Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Kathedrale
Ort:
Paris [Satellit]
Staat:
Frankreich
Architekt:
Materialien:
Großfeuer vom 15.04.2019
Publiziert:
structure 18.04.2019
Seiten:
online
Inhalt:
[Artikel]      
 

Dachstuhlbrand von Notre Dame, Paris

Effektiver Brandschutz des Mittelalters

Das Großfeuer von Notre Dame 15. April 2019 vernichtete ausschließlich den hölzernen Langhausdachstuhl und den Vierungsturm. Dank der schützenden, mittelalterlichen Gewölbe und der dies berücksichtigenden Feuerlöschstrategie griff der Brand aber nicht auf den Kirchenraum über.
Im Frühmittelalter verfügten Kirchenbauten noch über keine Gewölbe in ihren Langhäusern, nur in ihren Chören und Seitenkapellen. Das Hauptschiff bedeckende Gewölbe begannen erst in der Romanik sich durchzusetzen. Mit ein Hauptgrund dafür war ein vorbeugender Brandschutz: Feuer wurde damals als von oben kommend wahrgenommen: Blitzschläge trafen häufig die exponierten Kirchenbauten, da diese die weitere urbane Bebauung um ein vielfaches überragten. Stadtbrände hingegen betrafen die meist freistehenden Sakralbauten mit ihren überwohnhaushohen Fensterbrüstungen hingegen kaum. Dieser vor gut 800 Jahren geschaffene, bauliche Brandschutz kam bei Notre- Dame nun auch den Löscharbeiten des Großfeuers vom 15.April 2019 zugute.
Tatsächlich kann man hier von einem reinen Dachstuhlbrand sprechen, bei einer Langhauslänge von 130 m und einer Breite von 48 m freilich in einem "biblischen" Ausmaß. Dabei begünstigte die Dachstuhlbauweise die Ausbreitung des Feuers. Da das Dach - gerade für mittelalterliche Verhältnisse - über eine extrem schwere Eindeckung aus 250 t Blei verfügte, war eine besonders dicht angelegte Unterkonstruktion für dessen Lastabtragung erforderlich. Sie wurde bei Notre- Dame als Forêt - zu deutsch als "Wald" bezeichnet und bestand aus über 1.300 Eichenholzstämmen oder rd. 500 t Holz. Das Holz stammte teilweise noch aus der Bauzeit zwischen 1163 bis 1345, teilweise war es eine Zutat des 19. Jhd. als unter Eugène Viollet-le- Duc den im Zuge der französischen Revolution verfallenen Sakralbau ab 1844 in 20 Jahren restaurierte. Aus dieser Zeit stammt auch der ehedem 96 m hohe, "La Flèche" genannte Vierungsturm, der dem Brand zum Opfer fiel und dessen Einsturz eines der Gewölbe durchschlug.
Rückblickend schätzt die französische Feuerwehr, dass der totale Kirchenkollaps wahrscheinlich eingetreten wäre, wenn die große Hitze des Dachbrandes vielleicht eine weitere halbe Stunde lang angehalten hätte. So kollabierte neben dem der Vierung nur noch ein weiteres östliches Gewölbe. In den eigentlichen Kirchenraum griff der Brand, nicht zuletzt durch ein sofortiges Löschen der herabstürzenden Bauteile nicht über, weshalb selbst das hölzerne Gestühl, bemerkenswerter Weise sogar Wachskerzen, vor allem aber die weltbekannten Rosettenfenster erhalten blieben.
Noch während des Feuers warf US- Präsident Trump per Twitter die Frage auf, warum die Feuerwehr keine Löschflugzeuge einsetze. Rückblickend weiß man, dass es eine sehr weise Entscheidung war. Denn ein derartiger Löschversuch hätte, gerade in einem fortgeschrittenen Zustand des Brandes, bedingt durch die enorme Last des herabstürzenden Wassers, sehr wahrscheinlich die hitzegeschwächten Gewölbe durchschlagen.
Wiederaufbau in fünf Jahren
Am Tag nach dem Brand verkündete der französische Ministerpräsiden Emmanuel Macron die Absicht Notre- Dame innerhalb von fünf Jahren wiederherzustellen. Sein Kulturminister Franck Riester wies jedoch auf den Umstand hin, dass es schwer werde, das Kathedralendach 1:1 neu zu eschaffen, da es schlicht auf französischen Staatsgebiet keine Eichenstämme dieser Dimension mehr gäbe. Prof. Manfred Curbach von der TU Dresden, einst federführende Ingenieur beim Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche stellt zudem fest, dass vordringlich nun untersucht werden muss, wie stark das Mauerwerk durch die Hitze beschädigt wurde. Als günstig betrachtet er, dass bei Notre- Dame es nur um wenige Stunden handelte, wohingegen etwa die Frauenkirche nach dem verheerenden Bombenangriff im Februar 1945 über mehrere Tage hinweg förmlich ausglühte. Dies alles berücksichtigend soll nun zeitnah ein internationaler Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden, bei dem den Teilnehmern freigestellt wird, ob sie nun minutiös das verlorene Dach und den Vierungsturm wiederherstellen wollen - oder ab sie dem Dach eine neuartige, zeitgemäße Anmutung verleihen. Letzteres war das übliche Vorgehen in allen Stilepochen, eine Totalrekonstruktion wäre jedoch denkbar, da selbst von dem Forêt ein detailliertes 3D- Aufmass vorliegt. Angesichts der aktuell vorliegenden Großspenden in einem Gesamtnennwert von derzeit rd. 1 Mrd. Euro sollte allerdings jede Art der Lösung finanziell möglich sein.
Beispiel Notre Dame nicht unmittelbar übertragbar
Natürlich stellten deutschen Medien sofort die Frage, ob so eine Katastrophe auch bei hiesigen Baudenkmälern denkbar ist. Zugespitzt wurde dies durch einen Fauxpaus der New York Times, welche die Brandkatastrophenmeldung von Notre Dame irrtümlich mit einem Foto des Kölner Dom illustrierte. Hier stellte die frühere Kölner Dombaumeisterin Dr. Barbara Schock- Werner fest, dass die Situation so auf den Kölner Dom nicht übertragbar sei, da dieser im Zuge seiner Fertigstellung im Zeitalter der Industrialisierung einen Dachstuhl aus Stahl erhalten habe.
Der Aachener Dombaumeister Helmut Maintz hält so eine Feuersbrunst bei seiner Kirche, der allerersten deutschen Welterbestätte von 1978 ebenfalls nur für schwer denkbar: Denn deren Dachstuhl weist tatsächlich seit den 1920er Jahren eine Sprinkleranlage auf. Es handelt sich um eine der weltweit Ersten überhaupt, die natürlich zwischenzeitlich mehrfach überholt wurde. So wurden um eine Beschädigung der wertvollen Deckenfresken durch Löschwasser zu vermeiden, die gotischen Gewölbekappen auf ihrer Oberseite mit einer Estrichschicht überzogen, welche unlängst saniert wurde.
Robert Mehl, Aachen
https://www.structure-magazin.de/artikel/notre-dame-brandschutz-im-mittelalter-34027