Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Bettentürme der Uniklinik Münster
Typ:
Krankenhaus
Ort:
Münster [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
kleihues + kleihues 🔗, Dülmen
Materialien:
Fassadenbau: Haskamp GmbH 🔗
Publiziert:
metallbau 7-8/2018
Seiten:
10 - 15
Inhalt:
[Artikel]      
 

Bettentürme der Uniklinik Münster

Sanierung im Vier- Zylinder- Betrieb

Im Ensemble aus zwei Doppelturmpaaren sind alle 1.457 Betten des Klinikums untergebracht. Die umlaufenden Rundgalerien der zylindrischen Bettentürme wurden mit runden Metallfassaden geschlossen. Vor der Sanierung waren die sogenannten Laubengänge Fluchtwege, heute sind sie den Zimmern zugeschlagen.
Die neue Fassade verfügt über einen mechanischen Sonnenschutz, der im Fassadenzwischenraum vor der inneren Fensterfront sitzt und dessen elektrischer Antrieb ebenfalls innerhalb der Close- Cavity- Façade untergebracht ist. Die Außenhaut der neuen Metallfassade besteht aus gekrümmten Blechen, in denen eine plane Festverglasung sitzt. Deren Prallscheiben sind umgeben von unauffälligen Schattenfugen mit Lüftungsschlitzen. Bei Wartung und Pflege einer modernen Fassade ist eine Lebensdauer von 35 bis 40 Jahren realistisch, wie Jürgen Einck versichert. Die vier zylindrischen Bettentürme der Münsteraner Universitätsklinik werden derzeit umfassend saniert. Dabei werden die umlaufenden Rundgalerien der 19 Geschossebenen mit einer ebenfalls runden Metallfassade geschlossen und die gewonnene Balkonfläche den Patientenzimmern zugeschlagen.
Das Münsteraner Universitätsklinikum ist ein Kind der 1970er- Jahre. Entworfen vom Aachener Architekturbüro Weber Brand & Partner und 1983 fertig gestellt ist der Großbau in der Tradition technokratischer Gebäudemaschinen zu sehen. Diese orientieren sich an dem damals von Renzo Piano neu geschaffenen und als ausgesprochen innovativ geltenden Pariser Centre Pompidou. Ein anderer Vertreter ist das mittlerweile denkmalgeschützte Aachener Klinikum, das ebenfalls von Weber Brand & Partner stammt.
Ikonographisch für den Münsteraner Bau sind seine zwei jeweils 62 m hohen Doppeltürme, die aus zwei 19 Geschossebenen zählenden Zylindern bestehen, welche durch einen gemeinsamen Erschließungskern miteinander verbunden sind. Das Ensemble aus zwei Doppelturmpaaren birgt alle 1.457 Betten des Klinikums und bekrönt einen sechsgeschossigen Sockelbau von fast 400 m Länge und gut 60 m Breite. Vor dem jetzigen Umbau besaßen alle Ebenen umlaufende Laubengänge, die ausschließlich als Fluchtwege dienten und von den unmittelbar dahinterliegenden, vollklimatisierten Patientenzimmern aus nicht zugänglich waren. Es war außerdem nicht möglich, irgendein Fenster zu öffnen; zudem gab es keinen außenliegenden Sonnenschutz. Dies sind alles Faktoren, die sowohl von dem dort tätigen Personal wie auch von den Patienten über Jahre sehr bedauert wurden.
Zunehmendes Fassadengewicht
2013 wurde schließlich ein Architektenwettbewerb zur Sanierung des Klinikums ausgelobt, aus dem das Berliner Büro Kleihues+Kleihues als Sieger hervorging. Dessen Entwurf sah vor, die Fluchtbalkone aufzugeben und die gewonnenen Flächen den Patientenzimmern zuzuschlagen, um diese erheblich geräumiger zu gestalten. Obwohl alle Zimmer weiterhin maschinell belüftet werden, wird nun die Möglichkeit geschaffen, das neue innere Fenster zu öffnen, um so die Räume über davor angeordnete Lüftungsgitter in der Außenfassade auch natürlich zu belüften.
Für eine praxisnahe Umsetzung ihres ambitionierten Fassadenkonzeptes wandten sich die Architekten an die Kölner DS- Plan- Ingenieurgesellschaft für ganzheitliche Bauberatung und Generalfachplanung, eine Ausgründung von Drees & Sommer SE, der bekannten Stuttgarter Ingenieurgesellschaft. DS- Plan hat sich auf die Sanierung von Großprojekten spezialisiert und bietet beratende Fachsonderleistungen an, die außerhalb der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) anzusiedeln sind. Deren Prokurist Jürgen Einck sieht sein Unternehmen bewusst als Dienstleister der Architekten.
Rasch benennt er das neue Fassadengewicht als ein Kernproblem jeder Außenhautsanierung. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, führt er aus, dass der Bestand in der Regel gutmütig dimensioniert sei und dieser problemlos die mit einer Sanierung verbundenen, erheblich höheren Lasten aufnehmen könne. Er rechnet vor, dass vor 30 Jahren Fassaden vielleicht 60 bis 65 kg/m² gewogen haben, heute aber mit fast dem Doppelten, also mit rund 100 bis 110 kg/m² zu Buche schlagen.
Ursache ist die immer komplexer werdende Fassadenkonstruktion und deren Dämmung. So wurde aus der Mono- erst eine Doppelverglasung — heute ist es eine Dreifachverglasung. Tatsächlich empfahl das Büro, auf eine Dreifachverglasung zu verzichten und eine geringere Wärmedämmung zu Gunsten der Statik in Kauf zu nehmen. Bei 6 mm Glasstärke konnte man so 15 kg/m² einsparen.
Sanierung ohne Nutzungseinschränkung
Grundsätzlich sah der Entwurf der Architekten schon in der Wettbewerbsphase eine gewölbte Außenfassade vor. Der Kostendruck forderte jedoch zumindest das Durchspielen einer polygonalen Fassadenvariante ein. Es bewährte sich das von DS- Plan gegen alle Einsparzwänge vertretene Beharren auf einem Mock-up, einer ersten Musterfassade. Auch wenn in dieser nicht alle vorgesehenen Profile 1:1 eingesetzt werden konnten — eine entsprechende Werkzeugerstellung nur für eine Musterfassade wäre zu teuer geworden —, so konnte man zumindest einen authentischen und verhältnismäßig großflächigen Fassadeneindruck erhalten. Dieser überzeugte alle Beteiligten, dass eine gebogene Fassadenausführung einer polygonalen Variante vorzuziehen ist, um den ursprünglichen zylindrischen Turmcharakter zu erhalten. Allerdings stellte man fest, dass die Innenwand durchaus polygonal angelegt werden kann; die geraden Wandflächen senkten die Kosten des Innenausbaus merklich.
Sowohl die voraussichtlich 2019 abgeschlossene Fassadensanierung als auch die erst im Anschluss daran erfolgende Innensanierung finden im laufenden Betrieb statt. Das UKM besitzt mit seiner 95%-igen Bettenbelegung die höchste Auslastung eines deutschen Universitätsklinikums überhaupt — seine auch nur teilweise Schließung ist vollkommen undenkbar! Hierauf begründet sich das von DS- Plan vorgeschlagene zweistufige Sanierungskonzept, erst die Fassade anzugehen und dann die Innenbereiche zu modernisieren. Die umlaufenden Fluchtbalkone des Bestands — im täglichen Betrieb ungenutzt — machten dies möglich.
Die auf den Balkonen tätigen Handwerker wurden nicht als störend empfunden, da man Blickverbindungen durch die vorhandenen Vorhänge unterbinden konnte. Der zu erwartenden Lärmbelastung begegnete man durch einen weitgehenden Verzicht auf Stemm- und Schlagbohrarbeiten und setzte stattdessen einen umfassenden Einsatz von Kernbohrungen. In Voruntersuchungen wurde nachgewiesen, dass die Kernbohrung einerseits ein fast geräuschloses Penetrationsverfahren ist, das mit entsprechenden Werkzeugen bis auf eine Bohrlochgröße von nur 8 mm heruntergefahren werden kann.
Schließlich erbrachte die ausführende Fassadenbaufirma Haskamp Fassadentechnik den brandschutztechnischen Nachweis, dass Teile der Fassadenbefestigung bedenkenlos durch bestehende Bohrungen der Betonelemente der Bestandsbalkone geführt werden konnten. Das Unternehmen widerlegte eine anfängliche Einschätzung, dass mit dieser Befestigung eine geschossübergreifende Fassadenverankerung geschaffen würde, die im Brandfall zu einem Feuerüberschlag führen könnte. „Damit konnten mehrere 100.000 Bohrlöcher eingespart werden!“, resümiert Jürgen Einck die Initiative des Fassadenbauers.
Verschobene Geschossteller
Man muss sich die Bettentürme wie einen Stapel Kekse aus Kindertagen vorstellen, über den eine leere Prinzenrolle gestülpt werden soll. Aus leidiger Kindheitserfahrung weiß man, dass dies nicht so einfach ist: Irgendein Keks ist leicht versetzt, alles verkantet sich und der Keksturm fällt um. So auch hier: Ein vor Beginn der Sanierungsmaßnahme durchgeführtes 3D- Aufmaß zeigte, dass die Balkone vertikal zueinander zwischen 82 und 287 mm versprangen, die Geschossteller also fast 30 cm zueinander verschoben waren. Hier war die Firma Haskamp zusammen mit DS- Plan gefordert, eine Fassadenunterkonstruktion zu entwickeln, die es erlaubte, die Minimal- wie die Maximalabstände kraftschlüssig zu überbrücken. Jürgen Einck weist darauf hin, dass aus ingenieurtechnischer Sicht eine Detaillierung der Mini- wie auch der Maximalkonsole am spannendsten war. Da man aber nicht mehrere 100.000 Einzelkonsolen beplanen konnte, galt es, eine variable Zwischenlösung zu entwickeln, mit der das Gros der Fassadenanschlüsse zu bedienen war.
Wärmestau vermeiden
Die Außenhaut der neuen Metallfassade besteht aus gekrümmten Blechen, in denen eine plane Festverglasung sitzt. Deren Prallscheiben sind umgeben von unauffälligen Schattenfugen mit Lüftungsschlitzen. Im Bereich der Brüstungen und der Stürze sind diese eher schmal gehalten, zwischen den Glasfeldern fallen die Lüftungsgitter als optische Lisenen ins Auge, welche die horizontal organisierte Fassade gliedern. Während die schmalen Horizontalschlitze vor allem der natürlichen Kühlung des Fassadenzwischenraums mittels Luftkonvektion dienen, um einer übermäßigen sommerlichen Aufheizung entgegenzuwirken, sind die markanten Vertikalöffnungen unerlässlich für die natürliche Innenraumbelüftung, also wenn ein Innenfenster geöffnet ist.
Versuchsmessungen ergaben eine Fassadenzwischenraumtemperatur von max. 56°C, die als akzeptabel angesehen wurde. Die neue Fassade verfügt über einen mechanischen Sonnenschutz, der im Fassadenzwischenraum vor der inneren Fensterfront sitzt und dessen elektrischer Antrieb ebenfalls innerhalb der Close- Cavity- Façade untergebracht ist. In diesem Zusammenhang hebt Jürgen Einck hervor, dass eine langanhaltende Überhitzung der Fassade auch konstruktiv zu vermeiden ist, da ab ca. 80°C die integrierten Jalousiemotoren Schaden nähmen.
Regelmäßige Pflege
Jürgen Einck empfiehlt, Metallfassaden mindestens zweimal im Jahr — und gerne auch öfter — zu reinigen. Ebenso erachtet er für eine langfristig funktionierende Fassade eine frühzeitige Einbindung des Facility- Managements als ratsam. Falls jedoch eine Wartung und Pflege vollumfänglich erfolgt, dann ist für ihn die Lebensdauer einer modernen Fassade von 35 bis 40 Jahren mehr als realistisch. Dem von Glasunternehmen propagierten Erneuern der Gläser nach rund 20 Jahren erteilt er hingegen eine Absage.
Darüber hinaus wurden aber an den Bettentürmen des Münsteraner Universitätsklinikums auch bauliche Maßnahmen für einen passiven Fassadenschutz umgesetzt: So wurden unscheinbare Wetterschenkel an den Elementen geschaffen, die Tropffahnen an den matt lackierten Fassadenblechen reduzieren; auch platzierte man zur Vogelgrämung aufrechtstehende Stahllitzen (Taubenspieße), die ein Nisten in den Fassadenrücksprüngen unterbinden.
Verzicht auf Urheberrecht
Die Bauherrenvertreterin des UKM Dipl.-Ing. Klara Schott weist darauf hin, dass mit dem Umbau der Bettentürme die bestehenden Vierbettzimmer einer Zweibettzimmer- Aufteilung weichen werden. Ferner hat sie den noch lebenden ursprünglichen Architekten Wolfgang Weber — mittlerweile ein hochbetagter Herr — eigens nach Münster gefahren und ihm das Sanierungskonzept von Kleihues+Kleihues vorgestellt. Dieser hat das Konzept für gut befunden, ist von seinem Urheberrecht zurückgetreten und hat die Umbaumaßnahme seinerseits ebenfalls autorisiert.Robert Mehl, Aachen