Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Hyparschale
Typ:
Veranstaltungsbau
Ort:
Magdeburg [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Materialien:
gmp architekten 🔗 (Sanierung)
Publiziert:
BHW 11/2020
Seiten:
47 - 51
Inhalt:
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Sanierung Hyparschale Magdeburg

Die zweite Haut

Die fast verfallene Magdeburger Hyparschale von Ulrich Müther wird aktuell umfassend saniert. Dabei wird als Weltpremiere ihr doppelt gekrümmtes Schalendach mit Carbonbeton ertüchtigt.
Insgesamt schuf Ulrich Müther, der große Konstrukteur der DDR, 74 Schalenbauwerke. Sein bekanntestes Bauwerk dürfte die Rettungsstation von Binz auf Rügen sein. Auch die im Jahr 2000 abgerissene Berliner Großgaststätte „Ahornblatt“ an der Kreuzung Gertrudenstraße/Fischerinsel dürfte vielen noch ein Begriff sein. Die 1969 realisierte Magdeburger Hyparschale (ein Begriff, den Müther anstatt des sperrigeren „hyperbolischen Paraboloids“ prägte) ist der ältere Bau eines Zwillingspärchens. Der andere, drei Jahre jüngere und etwas kleinere ist das Dresdener Ruderzentrum Blasewitz. Beide Bauten bestehen aus vier hyperbolischen Paraboloiden, die zu einem Quadrat angeordnet sind. Im Grunde erinnert ihre Konstruktion vage an das Kinderfaltspiel „Himmel und Hölle“. Auch das Pappbastelwerk basiert auf einer quadratischen Grundfläche mit weit außen liegenden Hochpunkten, in diese werden die Finger zum Bewegen hineingeführt. Getrennt sind diese vier Höcker von zwei Falzkanten, die im rechten Winkel zueinander verlaufen. Bei der Magdeburger Hyparschale befinden sich auf diesen Linien Oberlichtbänder, die ursprünglich in Glasbausteinen ausgeführt wurden, nach der Sanierung aber als Glasdächer angelegt sein werden. Bei beiden Hallenbauten liegen die Firstpunkte ganz in den Gebäudeecken, ihre leicht gekrümmten Dachflächen fallen zur Mitte hin ab. Die Traufpunkte liegen in den Fassadenmittelachsen. An diesen Punkten springen Zuganker diagonal vor und leiten die Druckkräfte in den Untergrund ab. Ein Zugseilkanal schließt analog zu einer Bogensehne die Druckkräfte mit der gegenüberliegenden Seite kurz.
Infolge der doppelten Dachkrümmung liegt das Zentrum der Vierfachschale höher als die äußeren Traufpunkte und bildet eine Vierung. Vor allem über die vollverglasten Fassadenecken wollte Müther einen maximalen Tageslichteintrag erreichen.
Spektakulär war die ursprüngliche Betonage der Dachschalen, die auch damals in Spritzbeton erstellt wurden. Die Bauweise wurde seinerzeit noch nach dem Erfinder und Hersteller der Spritzpumpen „Torkretverfahren“ genannt. Aufgebracht wurde die nur 7 cm starke Betonschicht auf eine hölzerne Tragschalung, die Betonage jeder Teilschale in einem Guss – ganz ohne Betonierabschnitte. Stolz erinnern sich Handwerker in dem MDR- Dokumentarfilm „Schwung statt Platte“ an die damaligen anstrengenden Arbeiten und resümieren: „Wenn ein Betonarbeiter nach 12 Stunden umfiel, kam der nächste und nahm ihm buchstäblich die Spritze aus der Hand!“
Die vollkommen stützenfreie, 48 × 48 m große Halle war seit 1997 ungenutzt und tendierte zum Verfall. Und noch immer steht auf der südöstlichen Teilschale eine kleine Birke, die die Handwerker augenzwinkernd dulden. Die Magdeburger Hyparschale wird nunmehr nach einem Sanierungskonzept von gmp Architekten aus Hamburg instandgesetzt, wobei dem Erhalt des Innenraums eine Schlüsselbedeutung zukommt.
Schaleninstandsetzung
Die vier durch zahlreiche Risse geschädigten Hyparschalen der Dachteilflächen werden derzeit mit einer Carbonbetonummantelung instandgesetzt und ertüchtigt. Die Teilschalen sind statisch nicht dafür ausgelegt, dass man für ihre Instandsetzung noch mehr Beton aufbringen kann. Deshalb werden die ursprünglich 7 cm dicken Schalen beidseitig um je 1 cm abgeschliffen und anschließend genauso viel Substanz neu aufgebracht. Somit werden die Gebäudeproportionen nicht verändert, was sehr im Sinne der Denkmalpflege ist.
Die vorbereitenden Arbeiten begannen im Dezember 2019, mit dem Aufbringen des Carbonbetons konnte im Juni 2020 begonnen werden. Nach dem Einrüsten und dem Unterstützen der einsturzgefährdeten Teilschalen wird aufgrund statischer Erwägungen in diagonaler Abfolge saniert. Erst wird die nordöstliche, dann die südwestliche Teilschale instandgesetzt, anschließend folgen über Kreuz die beiden anderen.
Dabei wird zunächst die oberste, etwa 1 cm starke Betonschicht der Teilschalen mit einem Höchstdruckwasserstrahl von 2.000 bar abgehoben, so dass die Zuschläge des Betongefüges freigelegt werden und eine subtile Waschbetonoptik entsteht. Mit ihr ergibt sich eine Rautiefe, die eine Verkrallung des ergänzenden Materials mit dem Bestand ermöglicht. Bisweilen führte das Höchstdruckstrahlen zu kompletten Fehlstellen, diese stemmten die Betonbauer vollends auf und schlossen sie mit herkömmlichen Verlegemörtel. Als Oberfläche wurde dieser mit einem Besenstrich versehen. Grundsätzlich wurde der aufgearbeitete Bestand überall abgespachtelt, bevor die Betonbauer ihn mit Carbonbeton überzogen. Bei dem verwendeten Beton handelt es sich streng genommen um einen hochfesten Spachtel, den Tudalit TF 10 des Herstellers Pagel. Er verfügt über ein Größtkorn von 1 mm und eine Druckfestigkeit von 80 N/mm².
Das Material wird im Halleninnenraum durch einen unter erhöhtem Atemschutz tätigen Arbeiter frisch angemischt und mittels einer stationären Betonpumpe auf das Schalendach gefördert. Ein anderer bedient die Spritze in Größe eines stattlichen Bohrhammers und verteilt die zähe Masse auf dem vorbereiteten Untergrund. Ein weiterer Arbeiter streicht mit einem Schieber die Masse so glatt, dass die erste, rund 5 mm starke Schicht entsteht. Nun wird die Bewehrung in Form einer langgestreckten Carbongewebematte aufgelegt und unmittelbar im Anschluss durch eine zweite, ebenfalls 5 mm starke Betonschicht bedeckt. Die Arbeiten erfolgen also wie bei einem Fresko nass in nass. Nach Fertigstellung der Deckschicht wird der frische Beton mit Tüchern großflächig abgedeckt, um dessen schnelles Austrocknen zu verhindern und um sein gleichmäßiges Abbinden sicherzustellen.
Von der Forschung zur Anwendung
Was auf der Oberseite der Schalung verhältnismäßig einfach erscheint, wird auf der Unterseite zur technologischen Herausforderung. Die Ingenieure haben den Spritzbeton so eingestellt, dass er auf dem aufgerauten Bestand hervorragend haftet, weshalb der Technologielieferant, die Dresdener Carbocon GmbH, davon ausgeht, dass die verhältnismäßig leichte Bewehrung – die von ihnen gelieferte Carbonfasermatte – auf der Unterseite nur leicht in die erste Spritzbetonlage eingedrückt werden muss, um bis zum Auftrag der Deckschicht festzuhaften und nicht herunterzufallen. Sollte dies allerdings nicht ausreichen, kann man diese mit Schrauben im Untergrund befestigen. Dies wurde bereits erfolgreich beim umlaufenden Randbalken auf der Oberseite praktiziert. Hier gibt es Übergänge in Hohlkehlenform, wo eine Bewehrungsfixierung in der Rundung erforderlich war.
Beachtlich ist der statische Effekt dieser Ertüchtigung, die in ihrer Materialstärke durchaus kosmetisch erscheint und vielleicht an einen Dünnputzauftrag erinnert: Mit ihr wird die Tragkraft der Schale nicht nur wiederhergestellt, sondern um das Anderthalbfache erhöht!
Die zugrunde liegende Technik wurde an der TU Dresden am Institut für Massivbau von Prof. Manfred Curbach entwickelt. Der Institutsleiter ist einer der drei Gründungsgesellschafter der Carbocon GmbH, die bei dieser Hyparschalensanierung der Technologielieferant ist. Tatsächlich handelt es sich bei der Sanierung der Magdeburger Hyparschale um die weltweit erste Anwendung der Technologie. Letztendlich erhoffen sich die Entwickler eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, bei dieser Sanierung handelt es sich noch um eine Zustimmung im Einzelfall.
Stützen und Balken
Mit der Instandsetzung wird das Dach auch neu gedämmt. Hier planen gmp, auf den ertüchtigten Beton zunächst eine Bitumengrundierung aufzutragen, die dann mit einer 15-20 cm starken Gefälledämmung belegt wird. Die wasserführende Schicht wird schließlich eine helle Dachbahn sein, die den Aufbau nach oben abschließt. Die neue Dämmung wird auch um die außenliegenden Dachbalken herumgeführt. Letztere bleiben weiterhin erkennbar, erhalten aber eine Abdeckung in Form eines Attikablechs. Sowohl die Randbalken wie auch die anschließenden Auskragungen werden zudem mit Carbonbeton ertüchtigt.
Die äußeren Diagonalstützen, die die Druckkräfte der Dachflächen in das Erdreich und dort an die durchlaufenden Zugseilkanäle weiterleiten, bedürfen ebenfalls einer Sanierung. Bedingt durch die Belastung droht hier der Beton derzeit zu bersten. Deshalb sind die Stützen provisorisch mit Stahlklammern zusammengehalten. Geplant ist, die massiven, längs der Achse verlaufenden Risse zu verpressen und eine zusätzliche Querbewehrung zur Aufnahme der Querkräfte einzubringen. Ausgeführt wird dies in Form von Kernbohrungen, in welche Bewehrungsstäbe eingeführt, diese ebenfalls verpresst und schließlich von Kopfplatten gehalten werden. Zur Kaschierung derselben werden die Diagonalstützen tatsächlich ummantelt, ihr Querschnitt wächst so leicht an. Jedoch gibt sich Sophie von Mansberg, Projektleiterin bei gmp, zuversichtlich, dass man diesen Detailunterschied später kaum wahrnehmen wird, da keine optischen Vergleichsmöglichkeiten gegeben sein werden und zudem die Stützendimension in keinem signifikanten Verhältnis zur Dachschale steht.
Künftige Nutzung
gmp Architekten planen, den Müther- Bau künftig als Mehrzweckhalle zu nutzen. Hier werden im Anschluss an die Schalensanierung zusätzliche Galerieebenen und begehbare Brücken im Innenraum geschaffen. Dieses bietet sich insofern an, da benachbart die derzeit ebenfalls in Sanierung befindliche Magdeburger Stadthalle steht. Sie ist ebenfalls ein Baudenkmal, wurde 1926 im Stile des Backsteinimpressionismus errichtet, dessen bekanntester Vertreter das Hamburger Chilehaus sein mag. Beide Sanierungen zusammen lassen auf der Magdeburger Elbinsel ein Eventensemble aus sanierten Baudenkmälern in zeitgemäßer Bautechnik entstehen.
Robert Mehl, Aachen