Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Kenitra TGV
Typ:
Bahnhof
Ort:
Kenitra [Satellit]
Staat:
Marokko
Architekt:
Materialien:
Maschrabiyya-Fassade aus Betonfertigteilen
Publiziert:
Beton Bauteile 2021
Seiten:
152 - 157
Inhalt:
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TGV- Bahnhof, Kenitra/MA

Es fährt ein Zug zum Suq

Marokko erhält ein TGV- Hochgeschwindigkeitsnetz. Dessen erstes Teilstück von Tanger bis kurz vor die Hauptstadt Rabat ist seit zwei Jahren in Betrieb und endet aktuell in Kenitra. Der dortige Bahnhof besitzt eine Fassade aus 800 vorgefertigten Weißbetondrei-ecken der Marke Ductal.
2019 wurde der neue, rd. 30 Mio. Euro teure Fernbahnhof von Kenitra vollendet. Er stellt aktuell den südlichen Abschluss des ersten Teilstücks des im Aufbau befindlichen marokkanischen Hochgeschwindigkeitsnetzes dar, welches in Tanger am Mittelmeer seinen Ausgang hat. Das insgesamt mit 2,1 Mrd. Euro veranschlagte Infrastrukturprojekt soll einmal aus einer Trasse längs des Atlantiks bestehen und auf Höhe der Hauptstadt Rabat einen Abzweig ins Landesinnere nach Marrakesch erhalten. Visionär geplant ist zudem eine Untertunnelung der Straße von Gibraltar.
Das 13.500 m² große Gebäude liegt südlich der Altstadt von Kenitra und ist ein Hybrid aus Bahnhof und Shopping Mall. Dessen französischer Architekt Silvio d‘Ascia betrachtet es städtebaulich als Bindeglied zwischen der City und einem neuen, jenseits der Gleise gerade entstehenden, modernen Quartier. Daher besitzt der Bau einen brückenartigen Gebäudebügel, der über die Gleisharfe spannt. Entlang der Gleise erstreckt sich der Bahnhof über gut 200 m, eine Länge, die für einen TGV in einfacher Zusammenstellung ausreicht. Zur Innenstadt gewandt zeigt sich der 12 m hohe Bau als schachtelartiges Volumen. Seine Glasfassade besteht aus einem Netz kleinteiliger Weißbetondreiecke, die durch acht parabelartige Bogenöffnungen – die Zugänge – gegliedert wird.
Arabische Hommage
Die Fassade ist von so genannten Maschrabiyyas inspiriert – arabischen Fenstergittern, die oft unverglast und damit luftdurchlässig, jedoch durch ihre enge Struktur meist blickdicht sind. Sie dienten in alten Zeiten vor allem der Belichtung und Belüftung eines Harems. Dabei ermöglichten sie den Bewohnerinnen einen diskreten Blick auf das Leben auf der Straße. Die hybride Eigenschaft aus Licht- und Schattenspender nutzte der Architekt d‘Ascia auch beim Bahnhof: Frischluft gelangt in das Gebäude weitgehend aus südlicher Richtung vom offenen Bahnsteig an Gleis 1 hinein. Dahinter hat der Architekt eine dreigeschossige Bahnhofshalle angeordnet. Sie fungiert als öffentlicher Raum und lädt nicht nur zum Reisen, sondern auch zum Verweilen ein. Die Entwurfsidee ist die eines Bazars – nur in einem zeitgemäßen Gewand.
Spitze Betontechnologie
Das vertikale Fassadennetz bilden 800 dreieckige Rahmen aus dem Ultrahochleistungsbeton (UHPC) der Marke Ductal des Herstellers Lafarge. Darin eingelassen sind Glasscheiben, die jedoch nicht an den Betonelementen angeschlagen sind, sondern erst dahinter auf der stählernen Unterkonstruktion sitzen. Zwischen dem Stahl und der zementösen Verkleidung aus Weißbeton liegt eine wasserabführende Folienbahn, falls die Fassade Schlagregen ausgesetzt sein sollte. Auch innenseitig wurden dreieckige Fensterrahmen aus UHPC- Beton montiert. Beide Faserbetonelemente umgreifen daher profilartig die Tragkonstruktion aus Stahl. Diese bildet eine Mittelachse, in der auch die doppelte Verbundsicherheitsglasscheibe sitzt.
Gefertigt wurden die Betonbauteile von Bearch – Bétons fibrés architectoniques, einem Herstellerkonsortium mit Hauptsitz in Bouznika, knapp 40 km südwestlich von Rabat. Es handelt sich um den offiziellen Ductal- Lizenznehmer von Lafarge in Marokko. Während das marokkanische Ingenieurbüro Jet Contractors aus Skhirat für die Ausführungsplanung und die Betreuung der Betonkonstruktion zuständig war, stammt die Tragwerksplanung vom französischen Büro Kephren Ingeniérie.
Alle Betondreiecke der Fassade scheinen einander gleich zu sein, sie unterscheiden sich jedoch in subtilen Details, gleichwohl ihre Länge einheitlich bei 170 cm und ihre Höhe bei 120 cm liegen. Die Produktion der Rahmendreiecke erfolgte mittels einheitlichen Stahlformen, die mit Abstellern individuell konfiguriert wurden. Darüber hinaus wurden alle Betonbauteile digital gekennzeichnet, um sie an der Baustelle eindeutig ihrer vorgesehenen Position zuzuweisen. Die Fassadenmontage erfolgte erst nach Fertigstellung des Tragwerks und wurde in knapp sechs Monaten ausgeführt.
Nachhaltige Klimatisierung
Das Dachtragwerk scheint ebenfalls aus Weißbetondreiecken zu bestehen, ist jedoch eine mit Gipskartonplatten verkleidete Stahlkonstruktion, auf der das gläserne Flachdach aufliegt. Im Satellitenbild erkennt man, dass die Dachfläche aus quadratischen Feldern besteht, deren Unterkonstruktion eine zusätzliche Diagonalstrebe aufweist. Statisch dient diese der Dachaussteifung, ist aber darüber hinaus ein kulissenartiges Element. So ist ein großer Teil der quadratischen Dachfelder mit halbtransparenten Photovoltaikelementen belegt, hier wären die Dreiecke eher hinderlich. Mit ihnen wird der Strombedarf des Bahnhofs vollständig generiert.
Die halbtransparenten PV- Elemente bewirken in Ergänzung zur Dreieckskonstruktion des Daches und der Fassade eine spürbare Verminderung der Sonneneinstrahlung. Zudem wird eine Querlüftung der Bahnhofshalle mittels gläserner Lamellenfenster auf der Gebäudenordseite sichergestellt. Die Horizontallamellen nehmen 10 % der Fassadenfläche ein und werden zentral gesteuert. Dieser umfassende, passive Sonnenschutz schenkt dem Besucher das Gefühl, er stehe unter einem hohen, wohltemperierten Blätterdach. Und das, obwohl Kenitra bereits im Wüstengürtel der Erde liegt!
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com