Projektart:
Anfrage:
Objekt:
St. Giles Circus
Typ:
Konzerthalle, Einkaufszentrum
Ort:
London [Satellit]
Staat:
Großbritannien
Architekt:
Orms and Sampson Ass. 🔗, London
Materialien:
Frener & Reifer 🔗, Brixen (Fassadenportale)
Publiziert:
metallbau 03-04/2019
Seiten:
16 - 21
Inhalt:
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Tonnenschwere Fassadentore für Londoner St. Giles Circus

Kein Zirkus um schwere Aufgaben

In London entsteht aktuell mit dem St. Giles Circus eine Event- Mall, deren Fassade aus 24 zu öffnenden Torflügeln besteht. Die jeweils 10 m hohen und bis zu 3,6 t schweren Elemente werden fertig verglast und mit finaler Oberfläche von Brixen in Südtirol aus angeliefert.
"Wir bauen eigentlich keine Fassaden mehr, wir bauen fast schon Maschinen!", fasst Markus Überbacher, technischer Leiter bei Frener & Reifer, die Arbeit des mittelständischen Unternehmens aus Brixen zusammen. Tatsächlich fragten vor gut zwei Jahren die Londoner Orms Architeken bei der Südtiroler Firma an, ob diese eine 10 m hohe Fassade mit drehbaren Flügeln bauen könne. Sie sollte für ein Neubauprojekt sein, das unmittelbar an der Subway- Station "Tottenham Court Road" im Londoner Stadtzentrum liegt und das nach der Straßenkreuzung "St. Giles Circus" benannt ist. Der Seniorchef Franz Reifer beschränkte sich nicht nur auf ein Angebot, er entwickelte die Idee fort und bot zusätzlich den Bau eines Mechanismus an, mit dem die Portale nicht nur lamellenartig aufgefahren werden können, sondern vollständig zur Seite fahrbar sind. Da der St. Giles Circus als ein Nutzungsmix aus Einzelhandel und Veranstaltungsstätten angelegt ist, dessen Büroflächen und Wohnungen über vier Neubauten hinweg eng verwoben sind, kam dieser Vorstoß den Architekten sehr entgegen.
Fassaden – Parallelen zum Fahrzeugbau
Bei der Produktion der Portale sieht Markus Überbacher Parallelen zum Fahrzeugbau, nur dass es sich hier lediglich um 24 Tore und daher nicht um eine Massenfertigung handelt. Hier wie dort gilt es aber, unter Werkstattbedingen mit maximalem Maschineneinsatz ein präzises Werkstück mit einer perfekten Oberfläche zu schaffen, das vor Ort so nicht zu fertigen wäre.
Die beweglichen Fassadenflügel bestehen aus einem auf einer Richtbank präzise zusammengefügten, dann feuerverzinkten und schließlich schwarz lackierten Tragrahmen. Im Anschluss erhielten alle Fassadenelemente ihren technischen Ausbau im Werk. Dieser besteht in dem Anbringen eines innenliegenden mechanischen Gestänges und einem eigens hierfür entwickelten Großgetriebe sowie leistungsstarker und annähernd geräuschlos arbeitender Elektromotoren, die dies steuern. Eine entsprechende Stromversorgung wird über einen internen Kabelbaum geführt. 9 der insgesamt 24 Fassadenportale verschließen die Hauptfassade an der Tottenham Court Road, es handelt sich um die Portale, die zur Seite fahrbar sind. Ihre Mechanik besteht aus einer Hohlwelle, in der eine zweite sitzt, die frei von der ersten läuft. Die eine bedient das Drehen, die andere das Verfahren.
Tragrahmen und technischer Ausbau wurden mit einem 2 mm starken, titanbedampften Edelstahlblech verkleidet. Dies verleiht den Portalen den gewünschten goldfarbenen Glanz. Als Transport- und Montagesicherung wurden die Edelstahlbleche mit Schutzfolien abgedeckt, die erst nach der Endmontage wieder entfernt wurden.
Die Bereiche des Portals, die nicht zur Aufnahme der Mechanik erforderlich sind, wurden mit 9 mm starkem Verbundsicherheitsglas ausgefacht. Von einer Isolierverglasung wurde hier abgesehen, die Scheiben sind mit Silikon eingeklebt. An den Kopf- und Fußleisten besitzen die Torflügel große Gewinde zur Fixierung der Transportsicherung und als Ösenhalter für eine Kranmontage vor Ort.
Hilfsgestell als Kratzschutz
Eigens für den Transport dieser Portale wurden passgenaue Stahlgestelle gefertigt, welche diese von ihrer Herstellung bis zur Endmontage schützen. Der Transport und die Montage vor Ort liefen nach einem festen Procedere ab:
Alle Portale wurden hochkant, auf ihrer langen Kante stehend per LKW von Brixen nach London überführt. Jeweils vier davon besetzten einen Auflieger, das Fahrzeug wurde diesseits des Ärmelkanals komplett auf einen Zug verladen, fuhr als Einheit durch den Tunnel und auf der Insel dann wieder mit eigener Kraft weiter bis zur Baustelle. Dort wurden die Portale in Ermangelung geeigneter Lagerflächen vom Fahrzeug aus annähernd direkt eingebaut.
In einem ersten Schritt erfolgte deren liegendes Absetzen auf dem Boden noch im Sicherungsgestell. Daran anschließend wurde der obere Teil der Transportsicherung entfernt und an ein an den Hilfsgewinden am Fußpunkt eigens geschaffenes Montagegelenk mit einem schweren Betonfuß montiert. Dieser verhinderte beim folgenden Portalaufrichten, dass die Unterkante des Portals über den Boden schrammte und verkratzte. Sobald der Fassadenflügel senkrecht stand, wurde er am Kran hängend von dem Gelenkfuß getrennt und in seine "Türangel" gehoben. Bei den seitlich verfahrbaren Flügeln ist dies ein flacher Schlitten, der in einer großen Nut in der Türschwelle fährt. Dieser weist eine große, zylinderförmige Leerstelle in seiner Mitte auf, in die die Türantriebswelle eingeführt wird.
Nichts vergessen!
"Schwertransporte stellen heutzutage kein logistisches Problem dar, die aktuell große Herausforderung ist, dass wir teilweise 40.000 - 60.000 Einzelteile bei einem Projekt logistisch managen müssen", erläutert Frank Osanna, Abteilungsleiter Logistik bei Frener & Reifer. Dabei handelt es sich weniger um die eigentlich hinterher sichtbaren Elemente als vielmehr um die zahllosen Kleinteile, wie Bolzen, Bleche, Unterlegplatten, Dichtungen und Dämmungen. Schrauben, schränkt er ein, betrifft es weniger, da diese überall verfügbar sind. Sein Fazit: "Wir wissen immer, wo sich die großen Teile befinden, aber ein kleines kann auch mal verloren gehen. Das kann dann allerdings ein Millionenprojekt kurzfristig stoppen!"
Einfahrtsrechte nach London buchen
Großprojekte in London sind eine Herausforderung. LKWs dürfen ohnehin nur zu bestimmten Zeiten ein- und ausfahren und müssen dies zuvor bei der Stadt anmelden, dann erhalten sie ihr eigenes Zeitfenster. Darüber hinaus müssen die Fahrzeuge ein FORS- Zertifikat aufweisen, ein dreistufiges Prädikat zur Erhöhung der Sicherheit von Radfahrern. Vorgeschrieben ist ein seitlicher Unterfahrungsschutz, Totwinkelspiegel, teilweise Rückfahrkameras und die Fahrer müssen eine spezielle Schulung vorweisen. Angepasst an den britischen Linksverkehr müssen die Fahrzeuge jedoch nicht sein. Aus diesem Grund arbeitet Frener & Reifer mit einem kontinentaleuropäischen Spediteur zusammen, dessen Fahrzeuge und Fahrer die entsprechenden Lizenzen besitzen.
Steve Jobs Theatre, Cuppolino/CA
Aber das mittelständische Unternehmen mit rd. 250 Mitarbeitern, das in den 1970er Jahren aus einer kleinen Schlosserei mit zwei Chefs und einem Mitarbeiter hervorgegangen ist, realisiert mittlerweile weltweit Projekte. Einer ihrer prominentesten Bauten ist das Steve Jobs Theatre, der große Festsaal der Konzernzentrale von Apple im kalifornischen Cupertino. Der kreisrunde Bau besteht aus einem 8 m hohen Ring aus gekrümmten, jeweils 2,70 m langen Einzelglasscheiben. Unmittelbar auf diesen insgesamt 44 Scheiben sitzt eine im Durchmesser 47 m messende und 80 t schwere Carbonscheibe - ohne einen Rahmen, eine Fassung oder eine Fixierung. Analog zu der Anzahl der Glasscheiben setzt diese sich aus 44 Tortenstücken zusammen. Gefertigt wurden diese von Premier Composite Technologies (PCT) in den VAE und per Schiff nach Kalifornien geliefert. Neben der Baustelle wurden sie dann sorgsam zusammengesetzt und in einem einzigen Hub per Schwerlastkran auf den Glasring gehoben.
ESO Supernova
In München war das Unternehmen am Bau der ESO Supernova beteiligt, dem 2018 eröffneten Planetarium und Besucherzentrum der europäischen Südsternwarte in Garching. Hier hat es das zentrale Oberlicht, das "Sternendach" mit einem Durchmesser von 17 m geschaffen. Dies besteht aus unregelmäßigen Dreiecken, in deren Knotenpunkten Punktstrahler sitzen. In der Untersicht bilden diese den Südsternhimmel ab. Für den Erhalt des Gesamteindrucks erforderte dies eine hohe maßliche Präzision der Bauteile, bei denen keines dem anderen glich. Auch wurden im Werk in Brixen alle Teile zur Überprüfung der Stimmigkeit testweise zusammengesetzt. Nach der Fertigstellung im Werk wurde das Oberlicht für den Transport nach München zerlegt, ähnlich wie beim Steve Jobs Theatre neben der Baustelle zusammengefügt und ebenfalls in einem Hub aufgesetzt.
Nichts ist unmöglich
Logistik bedeutet mitunter, Unmögliches möglich zu machen. Frener & Reifer führte in den letzten Jahren wiederholt Aufträge für internationale Stararchitekten aus. Viele davon sind heute Stammkunden, darunter Sir Norman Foster. 2017 beauftragte dieser für die madrilenische Niederlassung seiner Architekturstiftung eine Glas Sonderfassade inklusive einer 5,40 m x 2,70 m großen Wendeflügeltür; ,die über ein dreigeschossiges Gebäude gehoben und dann präzise zwischen eine 2,5 m breite Häuserschlucht gefädelt und dort montiert werden musste. Interessant und sehr spannend war die Planungsphase: Da es sich um sein persönliches Projekt handelte, ließ sich der Stararchitekt und Inhaber eines Großbüros nicht nehmen, persönlich nach Brixen zu reisen, um mehrere Stunden zusammen mit dem gleichaltrigen Seniorchef Franz Reifer die entsprechenden technischen Details der Fassade und der Wendeflügeltür zu entwickeln. "Der Termin kam sehr überraschend für uns!", erinnert sich Josefine Tinkhauser, zuständig im Unternehmen für Design und Marketing.Robert Mehl, Aachen