Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Soccer City Stadium
Typ:
Fußballstadion
Ort:
Johannesburg [Satellit]
Staat:
Südafrika
Architekt:
Boogertman + Partners 🔗, Johannesburg
Materialien:
Betonfertigteile, Stahl
Publiziert:
Beton Bauteile 2011
Seiten:
8 - 14
Inhalt:
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Soccer City Stadion in Johannesburg

Heimstadt des Fußballs

Durch die FIFA WM 2010 ist das Soccer City Stadion in Johannesburg zusammen mit den dröhnenden Vuvuzelas zum Inbegriff der afrikanischen Fußballkultur geworden. Doch das Stadion bleibt nicht nur wegen seiner Funktion im Gedächtnis – auch wegen seiner Architektur! Und die besteht aus Betonfertigteilen.
Ein wenig erinnert das rot-braune Stadion, das völlig frei inmitten der ähnlich farbenen südafrikanischen Steppe steht, an den Ayers Rock in Australien. Freilich ist dieser ein natürlicher Felsmonolith und um ein Vielfaches größer. Doch dessen Färbung, seine Lage in der Landschaft und auch seine Proportionen sind augenfällig. De facto haben natürlich ein Fels in der Wüste und ein Fußballstadion nicht viel gemeinsam. Doch betrachtet man die pilgernden Menschenmassen sowie die kulthaften Verehrungsrituale, die an beiden Orten stattgefunden haben, ist der Vergleich vielleicht nicht ganz so abwegig.
Alt & Neu
Soccer City liegt etwa 10 km vor Johannesburg. Die Skyline der Stadt dominiert den nördlichen Horizont. Die unmittelbare Umgebung ist geprägt von einer besseren Safari- Landschaft: Grassteppe und freistehende Bäume. Nach Westen erheben sich in etwa 3 km Entfernung zwei riesige, über 100 m hohe Abraumhalden des überall in der Umgebung mit Fördertürmen präsenten Bergbaus. Anders als seine Lage vermuten lässt, ist das Stadion, das einen Durchmesser von 300 m hat, kein Neubau, sondern eine massive Sanierung einer bestehenden Arena, dem alten FNB Stadion. Da der gesamte Entwurf auf einem nachhaltigen, ressourcenschonenden Konzept beruht, war das umfangreiche Recycling des Vorhanden ein erklärtes Ziel. Von der Bausubstanz unmittelbar weiter verwendet wurden allerdings nur die zwischendurch auf den Rohbauzustand zurückgeführte Ehrentribüne auf der Ostseite sowie die Spielfeldfläche. Zudem wurde ein Graben, der einmal das Spielfeld umgab und dieses von den Zuschauerrängen trennte nicht zugeschüttet. Früher einmal diente dieser dazu das Sportgeschehen vor randalierenden Fans anstelle eines sichtbehindernden Gitters zu schützen. Nunmehr wird der mit Betonfertigteilen abgedeckte Hohlraum als Brauchwasserreservoir genutzt. Sowohl die Toilettenspülungen, wie auch die Rasenbewässerung werden darüber sichergestellt. Wieder verwendet hat man auch den Bauschutt vom Abriss der alten Ränge. Er diente vornehmlich als Untergrund für die dazugehörigen Parkplätze, Zufahrten und das parkartig angelegte Zugangsumfeld.
Die charakteristische, 56 m hohe Fassade, die an eine traditionelle afrikanische Trinkschüssel erinnern soll, ist dagegen komplett neu. Notwendig geworden war die Sanierung, da der Bestand nicht den hohen Anforderungen der FIFA entsprach. Exakt 88.958 Sitzplätze wurden in der neuen Arena geschaffen. Stehplätze verbietet ja bekanntlich das FIFA- Regelement. Hinzukommen noch 1.300 VIP- Plätze sowie 156 V- VIP- Plätze auf der Ehrentribüne. Neben diesen allgemein einsehbaren Plätzen, auf denen während der WM etwa der FIFA- Präsident Joseph Blatter oder die Bundeskanzlerin gesessen haben, gibt es in diesem Bereich noch 190 geschlossene Logen. Diese so genannten „Sky- Boxes“ bieten Sitzplätze für jeweils 32 Besucher. An diese Sky- Boxes schließen sich nach Südwesten hin noch vier größere Logen an, die während der Weltmeisterschaft von Fernsehsendern als Studios genutzt worden sind. Dabei ist allerdings nur eine davon als permanentes Studio ausgelegt.
Tribünen
Die errichtete Konstruktion basiert weitgehend auf Betonfertigteiltechnologie. Dabei sind die Tribünen von der allseits umgebenden Fassade statisch, wie auch baulich vollständig getrennt. Dabei besteht das vollständig die Spielfläche umschließende, nur die Ehrentribüne aussparende Zuschauerrund aus den typischen Tribünenstufen, die zwischen Vertikalachsen gespannt sind. Die vertikalen Elemente sind eine λ-förmige Synthese aus Stütze und Zahnbalken. Dabei liegen auf der gezahnten Oberseite der Diagonalen direkt die Tribünenstufen auf. Etwa in der Mitte des Zahnbalkens zweigt dann annähernd vertikal zu diesem eine Diagonalstütze ab. Durch ihre Neigung nach innen kann sie besonders gut Schubkräfte aufnehmen. Bedingt durch den ovalen Grundriss steift sich die gesamte Anlage der Ränge wie ein Raumtragwerk selber aus: Denn tatsächlich sind die Vertikalachsen nicht 100% parallel zueinander angeordnet, sondern folgen den Radialen des Ovals. Somit können sie nicht wie ein Kartenhaus umfallen. Die dennoch schottenartig wirkenden Elemente bestehen wie die Ränge aus Betonfertigteilen in Sichtbetonqualität. Zugänglich ist der Zuschauerbereich von allen Seiten. Das Stadion ist umgegeben von einem Laubengang, der mit Gittern in Sektoren geteilt worden ist. Von hier aus gelangt man über Durchlässe zu einem inneren Umgang hinter der Fassade, von dem die Treppenaufgänge zu den Tribünen ausgehen. Betreten wird der Fußballtempel jedoch überwiegend von der Nordseite her, weil auf dieser Seite, die Haltestationen der öffentlichen Verkehrsmittel gelegen sind.
Fassade
Wie schon erwähnt, führen die Architekten von Boogertman + Partners die äußere Form des Stadions auf die Anmutung einer typischen südafrikanischen Trinkschüssel, der Kalebasse zurück. Insbesondere sind die natürlich wirkenden Farbtöne und Oberflächentexturen an afrikanischen Flaschenkürbissen orientiert. Großen Wert legen die Johannesburger Planer darauf, dass bei der Formgebung der bedeutendste südafrikanische Fußballfunktionär Danny Jordaan maßgeblich beteiligt war. Der „Beckenbauer“ von Südafrika sieht nämlich in dem Stadion eine hochsymbolische Metapher: Es soll nicht mehr und nicht weniger als der „african melting pot“, also der Schmelztiegel Afrikas sein. Ähnlich wie die Ränge basiert die Fassadenkonstruktion auf zweidimensionalen, den Spanten eines Schiffes nicht unähnlichen Vertikalträgern, die sich mit Querträgern gegenseitig stabilisieren. Eine besondere Aussteifung war aus demselben Grund wie bei den Rängen nicht erforderlich. Während die gekrümmten Stützen ebenfalls aus Betonfertigteilen hergestellt worden sind, sind die Querträger großformatige Rechteckträger mit aufgeflanschten Kopfplatten für die Montage an den Betonspanten. Auf die Rechteckträger wurden galvanisierte Stahlrahmen montiert, welche wiederum die weithin sichtbaren, vielfarbigen Fassadenelemente aufnehmen.
Die völlig gleichförmig um das Stadion verlaufende Fassade, weist vier grundsätzliche Elementtypen auf:
- Die geschlossene Betonkachel mit Glasfaserbewehrung
- Die mit zahlreichen Löchern perforierte Glasfaserkachel; hinter diesen beginnen in der Regel Lüftungskanäle, mit der die Zuluft/Abluft von geschlossenen Räumen dahinter organisiert wird
- Opake Kunststoffkacheln aus Polypropylen, die hinterleuchtet sind und das Stadion nachts charakteristisch illuminieren
- Offene Bereiche völlig ohne Kacheln. Sie dienen der natürlichen Sauerstoffzirkulation und versorgen die unmittelbar dahinter gelegenen Tribünenaufgänge und Erschließungswege mit Frischluft

Schließlich gibt es in der Fassade noch weitere, sehr auffällige Vertikalbänder aus durchsichtigem Polypropylen. Sie durchschneiden die gesamte Außenhaut und schaffen Sichtachsen nach außen. Gleichermaßen weisen sie radial nach innen zum Anstoßpunkt in der Mitte. Ihre jeweilige Position in der Fassade legten die Architekten nicht willkürlich fest. Vielmehr weisen diese optischen Akzente vom Anstoßpunkt aus gesehen jeweils in eine bestimmte Richtung. Nämlich zu den neun anderen Austragungsorten der Fußball- Weltmeisterschaft in Südafrika. Die zehnte Sektion orientiert sich am Berliner Olympiastadion, in dem das Finale der FIFA WM 2006 ausgetragen wurde. Dies symbolisiert einen Brückschlag zwischen den Kontinenten Afrika und Europa.
Charakteristische Kacheln
Die standardisierten Glasfaserplatten wurden von der bayrischen Firma Rieder Smart Elements produziert. Als Material wurde der Werkstoff fibreC verwendet. Dabei handelt es sich um dasselbe Produkt, das schon vor zwei Jahren auf der Weltausstellung im nordspanischen Zaragossa im so genannten Brückenpavillon von Zaha Hadid zum Einsatz kam. (Siehe Beton + Fertigteiljahrbuch 2009) Hergestellt wurden die jeweils 1800 x 1200 mm großen Standardplatten jedoch nicht am Firmensitz in Kolbermoor bei Rosenheim, sondern in einer Feldfabrik unweit des Stadions in Johannesburg. In einem zweiten Schritt wurden sie für den konkreten Montageplatz auf das finale Einbaumaß angepasst. Bedingt durch die beabsichtigte Fassadenform ergaben sich überwiegend rautenartige Zuschnitte, jedoch mit unterschiedlichen Neigungen der Kanten zueinander. Man kann es sich vorstellen wie etwa die Längengrade bei einer Weltkarte.
Insgesamt wurden 2.500 Module zu je 16 Platten oder rund 86.400 m² in der Feldfabrik von Rieder Faserbeton- Elemente GmbH hergestellt. Die zehn unterschiedlichen Farbtöne der durchgefärbten Tafeln basieren auf sechs verschiedenen Flüssigfarben, die jeweils als Zuschlag in verschiedenen Mischungsverhältnissen beim Betonieren der Fertigteile zum Einsatz kamen. Hersteller dieser flüssigen Zuschläge ist die Firma Harold Scholz aus Recklinghausen, mit der die Firma Rieder schon seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitet. Der färbende Zuschlag basiert auf den Bayferrox- Pigmenten von Lanxess. Die nur 13 mm starken, kachelartig ausgeführten Fassadenbauteile sind auf der Stahlrahmenkonstruktion mit Hilfe von in den Beton eingegossenen Stahlbolzen befestigt worden. Dazu erhielten die galvanisierten Rahmen entsprechende Bohrungen. Die Bolzen wurden durch diese geschoben und schließlich von hinten vernietet.
Fazit
Mit dem Bau des neuen Soccer City Stadions hat Südafrika in beeindruckender Weise belegt, dass dieser Staat nicht nur ein geografischer Ort ist, an dem ein Sportspektakel dieser Größenordnung durchgeführt werden kann und die erste Welt, Invasorengleich ihre Logistik mitbringen und implantieren muss. Dabei schmälert es nicht diese Leistung, dass sich die südafrikanische Planung und Bausteuerung auf Basis von Ausschreibungen vorwiegend europäischer Produkte bedient hat. Vielmehr zeigt es, dass die Südafrikaner in ihrem Denken, wie in ihrem Handeln schon lange in unserem globalisierten Zeitalter angekommen sind. Über eine adäquate Nutzung der geschaffenen Infrastruktur braucht man sich nach der WM wohl keine Sorgen zu machen.
Robert Mehl, Aachen