Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Ev. Thomasgemeinde
Typ:
Gemeindezentrum / Kirche
Ort:
Mannheim-Neuhermsheim [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Netzwerkarchitekten 🔗, Darmstadt
Materialien:
Betonfertigteile, Glas
Publiziert:
Beton + Fertigteiljahrbuch 2008
Seiten:
32 - 37
Inhalt:
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Gemeindezentrum in Mannheim- Neuhermsheim

Die Schöpfung und das Licht

 
An dem Gebäude führt sprichwörtlich kein Weg vorbei. Es sitzt genau auf dem Knickpunkt der Hauptstraße, die durch Neuhermsheim führt. Sie besteht aus zwei schnurgeraden Achsen, die unmittelbar vor dem Bau eine 90° Kurve vollführt. So besetzt das neue Gemeindezentrum der Thomasgemeinde prominent die Mitte des Mannheimer Neubauviertels, das lange Zeit als ein Anhängsel des gründerzeitlichen und wohlhabenden Vorortes Neuostheim galt.

Offen und abgegrenzt

Das Grundstück des Gemeindezentrums ist von drei Straßen umschlossen, an der vierten Kante grenzen private Gärten an. Zusätzlich schließt sich über eine Straße hinweg nach Süden der Dehoffplatz an, ein attraktiver, öffentlicher Raum mit maßvoller Größe, den man getrost als das Epizentrum des Stadtteils bezeichnen kann. Die Existenz dieses Grundstückes im Herz des urbanen Satelliten ist natürlich kein Zufall, sondern mit bedacht von den Stadtplanern für eine öffentliche Nutzung vorgesehen worden. Gleichwohl musste es von der evangelischen Gemeinde ganz regulär erworben werden.
Der nun von den Darmstädter netzwerkarchitekten realisierte Entwurf ist das Resultat eines zweistufigen Architekturwettbewerbes, an dem sich in der ersten Phase über 400 Teilnehmer beteiligten. Das prämierte Konzept gründet auf der Idee, einen offen-abgegrenzten Raum zu schaffen. „Offen“, weil er einladend wirken sollte und transparent in der Form, dass er Menschen motiviert näherzutreten. „Abgegrenzt“ weil der Bau einen feierlichen Kontext für die künftig hier stattfindenden Veranstaltungen schaffen soll. Eine Wirkung, die mit dem Rahmen eines Bildes vergleichbar ist. Auf die Umschließung des Grundstücks durch die drei Straßen reagierten die Planer mit einer sehr urbanen Geste: Statt in der Mitte einen sakralen Solitär zu errichten, führen sie den Bau bis an die Grundstücksgrenzen. So konnte auch vermieden werden, dass gartenartige Abstandsflächen um den Bau herum entstehen, die wiederum einer Einzäunung bedurft hätten. Stattdessen konnte die gewünschte Freifläche als ein eiförmiger Innenhof realisiert werden. Dieser durchbricht nach Norden hin zu den angrenzenden Gärten die rechteckige Basisfigur des Pavillons und öffnet ihn nach außen. Mit der rasenbestandenen Aussparung wird eine introvertierte Zone geschaffen, die den nach außen blockhaft erscheinenden Bau subtil in drei Flügel teilt. Im Westen befindet sich der Haupteingang mit dem auch als Andachtsraum nutzbaren Gemeindesaal. Daran schließt nach Süden eine Zone von kleineren Gruppen- und Nebenräumen an. Der östliche Gebäuderiegel ist schließlich ein offener, etwa 200 qm großer Unterstand, der wie auch die Wiese im Zentrum der Anlage jederzeit zugänglich ist. Dieser halböffentliche Bereich bildet das Pendant zu dem nur begrenzt zugänglichen Gemeindesaal. So wird nicht nur in sinnfälliger Weise die ganze Bandbreite des Gemeindelebens ins Szene gesetzt, sondern auch ein Freiraum von hohem Gebrauchswert geschaffen. Seine Größe erlaubt die wetterunabhängige Durchführung von Gemeindefesten ohne die sonst so obligaten Bierzelte. Ein Umstand, der schon bei der Einweihung für allgemeine Begeisterung sorgte.

Maximale Transparenz

Mit dem Entwurf suchten die Architekten vor allem ein bauliches Äquivalent für das Selbstverständnis der evangelischen Gemeinde. Diese will ihr neues Gemeindezentrum nicht nur als Kirche, sondern auch als vermietbare Veranstaltungsstätte nutzen.
Die Schwierigkeit eines entsprechenden Entwurfes bestand in dem Spagat, einen Raum zu schaffen, der sowohl die weihevolle Atmosphäre eines Sakralraumes besitzt, sich aber gleichzeitig durch wenige Handgriffe zu einem weitgehend neutralen Veranstaltungsraum umnutzen lässt. Das häufig bei spirituellen Orten angewendete Prinzip, das Tageslicht zu dämpfen, etwa durch dessen indirekte Führung oder durch den Einsatz von farbigem Fensterglas, erschien ihnen in diesem Kontext als wenig geeignet. Stattdessen entschied man sich dafür, mit einem Maximum an Transparenz und natürlichem Lichteinfall zu arbeiten. Ein Konzept, das in seinem Wesen dem Charakter gotischer Kathedralen nahe kommt. Die Kirche als gläserner Schrein.

Die Betonstruktur

Die für eine Andacht notwendige Distanz zur Außenwelt wurde durch die Schaffung einer realen Trennschicht manifestiert. So wurde der thermisch wirksamen, geschosshohen Verglasung eine vorhangartig schützende Struktur aus den eingangs schon erwähnten Betonfertigteilen vorgelagert. Dazwischen verläuft ein vielleicht 80 cm breiter Umgang. Die amorphe Freiform der Betonelemente inspiriert sich an Bildern aus der Natur, die hier als Metaphern für die biblische Schöpfung stehen: wogende Ähren eines Getreidefeldes oder florale Motive, wie Blumenstengel und Blätter. Sicherlich ist auch die Assoziation mit züngelnden Flammen nicht unerwünscht, da diese gerade in der christlichen Lehre als Sinnbild für die Verkündung des Glaubens gelten.
Die Betonfertigteile der Außenfassade dienen nicht nur als Filter zur profanen Welt, sie sind auch statisch wirksam. Während zum Innenhof schlanke Stahlstützen die Auflast der Decke tragen, werden die Kräfte außen über die aus herkömmlichem Weißzement gegossenen Elemente abgetragen. Die von der Firma Hering Bau in Burbach hergestellte Außenhaut besteht aus lediglich zwei Grundelementen, die jedoch unterschiedlich lang sind. Die Attika und die Basis der Bauteile wurden in gleicher Weise ausgestaltet, so dass die Fertigteile auch um 180° gedreht eingebaut werden konnten. Die sich dadurch ergebenden vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten reichten aus, um eine nicht rhythmische, sondern ungerastert-homogene Fassadenanmutung zu erzielen. Zudem wurde die Wahrnehmung der horizontalen Spiegelsymmetrie weitgehend dadurch unkenntlich gemacht, dass das Erdreich fast auf Höhe der Basisoberkante an den Bau herangeführt worden ist.

Licht und Schatten

Sicherlich besticht dieser Bau schon auf Abbildungen durch seine expressiv-amorphe Formensprache. Viel eindrücklicher in Erinnerung bleibt er jedoch durch die Lichtfluten, die das Volumen beherrschen. Sie sind tatsächlich so groß, dass der Bau ein besonderes Verschattungskonzept aufweist, um diese bei Bedarf ein wenig einzudämmen. Dazu können entlang eines schneckenartig angeordneten Deckenkanals Vorhänge gezogen werden. Dieser verläuft zunächst entlang der Außenfenster und vollführt dann eine konzentrische Bewegung hin zur Mitte des Gemeindesaales. In diesem Zentrum enden die Führungsschienen der Vorhänge und ein Lichtband beginnt in demselben Kanal. Dieses läuft dann in einer zweiten Spiralbewegung wieder nach außen. Neben der Verschattung können die Vorhänge auch zum Einrichten verschiedener Raumszenarien verwendet werden. So ist es zum Beispiel möglich, den Kernbereich des Gemeindesaales zu separieren und einen Umgang um diesen zu schaffen.

Zeitlose Schöpfung

Der überrascht bei eingehendem Studium mit seinen sakralen Details. Sei es nun die kreuzgangartige Introvertiertheit des Innenhofes, die mit einer gotischen Chorhalle verwandte Transparenz des Andachtsraumes oder das Gegenüber von Gemeindesaal und Unterstand, das entfernt an den klösterlichen Dualismus von Kirchenschiff und Refektorium erinnert. Tatsächlich ist es den Architekten mit ihrer Schöpfung gelungen, eine moderne Entsprechung für ein über Jahrhunderte tradiertes Bauthema zu finden. Dass dabei eine Fassadenstruktur entwickelt worden ist, die mit biblischen Motiven assoziiert werden kann, verstärkt noch einmal stimmig den sakralen Charakter diese Ortes und gibt dem Bau eine zeitlose Note.
Robert Mehl, Aachen