Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Estádio Governador Magalhães Pinto
Typ:
Fußballstadion
Ort:
Belo Horizonte [Satellit]
Staat:
Brasilien
Architekt:
Materialien:
Stahlbeton
Publiziert:
DBZ-Stadionheft 2014
Seiten:
32 - 35
Inhalt:
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Estádio Governador Magalhães Pinto in Belo Horizonte

Mit Respekt vor Oscar Niemeyer

 
Das Estádio Governador Magalhães Pinto zählt zu den Fußballstadien, die für die Weltmeisterschaft nicht neu errichtet, sondern aufwändig ertüchtigt und saniert worden sind. Die gemeinsame Spielstätte der beiden Traditionsvereine Atlético Mineiro und Cruzeiro Esporte Clube zählt zu den Frühwerken Oscar Niemeyers. Sie liegt am Südufer des künstlich angelegten Pampulha- Sees in der vom Bergbau geprägten Industriestadt Belo Horizonte. Hier hatte der berühmte Architekt in seinen ersten Berufsjahren gewirkt und dabei den späteren Präsidenten Brasiliens Juscelino Kubitschek kennengelernt. Letztlich entsprang aus dieser Verbindung Niemeyers Auftrag, für die neue, am Reißbrett geplante Hauptstadt alle öffentlichen Gebäude zu entwerfen, die 1987 zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Ebenfalls im Stile der von Le Corbusier stark geprägten brasilianischen Moderne – Niemeyer war zuvor leitender Mitarbeiter bei diesem – entstand zwischen 1963 und 1965 das Stadion von Belo Horizonte. Es steht heute unter Denkmalschutz. Für die Architekten von gmp war es daher eine besondere Herausforderung und Ehre, dieses in die Jahre gekommene Bauwerk zu sanieren, zu modernisieren und für die bevorstehende Weltmeisterschaft zu ertüchtigen, ohne ihn seines besonderen Charakters zu berauben.
Außen alt, innen neu
Dazu ließen die Architekten dessen äußere fußläufige Erscheinung formal unangetastet. Diese wird geprägt von der Sichtbetonkonstruktion des Oberranges und der sich daran anschließenden Tribünenüberdachung. Diese ist eine ins Stadion kragende, speichenartige Anordnung von Betonsegmenten. Der Unterrang wie auch die zentrale Spielfläche wurden hingegen neu angelegt. Konzipiert wurde der Bereich in idealer Sichtliniengeometrie, die mit einer maximalen Nähe zum Spielfeld einhergeht. Die Neuanlage des Unterranges erlaubte zudem die Schaffung neuer FIFA-konformer Funktionsbereiche sowie das Absenken seines Oberranganschlusses um 1,50 m. Mit diesem „Tieferlegen“ entstand eine markante architektonische, horizontale Zäsur. Diese erlaubte es gestalterisch, zwischen den beiden Rängen nun zwei volle Logengeschosse statt bisher nur einem einzigen hier einzufügen. Ferner konnte mit dem Umbau die Zuschauerzahl von 60 000 auf nunmehr 70 000 erhöht werden.
Das gedachte Dach
Mit dem neu angelegten Unterrang, der deutlich näher an das Spielfeld heranreicht, war auch eine Vergrößerung des Daches zur Stadionmitte hin erforderlich. Aus Respekt vor dem historischen Bestand, aber auch aus statischen Erwägungen heraus wählten die Architekten ursprünglich eine ultraleichte Ringseilkonstruktion, die unterhalb der alten Teilüberdachung an diese ansetzen sollte. Die Konstruktion sollte mittels Luftstützen, Zugseilen und einem schwebendem Ringanker getragen werden. Leider ist dieser Entwurf nicht zur Ausführung gekommen und eine von dem Generalunternehmer favorisierte Version wurde realisiert. Ausgeführt wurde nun eine Version bei der an jeder radialen Achse der obere, nach innen gewandte Kragarm, der das alte Stadiondach trägt, auf seiner Unterseite mit einem Stahlfachwerk verstärkt wurde. Diese ragt über dieses zur Stadionmitte hin aus und nimmt die neue Dachfläche auf. Sie besteht aus radial angeordneten, transluzenten Kunststoffpaneelen, die teilweise mit Photovoltaikelementen bestückt sind.
Nachhaltig, aber gut?
Mit der Sanierung des Stadions wurde bewusst das Erreichen einer Zertifizierung nach dem internationalen Green Building Standard angestrebt. Im Sinne eines ganzheitlichen und ökologischen Bewusstseins wurde daher schon bei den Umbaumaßnahmen auf den Energie- und Wasserverbrauch geachtet sowie die Ökobilanz der eingesetzten Materialien kontrolliert und der Einsatz von effizienten bautechnischen Anlagen überwacht. Die deutschen Planer hatten die Sanierung ganz im Sinne des Fortschrittsideals der klassischen Moderne interpretiert und wollten den Genius Loci zeitgemäß weiterführen. Leider haben wirtschaftliche Erwägungen dieses Form-follows-function- Ideal arg beeinträchtigt.
Robert Mehl, Aachen