzung mit der arabischen Kultur wie ein roter Faden zieht. So steht das Nationalmuseum von Katar in einer Reihe mit der Dependance des Louvre in Abu Dhabi (2017) und dem Kulturzentrum Institut du Monde Arabe in Paris (1987) – Nouvels allererstem Bau überhaupt.
Sein aktuelles, gut 450 m x 250 m großes Bauwerk kann getrost als Architekturskulptur bezeichnet werden; es besteht aus 539 sandbraunen, diskusartigen Scheiben, die ineinander verschnitten einen Durchmesser von jeweils bis zu 87 m aufweisen. Hierzu ließ sich Nouvel von Wüstensandrosen inspirieren, die in dem trockenen Staat zu finden sind. Dies sind natürliche, mineralische Strukturen, die bei der Verdunstungskristallisation gipshaltiger Sande entstehen. Er verteilte die tellerartigen Strukturen auf zwei ungleich große Volumina von bis zu 40 m Höhe, die den alten Herrscherpalast umklammern. Die einstige Residenz des Al- Thani- Geschlechts wird von diesem nicht mehr bewohnt und ist heute Teil des Museum. Dazu wurde der Bestandsbau unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten aufwändig restauriert und saniert. Der Rundgang durch das Museum misst eine Länge von rd. 1,5 km und gipfelt schließlich im Palastbesuch. Themen der Dauerausstellung sind der Ursprung, die Herkunft, das Selbstverständnis sowie der Wandel Katars vom Beduinenstaat zur heutigen Wirtschaftsnation.
Tragflächenunterkonstruktion
Die geometrisch anspruchsvolle Gebäudehülle besteht aus tellerartigen, doppelt gekrümmten FRC- Paneelen (FRC = Fibre Reinforced Concrete = Faserbeton). Die Elemente sind nicht massiv, in ihrem Inneren weisen sie eine spantenartige Konstruktion auf, die an das Innenleben von Flugzeugtragflächen erinnert. Die bewehrungsstahlfreien und im Verhältnis zu regulären Betonfertigteilen leichteren Elemente sind mit Hilfe verdeckt angebrachter Befestigungsanker auf eine justierbare Stahlunterkonstruktion (SSS = Secondary Steel Structure) montiert. Dennoch ist ihr Gewicht infolge ihrer durchgehenden Wandstärke von 40 mm immer noch beachtlich – und das, obwohl sie kein Teil der Tragkonstruktion sind. In offenen Fugen zueinander montiert, kann in diese der selten auftretende Regen eindringen und wird dann über die Unterkonstruktion abgeführt. Infolge dieser Abstände können sich die Elemente jedoch allseitig ausdehnen und damit die immensen Temperaturschwankungen, aber auch die Bewegungen der Konstruktion spannungsfrei ausgleichen. Die Elemente wurden mit einer definierten Fixing- Logik auf die Unterkonstruktion montiert, so dass es möglich ist, einzelne Paneele auch mitten in einer Tellerfläche zu demontieren. Man muss sich bei Reparaturarbeiten also nicht vom Rand her an diese annähern.
Das Stuttgarter Ingenieurbüro Werner Sobek entwickelte für den koreanischen Generalunternehmer, der mit der Stellung des 4340 Mio. Euro teuren Baus beauftragt war, die Leitdetails der Faserbetonsilhouette. Dabei legte man die exakte Position der Paneelfixierung an der Unterkonstruktion mittels einer parametrischen Software fest, mit deren Hilfe auch die entsprechenden Spannweiten ermittelt und optimiert wurden. Besagte SSS ruhen ihrerseits auf einem polygonalen Stahlgerüst (PSS = Primary Steel Structure), das verstellbare Stutzen („Stubs“) mit Anschweißbolzen aufweist. Grundsätzlich war eine dreidimensionale Justagemöglichkeit und eine individuelle Platzierung dieser Stutzen von zentraler Bedeutung für die Realisierung der diskusförmigen Struktur, da auch die gekrümmte primäre Unterkonstruktion der generellen Kugelkalottengeometrie der Fassadenteller folgt.
Elementfertigung
Für eine kostenorientierte Realisation wurden die Scheibensegmente nach rotationssymmetrischen Prinzipien bewertet und produktionstechnisch vorsortiert; immerhin galt es rd. 106.000 m² an sphärisch gekrümmter FRC- Fläche zu erstellen. Die Einzelelemente, die wie Scherben einer Diskusscheibe wirken, basieren auf genau diesem statischen Prinzip. Sogenannte "Disk Cladding Patterns" bilden eine Scheibengroßform und unterscheiden sich voneinander nur im Durchmesser, den Radien und den Umrissen. So konnten trotz der vermeintlichen Vielfalt alle Elemente lediglich 30 verschiedenen Disc- Typen zugeordnet werden. Das gewünschte architektonisch lebendige Bild entsteht durch deren Mischung und Verzahnung.
Die horizontalen Scheiben weisen in der Regel größere Durchmesser auf als die vertikalen Gegenstücke. Insgesamt wurden durch den Betonfertigteilbauer 3.000 verschiedene Schalungselemente erstellt, die durchschnittlich 20 bis 30-mal wiederverwendet wurden. Für den Schalungsbau wurde zunächst mit einer Fünf- Achs- Fräsmaschine aus einem Polystyrolblock eine Musterform geschnitten, mit deren Hilfe man einen Silikonabdruck erstellte. So ergaben sich robuste und vor allem wiederverwendbare Abgussmatrizen. Zudem war es mit dieser Technik machbar, rd. 3.000 unterschiedliche Paneeltypen bis auf den Bruchteil eines Millimeters genau zu fertigen. Ein Fassadendiskus ist niemals ein einziges Betonfertigteil, sondern besteht grundsätzlich aus vielen Einzelteilen, die auf besagter SSS fixiert sind. Alles in allem ergab sich eine Anzahl von rd. 76.000 Faserbetoneinzelelementen. Dabei sind die einzelnen Faserbetonelemente größer als sie auf den hier angefügten Abbildungen erscheinen – die Dimensionen des Bauwerks sind einfach riesig!
Tatsächlich sind die Fassadenpaneele bis zu 5,00 m lang und bis zu 2,00 m breit. Ihre Größe wurde pragmatisch festgelegt, so dass sie mit einem regulären LKW noch transportabel und von Arbeitern unkompliziert montierbar waren.
Hinter der Fassade
Leicht ist man versucht, dem folgenden Detail keine Beachtung zu schenken, aber natürlich sind die Faserbetonscheiben im Geiste einer Sandrose eine camouflageartige Verkleidung einer klassischen Pfosten- Riegel- Fassade. Glasscheiben und geschlossene Wandpaneelen stellen sowohl die thermische Trennung wie eine Regendichtigkeit her. Zudem durchdringen die runden Scheiben einander immer wieder, so dass nur selten eine vollständige Scheibe ausgeführt ist – immer wieder fehlt eine kuchenstückartige Partie. Mal wird mit einem Ausschnitt eine Ecke der Glasfassade umschlossen, ein andermal durchdringen sich zwei Scheiben.
Die Faserbetonoberflächen sind komplett unbehandelt. Eine Verschmutzung entsteht vor allem durch Wüstenstaub und durch wenige, dafür aber sehr starke Regenfälle. Die Fassade wird bei Bedarf händisch gereinigt. So finden sich zu allen horizontalen Fassadenflächen unauffällige Ausgänge in Form diskreter Schlupftüren oder Dachklappen, auch gibt es überall fest installierte Sicherungsleinen. Beim Betreten der Ausgänge klickt man sich einfach in die Sicherungsleinen ein.
Wegweisendes
Der Planungsprozess erfolgte auf Basis eines BIM- Modells (Building Information Modelling), in das alle beteiligten Fachplaner und ausführenden Firmen ihre aktuellen Planungs- und Bauzustände kontinuierlich einspeisten. Dabei war das National Museum von Katar während seiner Bauzeit nicht nur wegen seiner beachtlichen Größe, sondern auch aufgrund seines außergewöhnlich hohen Detaillierungsgrads (LOD 400) das weltgrößte BIM- Modell überhaupt.
Eigentlich müsste Nouvel mit dieser neuen Architekturinkunabel, die einen Vergleich mit der Oper von Sydney oder der Hamburger Elbphilharmonie nicht scheuen braucht, definitiv den Pritzker- Preis, den sogenannten Architektur- Oscar, zuerkannt bekommen. Das ist jedoch nicht möglich, da er den Preis bereits 2008 erhalten hat.
Robert Mehl, Aachen
https://www.baublatt.ch/katar