Projektart:
Anfrage:
Objekt:
De Entree
Typ:
Unterwasserfahrradparkhaus
Ort:
Amsterdam [Satellit]
Staat:
Niederlande
Architekt:
wUrck architectuur 🔗, Rotterdam
Materialien:
Betonfertigteile
Publiziert:
Beton Bauteile 2024
Seiten:
144 - 151
Inhalt:
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Submarines Fahrradparkhaus, Amsterdam/NL

Ode an das Wasser

Die Stadtverwaltung von Amsterdam hat vor dem dortigen Hauptbahnhof ein Fahrradparkhaus für rd. 7.000 Räder geschaffen. Es bildet den Grund eines neu angelegten kleinen Hafenbeckens. Die 129 kelchförmigen Deckenstützen dieser submarinen Garage bestehen aus Betonfertigteilen.
Anders als in anderen Städten sind der Verwaltung von Amsterdam nicht nur die Autos ein Dorn im Auge, sondern auch die zahllosen „wild“ in der Gegend abgestellten Fahrräder. Pro Tag sammelt die Stadt in der ganzen City rd. 200 unrechtmäßig abgestellte Räder ein und bringt diese ins Fietsdepot am Stadtrand. Gleichzeitig hat sie aber natürlich auch zahllose Verwahrorte für Fahrräder geschaffen. So gibt es den Beschluss, 14.000 Stellplätze für die Räder „unter Wasser“ zu schaffen. Dieser offizielle Terminus ist insofern irreführend, da dies in Amsterdam lediglich bedeutet, dass die Fahrradgaragen unterirdisch sein sollen. In der Hauptstadt der Tulpen liegt der Grundwasserspiegel nämlich bei 0,5 m unter der Oberfläche, weshalb dort effektiv jeder Keller ein Unterwasserbauwerk ist.
Entree zur Stadt
Das Fahrradparkhaus vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof ist ein Teil des Großprojektes „De Entree“. Dies bedeutete nichts weniger als eine diametrale Neugestaltung des Vorplatzes: Wo sich heute ein nierenförmiges, vielleicht 80 x 30 m großes Hafenbecken befindet, an dem eine schmale Gracht vorbeifließt, befand sich bis zum Jahr 2019 der zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) von Amsterdam, eine große versiegelte Verkehrsfläche. Dann wurde der ZOB in eine halboffene Glashalle auf der anderen Längsseite des Hauptbahnhofs verlegt, die unmittelbar am Flussufer des Ij neu geschaffen wurde. Wie Züge fahren hier die Busse auf einem erhöhten Niveau an der südöstlichen Stirnseite des Bahnhofs in die Halle ein und an der nordwestlichen wieder heraus. Im EG darunter findet sich eine Shopping- Mall. So ergab sich vor dem Hauptbahnhof Platz für das nun realisierte pittoreske Hafenbecken.
Den entsprechenden städtebaulichen Masterplan hat der Hooftdontwerper; Dienst Ruimtelijke Ordening Gemeente Amsterdam“ (Chefdesigner der Amsterdamer Raumplanungsabteilung) Simon Sprietsma entwickelt. Mit der Erstellung des konkreten architektonischen Entwurfs und dessen baulicher Umsetzung wurde als Ergebnis einer Ausschreibung die niederländische Tochter der Firmengruppe Max Bögl aus dem deutschen Sengethal als Generalübernehmer beauftragt. Sie hatte als Designdienstleister das Rotterdamer Büro wUrck architectuur hinzugezogen. Max Bögl war dabei nicht nur mit der Ausführung der Fahrradgarage beauftragt, sondern auch mit der Sanierung, Erweiterung und Ertüchtigung der bestehenden Brücken, der Versiegelung aller Bodenoberflächen, dem Bau eines Verbindungstunnels zur Verteilerhalle der benachbarten Metrostation sowie der Schaffung einer internen Verbindung von dieser in den eigentlichen Hauptbahnhof. Darüber hinaus war bei diesem Verbindungstunnel ein mobiles Notschott vorzusehen, um bei einem Überflutungsrisiko diesen Metrozugang zu sichern. Diese Absicherung hat einen absoluten Notfallcharakter, da vorher der große Hauptdeich an der Küste oder die großen Schutzwehre brechen müssten. Dann wäre noch genügend Zeit, die Metro abzuschotten, bis das Wasser hier ankäme. In diesem Moment, so räumt Frank Naumann, der verantwortliche Entwurfsleiter von Max Bögl, bei seiner Führung durch die Anlage ein, hätten aber die Niederlande und Amsterdam sicherlich ein ganz anderes Problem.
Die Muschel in der Gracht
Die formal-architektonische Grundidee für die Fahrradgarage, erläutert Frank Naumann, war die einer Muschel im Hafen. Tatsächlich geben sich das neu geschaffene Hafenbecken und die sichtbaren Außenflächen der Muschel sehr rau und elementar, während ihr Inneres in einem hellen, perlmuttartigen Weißton angelegt ist. Naumann ergänzt, dass jede gute Muschel natürlich auch eine Perle haben muss: Auch die findet sich in Form eines vollverglasten Servicebereichs mit abgerundeten Ecken im Übergang der nach oben offenen Rampenanlage und der daran anschließenden eigentlichen Fahrradabstellfläche. Diese Glasfront bildet auch die thermische Trennung zwischen Innen- und Außenraum. Entsprechend der Muschel- Vision wurden die steil geneigten Uferböschungen mit dunklen, robust wirkenden Basaltblöcken belegt. Darin eingefügte, sichtbare Kleinbauwerke, wie etwa die Brückenköpfe, die Außenwände der beiden Notausgänge oder die Außenwand der Rampenöffnung wurden in Sichtbeton ausgeführt.
Vorab hatte die Stadt Amsterdam ein Pflichtenheft ausgegeben, dass neben dem Freihalten einer Fahrspur für die künftige U- Bahn- Trasse forderte, dass Radfahrer von der Ankunft im Parkhaus über das Abstellen und Abschließen des Rads bis zum Verlassen des Parkhauses maximal sechs Minuten brauchen dürfen. Die Ingenieure von Max Bögl haben daraufhin umfassende Computersimulationen durchgeführt und festgestellt, dass dieses Zeitlimit nur mit drei parallelen Transportbändern zu erfüllen ist. Will man nun sein Rad in der Garage abstellen, erreicht man diese über den erwähnten Rampenzugang an der Prins Hendrikkade und fährt mit einem der drei Fahrbänder hinab in eine trapezartige Betonwanne. Nach vielleicht 20 m erreicht man ein Wendepodest, über das das Rad zu schieben ist, um an eine zweite Rollband- Dreiergruppe zu gelangen, die nach ca. 33 m vollends nach unten zur Haupt- und Eingangsebene führt. Die Bänder sind so geschaltet, dass zu morgendlichen Stoßzeiten je zwei Bänder hinabfahren und eines nach oben läuft. Abends ist dann die Schaltung invertiert. Sobald man auf der Garagensohle angekommen ist, steht man dann vor der erwähnten Perle aus Glas in Form eines kaufhausartigen Haupteingangs flankiert von dem Büro der Garagenaufsicht und einer sich daran anschließenden Fahrradreparaturwerkstatt.
Geprägt ist die auf nur einer Ebene angelegte, insgesamt 7.800 m² große Parkhausfläche von 129 Kelchstützen. Grundsätzlich sind diese in einem rechtwinkligen Netz angeordnet, weichen jedoch nahe der geometrischen Mittelachse in einem eleganten Schwung auseinander, um so einen breiten Hauptgang zu bilden. Die diesen flankierenden Kelchstützen sind zusätzlich mit Bodenspots illuminiert, was die Orientierung innerhalb des riesigen Raumes signifikant erleichtert. Das gilt besonders, wenn man in einem tiefen Seitenarm gerade sein Fahrrad geparkt hat und nun zum Ausgang strebt.
Erstarrter Wasserguss
Während alle Außenwände und auch die Decke in Ortbeton ausgeführt wurden, hat Max Bögl die Kelchstützen in seinem Betonfertigteilwerk in Hamminkeln erstellt. Die Vorproduktion war insbesondere deshalb erforderlich, weil eine besonders glatte, an das Innere einer Muschel angelehnte Betonoberfläche gewünscht war. Hierfür wurde eigens eine Stahlschalung geschlossert, um eine möglichst glatte Oberfläche ohne sichtbare Stöße zu erhalten. Die Stützen wurden mit einer normalen Betonmischung produziert, ausgeschalt und fortan so vorsichtig wie möglich behandelt: Um mögliche Beschädigungen auszuschließen, kamen diese für den Transport in hölzerne Transportgestelle und wurden per LKW nach Amsterdam geliefert. Im Amsterdamer Westhafen wurden die Stützen dann auf eigens für die Grachten mit ihren niedrigen Brücken konzipierte Lastkähne verladen, die einen besonders großen Tiefgang haben, und darauf zur Baustelle transportiert.
Überhaupt war man bestrebt, möglichst viel Material, wie etwa auch Schalungselemente oder Kranteile, per Schiff über die benachbarte Gracht anzuliefern, da während der Bauzeit ein allgemeines innerstädtisches Fahrverbot für LKW über 7,5 t verfügt wurde. Unvermeidliche Einfahrten schwererer LKW, wie etwa Betonmischer, erfordern seitdem eine kostenintensive Sondergenehmigung mit exakter Zeitangabe auf Kfz- Kennzeichen- Niveau. Auf die Oberflächen der Kelchstützen wurde ein perlmuttfarbener Anstrich appliziert, der gleichzeitig als Graffitischutz fungiert. Die sichtbare Garagendecke bildet eine um 20 cm abgehängte Trockenbaukonstruktion in identischer Farbgebung, in die diskret Akustikpaneelen eingearbeitet wurden, um unschöne Echo- und Nachhalleffekte zu vermeiden.
Licht und Kunst
Tatsächlich erinnert der architektonische Kunstgriff der gekrümmten Hauptachse an die städtebaulichen Lehren von Camillo Sitte (1843-1903), der seinerzeit die „Geschlossenheit der Plätze“ forderte und feststellte, dass der Mensch sich wohler in von Kurven perspektivisch begrenzten Straßenräumen (etwa Italien) fühle als auf schnurgeraden Sichtachsen (etwa Paris). Steht man nun in der zentralen Kolonnade des Fahrradparkhauses, blickt man eben nicht entlang einer schnurgeraden Pfeilerflucht auf den hinteren Ausgang, der über eine Treppe hoch zum erwähnten Verbindungstunnel mit der Metro- Verteilerhalle führt. Vielmehr treffen die beiden Kolonnadenkurven perspektivisch aufeinander; erst wenn man den Hauptgang etwa halb durchmessen hat, geben diese den Blick auf die besagte Treppe frei. Schnell bemerkt man auch, dass diese Treppe rechts wie links von zwei jeweils rd. 7 x 3 m messenden Kratzputzkunstwerken (Sgraffiti) des bekannten niederländischen Künstlers Lex Horn flankiert sind. Sie waren 1965 entstanden und zierten einst das mittlerweile abgrissene Amsterdamer Jan- Swammerdam- Institut. Die Sgraffito- Kunst kam Mitte des 17. Jhds. auf und ist noch heute in Dörfers des Engadin zu finden. Die Horn‘schen Kunstwerke hatte man ausgebaut und eingelagert, da sie als als Höhepunkte der niederländischen Monumentalkunst der 1960er Jahre gelten. Auch deren Einbau wurde Max Bögl ins Pflichtenheft geschrieben. Sicher präsentiert und blendfrei angestrahlt werden sie hier hinter zwei entsprechend großen Glasvitrinen.
Um den Eindruck zu vermeiden, dass man sein Fahrrad abseits der Hauptkolonnaden in einem tiefen dunklen Seitengang parkt, wurden die begrenzenden Außenwände zudem mit einem umlaufenden Lichtkunstwerk bestückt. Es besteht aus hinterleuchteten Amsterdamer Stadtgrundrissen der letzten 1.000 Jahre, die durch eine Auflösung in verhältnismäßig grobe Pixel abstrahiert sind. Diese Pixel wurden wiederum aus historischen Amsterdamer Stadtansichten des Amsterdam Museum generiert. Die Kunstwerke werden zudem als Foliendrucke in den Deckenleuchten der Hauptkolonnade wiedergegeben. Die Architekten bezeichnen diese Lichtquellen als Oculi. Aus den Augenwinkeln betrachtet kann man diese in ihrer Grundfarbe blau leuchtenden Occuli auch für Oberlichter halten, die einen Blick von unten in die darüber befindliche Wasserfläche zulassen. Tatsächlich wird Frank Naumann regelmäßig gefragt, warum solche Öffnungen nicht existieren. Er weist dann darauf hin, dass diese zum einen technisch sehr aufwändig und teuer gewesen wären und auch ein hohes Sicherheitsrisiko im Falle ihres Berstens dargestellt hätten. Auf der anderen Seite hätten sie einfach nicht den erwünschten Effekt erbracht: Denn anders als etwa in der Südsee ist das Wasser darüber nicht klar, sondern trüb. Gleichzeitig ist der allgemeine Schlickeintrag in die Grachten immens. In sehr kurzer Zeit wären diese Oberlichter komplett verschlammt gewesen und man hätte deshalb ohnehin nichts mehr gesehen. Schließlich musste auch noch die Nutzung der Wasserfläche in Betracht gezogen werden: Unmittelbar oberhalb der Fahrradgarage liegen die Anlieger der touristischen Ausflugsboote, deren Pfähle natürlich auf der Garagendecke verankert sind. Interessant zu wissen ist, dass in allen Amsterdamer Grachten die durchschnittliche Wassertiefe 2,50 m beträgt und die Touristenboote einen Tiefgang von ca. 0,85 cm aufweisen. Diese Wassertiefe bildete die allgemeine Planungsgrundlage für die Fahrradgarage: Sie musste im Endeffekt so angelegt sein, dass sich oberhalb ihrer fertigen Deckenoberkante genau dieser Wert einstellte.
Wertschätzung
Unlängst wurde das zum Großprojekt „De Entree“ gehörige Fahrradparkhaus mit dem Amsterdamer Architekturpreis (AAP) ausgezeichnet. Bewusst wollte hier die Jury eben nicht eine augenfällige Architektur würdigen, sondern einen gut organisierten und formal wie funktional vorbildlich durchgeplanten Funktionsbau, der sich als eine Ode an das Wasser versteht. Die Geschäftsführung von Max Bögl ist schließlich von der formvollendeten Stahlschalung der Kelchstützen derart angetan, dass sie erwägt, diese eventuell auch noch für andere Projekte zu verwenden.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com