Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Robotic Building
Typ:
Englischsprachiges Buch
Ort:
Verlag: Edition DETAIL, München
Staat:
Weltweit
Architekt:
Gilles Retsin, Manuel Jimenez, Mollie Claypool, Vicente Soler (Hrsg.)
Materialien:
Buchrezension
Publiziert:
baublatt 50/2019
Seiten:
16 - 19
Inhalt:
[Artikel]      
 

Buchrezension Robotic Building / Edition Detail

Automatische Architektur

Ein fünfköpfiges Autorenkollektiv hat ein 128-seitiges, englischsprachiges Buch vorgelegt, das den aktuellen Stand des automatisierten Bauens betrachtet. Vorgestellt wird darin der Status quo, frühe Denkansätze und eine mögliche Entwicklung unter Einbindung von künstlicher Intelligenz.
"Automation instead directs us to a point on the horizon: the obsolescence of labour" (ebenda, S. 12). Dieser Satz umschreibt in einer sehr sinnfälligen Weise das Wesen und den Charakter des Buches "Robotic Building - Architecture in the Age of Automation". Betrachtet man das wissenschaftliche Buchkonzept und die Verlagsausrichtung der Münchener Edition Detail dann erwartet der Leser ein Werk, das eher nüchtern den Ist- Zustand des computergestützten, automatisierten Bauens beschreibt. Das ist es auch – und doch viel mehr: Es reiht gegenwärtige Projekte und Initiativen in eine globale Zeitleiste ein, die nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg oder gar erst in den 1980er Jahren beginnt.
Der eingangs zitierte Satz weist auch auf den Umstand hin, dass dieses durchaus sehr philosophische Buch trotz seines deutschen Verlages auf Englisch erschienen ist und die darin publizierten Essays zwar in ihrer Anlage gut verständlich sind, aber keine leichte Kost darstellen.
Das Autorenkollektiv, das sich am Buchende selbst als solches definiert, bestehend aus Mollie Claypool, Manuel Jimenez Garcia, Giles Retsin und Vincente Soler, hat das 128-seitige, im amerikanischen Letter- Format (etwas gedrungener als DIN A 4) erschienene Hardcocer- Werk in fünf Hauptkapitel aufgeteilt. Diesen vorangestellt ist eine 10-seitige Einleitung, am Ende rundet ein 8-seitiges Kapitel mit Standpunkten das Werk ab.
Die Einleitung
Das Buch beginnt – natürlich – mit dem Bauhaus und der Moderne und erinnert an die an Architekturhochschulen in den 1990er Jahren vermittelte Gewissheit, dass mit der Moderne wahlweise der Zenit (der Höhepunkt) oder Nadir (der Tiefpunkt) der Baukunst erreicht wurde (ebenda, S. 8). Angehende Architekten lernten, dass auf die Moderne nichts Innovatives mehr folgen kann, da mit ihr alle erdenklichen Baustile ersonnen waren. Alles Folgende könne nur noch post (lat. nach) modern sein. Es sei denn – so die meist mit einem Augenzwinkern vorgetragene Einschränkung –, es würde sich eine völlig neuartige Bauweise ergeben, die mit einem bislang unbekannten Baustoff einhergeht.
Diese einstmals eherne Erkenntnis sieht man durch das zunehmend automatisierte Bauen nunmehr grundlegend in Frage gestellt. Eine zweite Feststellung bezieht sich auf Planungs- und Bauprozesse. Diese haben sich – so die Buchautoren – im Grunde seit der Antike nicht geändert: Ein Baumeister entwirft ein Gebäude mithilfe eines Datenträgers (Papyrus, Tuschezeichnung, Computerplan) und weist Handwerker an, dies dem Entwurf entsprechend umzusetzen. Auch hier ist man mit der zunehmend darin eingebundenen Künstlichen Intelligenz selbstlernender Computerprogramme, die Roboter steuern, einen entscheidenden Schritt weiter. Digitale Arme und CnC- Fräsen sind in unserer Zeit mitnichten allein der verlängerte, hochpräzise und besonders starke Arm eines steuernden Menschen. Sie operieren zunehmend selbstständig – doch dazu später.
Man erfährt in diesem Zusammenhang, dass sich das Wort "Roboter" aus dem Tschechischen ableitet und von dem Dramatiker Karel Čapek in den 1920er Jahren geprägt wurde. Erstmals setzte er seine Wortschöpfung im Rahmen des Theaterstücks R.U.R (Rossum's Universal Robots) ein. Es handelt von Kunstmenschen, die nur über ein Minimum an Eigenschaften verfügen. Sie sind emotionslos, fleißig, ehrlich, besitzen aber keine Seele.
Auf die Einleitung folgen fünf formal konstruktive Kapitel, die das automatisierte Bauen in unterschiedliche Lösungsstrategien aufgliedern und diese in ausführlichen Essays erörtern. Ergänzt werden diese durch drei aktuelle Beispiele, die die vorgestellten Überlegungen dokumentieren. Die Kapitelreihung kommt nicht von ungefähr, da letztlich die Techniken aufeinander aufbauen.
1. Kapitel: Craft - Handwerk
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Roboterarm an sich: Er ist eine in seinem handwerklichen Vermögen hochpräzise Verlängerung der menschlichen Extremität. Gespeist durch Computerprogramme führt das Gerät exakt die Arbeiten aus, die ihm vorgegeben sind. Er arbeitet sowohl additiv (hinzufügend) als auch subtraktiv (wegnehmend). Man kann es als Interface auffassen, das schraubt, fügt oder webt, das aber auch fräst, schneidet oder sogar schweißt.
Redundanzen – sprich: Monotonie – sind hierbei ebenso unerheblich wie eine Kostensenkung durch Replikation. Jedes Produkt ist ein Einzelstück, der Fertigungsaufwand bleibt identisch. In diesem Zusammenhang ist eines der drei vorgestellten Beispiele, die Chi- She Gallery in Shanghai von Philip Yoan, sehr plakativ: Ein transversal zusätzlich verfahrbarer Roboterarm erstellte hier eine Ziegelmauer mit minimal veränderten Steinpositionen. Diese vorsätzliche Positionsmodifikation führte zu dreidimensionalen Auswölbungen der Wandfläche, die im Ganzen ein sinnfälliges Muster ergeben. Ein Mensch hätte dies nur unter größtem Zeitaufwand nachvollziehen können.
2. Kapitel: Print -Drucken
Das zweite Kapitel widmet sich dem 3D- Druck, letztlich der aktuell augenfälligsten Strömung, die man mit automatisiertem Bauen verbindet. Das allgemein formulierte Fernziel ist das dreidimensionale Ausplotten eines vollständigen Hauses mit einem entsprechenden Drucker. Tatsächlich existieren hierzu zahlreiche Forschungsprojekte und -plattformen an verschiedenen Universitäten mit diversen Materialien, darunter Beton. Limitiert werden die Projekte vorrangig durch zwei Faktoren: die schiere Größe – es erfordert bislang immer einen größeren Drucker als das zu realisierende Objekt – und die Vielzahl der Baustoffe. Man kann zwar einen Betonkörper ausdrucken, was aber ist mit dessen Dämmung, den Fenstern, den Türen, dem Innenausbau?
Der 3D- Druck funktioniert im Prinzip immer gleich: Ein digital gesteuerter Arm bewegt eine Düse durch den Raum. Dieser entströmt ein flüssiger, rasch erhärtender Baustoff, der eine quasi unendliche Materialwurst formt. Aufgebracht auf ein dreidimensionales Trägermaterial oder gleich frei im Raum erstarrt, entsteht so der beabsichtigte Körper.
Die vorgestellten drei Beispiele unterscheiden sich fundamental im Ansatz: Den Space- Truss- Prototype könnte man noch als ingenieurtechnische Anwendung ansehen. Mit einem 3D- Kunststoffdrucker wird eine dreidimensionale Schalung erstellt, die anschließend mit ultrahoch-selbstverdichtendem Beton ausgegossen wird.
Das Kunstprojekt Thallus von Zaha Hadid Architects, 2017 erstellt für die Mailänder Design, besteht hingegen aus einem trichterartigen Körper, dessen perforierte, jedoch selbstragende Außenhaut von einem 3D- Drucker erzeugt wurde. Dazu wurde zunächst mit Hilfe eines Roboterarmes und einer daran montierten, großformatigen Schmelzsäge das Kernvolumen dieser Skulptur aus Polystyrol geschnitten. Diesen Rundkörper bedruckte dann ein Roboter dreidimensional. Nach Fertigstellung der so erzeugten Außenhaut wurde der Kern entnommen und die gedruckte Struktur verblieb. Zur optimalen Druckstrangführung entwickelten die Planer um den federführenden Patrik Schumacher einen Algorithmus, der die einwirkenden Kräfte auf stark mäandernde und unterschiedlich starke Materialstränge verteilt.
Das dritte Projekt "Digital Grotesque II" geht noch einen Schritt weiter, da bei diesem 2017 im Pariser Centre Pompidou gezeigten Kunstwerk selbst die Kreatoren Michael Hanmeyer und Benjamin Dillenbruger das Resultat im Vorfeld nicht kannten. Grundsätzliches Ziel war die Erstellung einer grottenartigen Skulptur mit einer sandsteinartigen Oberfläche. Die genaue Ausformung wurde jedoch durch einen selbstlernenden Algorithmus ermittelt, der sich durch eine statistische Auswertung der Daten von Nutzern speiste, die eine eigens hierfür eingerichtete Webseite aufgesucht hatten. Es ist eine Frage der Auslegung, ob hier Kunst durch künstliche Intelligenz erschaffen wurde.
3. Kapitel: Assemble - Zusammenfügen
Mit diesem Kapitel wird der aufeinander aufbauende Buchcharakter erstmals deutlich. Es wird dargestellt, dass allein das Zusammenfügen von – auch undefinierten, weitgehend natürlichen – Materialien in ihrer Addition so exakt sein muss, dass sich dadurch eine Tragkonstruktion ergibt. Vorgestellt wird hierzu das Projekt "Rock Printing". 2015 umgesetzt durch Grammazio Kohler von der ETH Zürich auf der Architektur Biennale von Chicago verknüpft dieses wortwörtlich Schaumglasschotter – ein Zuschlagsmaterial für Leichtbeton – mit einer 10 km langen Schnur. Verlegt wurde diese mittels eines Roboterarms in einem Volumen von 1,2 x 1,5 m Grundfläche und einer finalen Höhe von 4,00 m. Der Zusammenbau erfolgte lagenweise. Nach dem Abspulen einer gewissen Schnurlänge wurde Schotter von Hand eingefüllt und die seitliche Schalung höhergezogen. Die geschah bis zum avisierten oberen Abschluss. Danach entfernte man die spundwandartige Außenschalung und das nicht mittels des Fadens bewehrte, artifizielle Geröll fiel zu Boden. Das durch den Faden gehaltene Material bildete hingegen eine definierte, zahnähnliche Form, die skulpturartig auf drei Füßen stand. Faszinierend war auch die sortenreine Demontage nach Ausstellungsende: Der Faden wurde einfach herausgezogen – die Skulptur fiel in sich zusammen.
4. Kapitel: Many - Viele
Wie erwähnt ist eines der Hemmnisse der automatisierten Gebäudeproduktion die reine Objektgröße. Als mögliche Lösung stellen die Buchautoren in diesem Kapitel Projekte vor, die mit artifizieller Schwarmintelligenz operieren. Als natürliche Vorbilder dienen etwa Termitenhügel oder Bienenstöcke: Dort gibt es keinen Generalplan, nach dem die Insekten arbeiten. Sehr wohl aber existiert Teamwork, gesteuert von Botenstoffen und kollektiven Reaktionen auf äußere Einflüsse.
Verwiesen wird hier auf den hinreichend bekannten Pizzabot, einen autarken Roboter in Form einer Pizzaschachtel, der aus anderen, leeren Pizzaschachteln eine Mauer baut und dabei dieselben als Steighilfe verwendet. Zwei dieser Roboter lassen sich zusammenschalten. Wenn der Nachschub einseitig erfolgt, versorgt einer den anderen mit weiteren Schachteln, baut dabei einen für ihn gangbaren Weg auf der wachsenden Mauerkrone und erhöht zudem seinen Schachtelanteil.
Als praktische Anwendung wird hier das Firmen- Start-up Smblr von Ivo Tedbury vorgestellt. Dessen Unternehmen will mit zahlreichen Kleinstrobotern operieren, die in der Lage sind, sich entlang eines definierten Baukörpers mit Krallen und Klammern zu fixieren, sich mit Hilfe von Raupenketten darauf zu bewegen und so autonom ein räumliches Objekt zu erstellen.
5. Kapitel: Diffuse - Diffus
Tatsächlich ist der Verfasser dieses Artikels an dieser Stelle geneigt, den Buchautoren eine subtile Selbstironie zu unterstellen, die nichtsdestotrotz einen ernsten Kern umschreibt: Wohin soll das alles führen? Die Antwort bleibt diffus. Wir kehren zurück zum Eingangszitat: Darin wird festgestellt, dass das Ideal der Automation dann erreicht ist, wenn jegliche Arbeit überflüssig ist. Das wirft aber auch die Frage auf, wohin uns die Automatisierung in allerletzter Konsequenz führen soll.
Das Kapitel konstatiert ferner, dass die weltweite Forschung ebenfalls Qualitäten von Schwarmintelligenz besitzt und letztlich nicht zentral steuerbar ist. Die Frage, ob wir künstliche Intelligenz als Gesellschaft überhaupt wollen, ist deshalb müßig, da der Weg dorthin bereits heute unumkehrbar beschritten ist. Entsprechend ist die Conclusio des Buches, dass wir – nicht nur hinsichtlich eines Baustils – am Anfang einer neuen Epoche stehen.
Auch zu diesem Kapitel wird mit dem RV Prototype House ein reales Beispiel angeführt. Es handelt sich um ein eiförmiges Gebilde, so groß und kompakt wie ein kleines Apartment. Dieses sitzt auf einem beweglichen Fuß und kann von der Waagerechten in die Senkrechte verschwenkt werden. Alle Innenflächen sind interaktiv, das Objekt kann man als einen "Universalsimulator" auffassen. In dem Gerät herrscht eine beliebige virtuelle Realität: Der Nutzer kann wahlweise in einem Schloss residieren, an einer steilen Wand hochklettern oder als fiktiver Pilot von A nach B fliegen. Eigentlich ein erschreckender Gedanke: Die Menschheit ist an sich obsolet und wird in eiförmige Kapseln verbannt.
Robert Mehl, Aachen