Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Museum
Ort:
Lüttich [Satellit]
Staat:
Belgien
Architekt:
Rudy Ricciotti 🔗, Bandol
Materialien:
Altbausanierung, Betonfertigteile, Glas
Publiziert:
BFT 08/2016
Seiten:
38 - 42
Inhalt:
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Erweiterung des Museums "La Boverie" in Lüttich

Bäume aus Beton

Das historistische Lütticher Museum "La Boverie" wurde um einen modernen Glasquader erweitert. Die tragende Stützenkonstruktion besteht aus Sichtbetonfertigteilen, erstellt aus SVB, die mit Kalksteinmehl aus lokalen Steinbrüchen aufgehellt wurden.
Auf den ersten Blick erwartet man nicht, dass dieser historistische Bau, der parkseitig entfernt an das Potsdamer Schloss Sanssouci erinnert, vor allem ein Denkmal moderner Bautechnik ist. Tatsächlich handelt es sich hier um das welterste Gebäude mit einer Gründung aus rd. 10 m tiefen Betonrammpfählen. Der Untergrund besteht an dieser Stelle aus Schwemmland, was bei einer Flussinsel - wie hier in der Maas - kaum verwundert. Errichtet wurde das Gebäude als Ausstellungspavillon für die erste belgische Weltausstellung anno 1905 (die zweite – bekannt durch das Atomium - war 1958 in Brüssel). Lüttich wurde damals gewählt, weil die belgische Stadt in jener Zeit eine führende Industriemetropole war, bekannt für ihren Stahl. Das heutige Kunstmuseum ist das letzte Gebäude, das von dieser Schau erhalten blieb.
Transparentes "Nichts"
Der Bau befindet sich heute außermittig in einem kleinen Park auf der stromaufwärts gelegenen Inselspitze. Seine Gebäuderückseite steht sehr nahe am Ufer des schmaleren Maasarms. Zwischen Pavillon und Fluss stellte der französische Architekt Rudy Ricciotti, (MUCem in Marseille) eine 1.000 m² große Erweiterung. Seine Idee war, mit einem transparenten "Nichts" das Gebäude zu vergrößern und die umgebende Landschaft in das Gebäude mit einzubeziehen, sie zum Teil der Ausstellung zu machen.
Konkret geht es um eine Baumallee, die entlang des Maasufers auf der Insel verläuft, und um die Bäume, die auf Höhe des Museums dem Anbau weichen mussten. In die Flucht der Allee stellt der Architekt Baumstützen aus Beton, die nunmehr das flache Dach des Anbaus tragen und die von vertikalen Glasflächen umschlossen werden. So scheint die Baumflucht durch den aus nur einem rd. 6 m hohen Saal bestehenden Bau hindurchzulaufen und sich auf der der anderen Seite fortzusetzen.
Der Anbau "schwebt" zwischen 3 - 5 m über dem Erdboden, ein Gehweg und eine Fahrstraße für die Anlieferung laufen unter ihm parallel zum Fluss hindurch. 34 Rundstützen prägen diesen Ort, sie dienen teilweise den erwähnten Baumstützen des Saales als Auflager. Auch versteht der Architekt diese als Hinweis auf die Betonpfahlgründungen, die ebenfalls für den Anbau erforderlich waren.
Lütticher Säulenordnung
Wie in der Klassik finden wir an dem Lütticher Museum eine abstrakte Säulenordnung. Bei den alten Griechen war es der bekannte Akkord aus "dorisch, ionisch, korinthisch", hier ist es ein formal reduzierter Zweiklang aus einer schlichten, auffallend glatten Säule und einer darauf fußenden, dazu sehr aufwendigen Kreuzstütze.
Während die Unteren als Ortbetonstützen mittels einer runden Stahlschalung erstellt wurde, wurden eine Ebene darüber, die Stützen im saalinnern in Betonfertigteilbauweise erstellt. Lediglich getrennt durch die Erdgeschossbodenplatte stehen sie lotrecht auf diesen. Mit ihrem diagonal breiter werdenden Kopfende und dem vergrößerten Stützenfuß erscheinen diese Stützen wie die Dachlast tragende Bäume. Sie besitzen einen kreuzförmigen Grundriss mit regelmäßigen Schenkeln. Diese Form wirkt als zusätzliche Queraussteifung der Halle; eine elegant-konstruktive Lösung, die der gesetzlichen Auflage nach einer erhöhten Gebäudestabilität gerecht wird, da Lüttich als erdbebengefährdet gilt.
Produziert wurden die 21 Innenraumstützen aus Selbstverdichtendem Beton (SVB) in den Niederlanden von Hurks prefabbeton. Den SVB erstellt das auf Architekturbeton spezialisierte Unternehmen generell unter Verwendung von CEM 1 Zement, den es aus dem Mahlwerk Elsa in Gesecke der HeidelbergCement AG bezieht. Gewonnen wird daraus ein Beton der Festigkeitsklasse C 50, mit einer standardisierten Graufärbung, die durchweg dem RAL- Farbton 9009 entspricht. "Eigentlich wollte der Architekt die Stützen in UHPC erstellt haben, was sicher eine noch attraktivere Oberfläche ergeben hätte, doch war das dem Bauherrn zu teuer!" bedauert Rik Weyns, der zuständige Projektleiter der Hurks group.
Auf Wunsch der Architekten wurden die Fertigteile mit lokalem Kalksteinmehl versetzt und so leicht aufgehellt, um einen identischen Farbton wie den der nicht in SVB erstellten Sichtbetondecke zu erzielen. Tilman Reichert, leitender Architekt bei Rudy Ricciotti Architecte verweist auf seine Erfahrung, dass eine Farbsynchronisation über Aufhellen leichter zu erzielen sei, als durch Abdunkeln. Denn bei letzterem - man erinnere sich an Malkasten aus Schulzeiten - würde eine vergleichende Farbanpassung durch Beimischen meist dunkler werden, als man es sich eigentlich vorgestellt hatte. Am Ende betrug der Kalksteinmehlanteil der Stützen rd. 3 % des Zementansatzes. Gefertigt wurden die Kreuzstützen in einer stehenden Matrizenschalung in einer schnellen Abfolge, um Farbschwankungen infolge unterschiedlicher Materialchargen zu vermeiden.
Vorgespanntes Deckengitter
Referenz für den Grauton war die Färbung der vorgespannten Sichtbetondeckenelemente. Hierbei handelt es sich um die bautechnisch aufwändigsten Teile. Diese jeweils 3 m breiten und 11 cm dicken Filigrandeckenelemente erstrecken sich jeweils über die gesamte Saalbreite von 15 m. Aufgelegt wurde ein 30 cm hohes Betongitter, dessen Gefache aus Polystyrolblöcken besteht, durch die Kanäle für Vorspannkabel verlaufen. Vor Ort ausbetoniert wurde das Polystyrol in situ belassen und dient so effektiv der Innenraumdämmung. Die Vorspannkabel sind mit den Stützen verbunden und unter Spannung fixiert, sie gewährleisten die Tragfunktion des Daches und dienen wie die Kreuzstützen der Gebäudequeraussteifung, insbesondere im Erdbebenfall. Die Untersicht der Filigrandeckenelemente blieb vollkommen unbehandelt.
"Beton ist nachhaltig"
Rudy Ricciotti strebt bei seinen Bauten an, die durchweg aus Beton bestehen, den Baustoff möglichst natürlich zu zeigen. Für ihn ist das schon in der Antike bekannte Material "das natürlichste überhaupt!" Zudem war Stahl bei diesem Projekt für ihn indiskutabel, da Lüttich einst hierin führend war, heutzutage hier aber keiner mehr produziert wird.
Seit dem Niedergang der Schwerindustrie vor vielen Jahren befindet sich die drittgrößte Stadt Belgiens in einem radikalen Strukturwandel. Der Architekt nähert sich den drängenden sozialen Fragen auf architektonischem Weg: Beton ist für ihn ein Schlüssel und ein Indiz der Umverteilung von regionalem Reichtum, weshalb die Beimischung lokalem Kalksteinmehls ihm so wichtig war. Er wollte ein positives Signal setzen, bei diesem Museum, diesem öffentlichen Gebäude: Für ihn besitzt das Baumaterial durch seine Textur und seine Form ein sichtbares Gedächtnis für die Arbeit, die zu seiner Erstellung notwendig war.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com