Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Justizzentrum
Typ:
Gericht
Ort:
Bochum [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Materialien:
Betonfertigteile, Muschelsteine , Stahl, Glas
Publiziert:
Baublatt 46/2017
Seiten:
30 - 33
Inhalt:
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Justizzentrum Bochum

Muscheln im Verband

<Auf einer innerstädtischen Brache unweit des Hauptbahnhofes ist das neue Bochumer Justizzentrum entstanden. Geprägt wird der Bau von einem rostroten Saaltrakt mit dem Haupteingang an den sich ein hellgrauer Verwaltungskomplex anschließt. Dessen Sichtmauerwerksfassade besteht aus gebrochenen Betonsteinen mit Muschelzuschlägen.
Das zentrumsnahe Gelände am Bochumer Ostring, nahe dessen Hauptbahnhof, war seit Ende des Zweiten Weltkrieges eine Brache. Daran grenzte ein städtisches Gymnasium, das jedoch extrem Sanierungsbedürftig war, weshalb die Stadt dessen Neubau an einem anderen Standort beschloss. Da das Bochumer Amts- und Landgericht hingegen in einem schadstoffbelasteten Gebäude aus den 1970er Jahren untergebracht war und das Arbeitsgericht gar an einem ganz anderen Standort residierte, nutzte die Stadt die Chance, die drei Kammern zusammenzuführen und darüber hinaus ein zentrumsnahes Gerichtsviertel neu zu entwickeln.
Aus dem 2008 durchgeführten Wettbewerb ging das Berliner Büro Hascher Jehle Architektur als Sieger hervor. Das Konzept beinhaltete auf dem Erhalt der gründerzeitlichen Fassade des Schulgebäudes - nicht zuletzt, da sie es als identitätsstiftend für die jüngere Stadtgeschichte erachteten. Hatten doch Generationen von Bochumern (u.a. Herbert Grönemeyer) hier ihr Abitur gemacht. Der Bau wurde gestaltgebend in das neue Ensemble integriert. Sein Erdgeschoss wurde als durchgehende Fußbodenhöhe für alle Gebäudeflügel festgelegt, seine historistischen Gesimse als Referenz für die umlaufenden Friese der Neubauflügel übernommen.
Keine Mühle der Justiz
Geprägt wird das im November 2017 in Betrieb gegangene Justizzentrum von einem rostroten Saaltrakt, das an den alten Schulbau durch einen zweigeschossigen Verbindungsbau angeschlossen ist. In diesem Kernbau befindet sich auch der einzige reguläre Zugang des gesamten Ensembles. Jeder - ob Besucher oder Werktätiger - muss sich beim Betreten einer Sicherheitskontrolle wie auf einem Flughafen unterziehen. Die scheinbar irreguläre Abfolge aus schmalen vertikalen Fensterschlitzen, großen Glasscreens und geschlossenen Wandflächen, die aus rostrot durchgefärbten Sichtbetonelementen erstellt wurden, sollen eine Allegorie auf das Ideal der Rechtssprechung sein: Jeder Fall will individuell bewertet sein. Eine durchgerasterte Fassade hätte nach Lesart der Architekten hingegen auf judikative Standardverfahren hingedeutet. Die Angeklagten sollen jedoch als Einzelfälle bewertet werden und nicht "normiert das Gebäude wieder verlassen".
Künstliche Versteinerungen
An den roten Saaltrakt schließt sich eine Abfolge von Verwaltungsbauten mit rund 750 Büros an, die eine hellgrauen Fassade besitzen. Die Büroflügel besitzen auf ihrer Außenseite durchlaufende Architekturbetonfriese analog zu denen des Saaltraktes, die sich - wie erwähnt - auf die des benachbarten Schulbaus beziehen. Zwischen diese markanten Horizontallagen spannten die Architekten geschosshohe Fenster, die jeweils aus einem feststehenden Element und einem schmalen Vertikalflügel zum Öffnen bestehen und die seitlich von gemauerten Laibungen und Sichtbetonlisenen begrenzt werden. Auch die Außenwände der Fluchttreppenhäuser bestehen aus Sichtmauerwerk. In beiden Fällen kam ein besonderer Betonstein des niederländischen Herstellers MBI B.V. aus Veghel zum Einsatz. Er enthält kleine Nordseemuscheln als Zuschlag, die an der Küste gewonnen und vor der Zugabe gewaschen werden. Diese Werksteine werden zunächst in Vierer- Blöcken gegossen und dann kreuzweise gespalten. Gewonnen werden so vier Eckstücke, die neben den glatten Gussformaußenkanten immer eine raugebrochene Längs- und eine Querseite als Spaltkante aufweisen. Diese dienen als Vorderseite des Sichtmauerwerkverbandes und beeindrucken mit ihrer subtil maritimen Oberfläche. Nominell ausgeführt wurde das Sichtmauerwerk durch den Betonfertigteilhersteller Hemmerlein aus Bodenwöhr, der jedoch für die Maurerarbeiten die Rheder Klinker- und Fassadenbau GmbH (RKF) als Subunternehmer beauftragte. Dessen Maurer versetzten gut 350.000 dieser Steine. Denn zunächst war angedacht, die Betonsteinlaibungen zwischen den Bürofenstern als Betonfertigteile auszuführen, die werkseitig mit diesen Betonsteinen belegt wurden. Doch der Hauptauftragnehmer, der Fertigteilhersteller Hemmerlein nahm von dieser Lösung aus optischen Gründen Abstand: Im Rahmen einer Fertigteilproduktion hätte man schwerlich ein vergleichbares Fugenbild erhalten, wie bei einer gemauerten Variante. Mörtel fließt in der Vertikalen anders, als bei einem liegenden Ausrichten der Steine in einer Fertigteilschalung. Für ein homogenes Gesamtbild hätte man zudem alle Fugen der in Beton gegossenen Steine nachverfugen müssen, was ein zusätzlicher Arbeitsschritt gewesen wäre; ein reguläres Aufmauern war deshalb erheblich günstiger. Während die Verwaltungsbauten an ihren Außenfassaden durchlaufenden Architekturbetonfriese aufweisen, bestehen die hofseitigen Wandflächen ausschließlich aus Betonwerksteinen. Hier wurden die Fensterstürze und -brüstungen als reguläre Rollschichten realisiert.
Im Vorfeld haben Kritiker die Muscheleinschlüsse als nicht orttypisch hinterfragt. Allerdings erwecken die Zuschläge viel eher Assoziationen zu Versteinerungen, die sich an vielen Berghängen fernab der See finden. Tatsächlich wurde der Steinhersteller MBI für seinen sinnfälligen Betonstein mit dem red dot award 2017 ausgezeichnet.
Robert Mehl, Aachen