Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Kunstmuseum
Ort:
Berlin [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Materialien:
Stahl, Glas, Beton
Publiziert:
baublatt 12/2022
Seiten:
20 - 23
Inhalt:
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Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie in Berlin

Tempel- Update

In Berlin wurde die von Mies van der Rohe entworfene Neue Nationalgalerie durch das Büro David Chipperfield Architects umfassend saniert. Dabei begriffen sich die Planer als "unsichtbare Architektinnen und Architekten", um gemäß der Bauherrenvorgabe "So viel Mies wie möglich" umzusetzen.
“Ein Gebäude von solch unantastbarer Autorität zu zerlegen, war eine merkwürdige Erfahrung, aber auch ein Privileg," stellt der Architekt David Chipperfield in einem Memorandum fest. Weiter ergänzt er, dass die Neue Nationalgalerie für seine Arbeit und die vieler anderer Architekten Maßstäbe gesetzt hat. Hinter diese Fassade zu blicken, hat ihre Genialität und zugleich ihre Mängel offenbart, jedoch seine Bewunderung für Mies‘ Vision nur verstärkt. Daher war Chipperfields Arbeit von chirurgischer Natur. Sie befasste sich mit technischen Belangen, um Mies' Vision zu schützen. Ein solches Unterfangen in einem Gebäude, in dem man nichts verstecken kann, bezeichnet Chipperfield als "einschüchternd". Aber sein Büro hofft, den "Patienten" dem Anschein nach unberührt entlassen zu haben – nur in viel besserem Zustand.
Martin Reichert, Partner und Managing Director im Büro Chipperfield ergänzt dazu: "Dieses Bauvorhaben war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: die Ernsthaftigkeit, mit der selbst scheinbar marginale denkmalpflegerische Fragen von allen Beteiligten diskutiert wurden, die hohe Wertschätzung der materiellen Substanz, die differenzierte Abwägung der unterschiedlichen Interessen und Belange sowie die explizite Botschaft, dass nach Abschluss der Baumaßnahme nicht mehr zu sehen ist, als ein mit großer Sorgfalt instandgesetztes Hauptwerk der späten Moderne. Es gab kein Versprechen auf neuen Glanz, keine Verheißung neuer Qualitäten, keine Neu- Interpretation oder ästhetische Auffrischung. Nur eine denkmalgerechte Grundinstandsetzung des letzten Werks von Ludwig Mies van der Rohe.”
Diese beiden Zitate benennen plastisch die große Herausforderung, vor der das Büro Chipperfield stand, als es vor zehn Jahren im Juli 2012 das europaweite, offene Architekten- Auswahlverfahren für sich entscheiden konnte und vom Bauherrn der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie beauftragt wurde.
Formuliert war zunächst, die über die fast fünfzigjährige Existenz des Gebäudes entstandenen bzw. konstruktionsbedingten Bauschäden abzustellen und den Bau an die heute geltenden Bauvorschriften anzupassen. Eine sorgfältige Untersuchung, ergänzt durch eine fast einjährige Archivrecherche, insbesondere im Museum of Modern Art (MoMA) in New York zeigte jedoch, dass dies nicht möglich war, ohne das Gebäude in seinem inszenierten Purismus stark zu verfälschen. Erschwerend kam hinzu – und das spricht Chipperfield eingangs an – dass sich beim Rückbau herausstellte, dass die Qualität der Ausführung mitunter zu wünschen übrig ließ oder das manches versteckte Detail erschreckend profan war und schon zur Bauzeit nicht mehr dem Stand der Technik entsprach.
Blickfang Ausstellungshalle
Die große Ausstellungshalle mit ihrem 50 Meter im Quadrat messenden, monumentalen Flachdach, das auf acht im Verhältnis dazu schlanken Stahlstützen ruht, die frei vor der eingerückten Glasfassade stehen, ist das ikongrafische Gesicht der Neuen Nationalgalerie. Diese geometrisch einfache Struktur in seiner Reduziertheit zu erhalten, stellte die schwierigste Herausforderung dar.
Zunächst galt es, einem baukonstruktiven Mangel entgegenzuwirken, denn die aus überdimensional großen Scheiben bestehende Glasfront wies keine Dehnungsmöglichkeiten auf. Selbstverständlich heizte sich alljährlich die matt-schwarz gestrichene Stahlkonstruktion im Sommer stark auf und kühlte sich im Winter entsprechend stark ab. Daher kam es seit Eröffnung des Museumstempels am 15. September 1968 immer wieder zu Glasschäden, die man nun endgültig in den Griff bekommen wollte.
Des Weiteren handelte es sich bei den Stahlelementen der Glasfassade nicht um thermisch getrennte Profile und die Scheiben bestanden auch nicht aus Isolierglas. So kam es ab Außentemperaturen unterhalb von 4°C zu einem starken Tauwasserausfall auf der Innenseite, was einerseits nicht museumsgerecht war, andererseits auch zu einer starken Korrosion der Stahlelemente führte. Diese trat vor allem an den scharfen Profilkanten auf, da diese eben nicht die heute gebräuchlichen Abrundungen aufwiesen. Durch die Scharfkantigkeit war die Adhäsion – die Haftkraft – des Lacks innen wie außen stark reduziert und Farbschichten fielen an diesen Stellen erheblich dünner aus.
Bei den 3,43 m breiten Scheiben stellte sich die Frage, ob man ein Wärmeschutzglas verwendet und was überhaupt infolge der zu erwartenden Spannungskräfte dafür geeignet war. In Abstimmung mit der Denkmalpflege entschieden sich die Planer gegen eine Wärmeschutzverglasung und für eine Verbundsicherheitsverglasung aus zwei teilvorgespannten Scheiben mit einer 3 mm starken Zwischenlage aus Ionoplast. Obwohl die neuen Scheiben mit 27 mm mehr als doppelt so breit wie die 12 mm starken Originalscheiben sind, überzeugen diese mit ihrer Farbneutralität und Lichtdurchlässigkeit. Sie tragen wesentlich zur Reduzierung der Spiegeleffekte bei und unterstützen die transparente Außenwirkung der Halle essentiell.
Ein weiterer Vorteil war, dass die Scheiben – nur mit einer neuen Glasleiste versehen – in die bestehenden Profile eingepasst werden konnten. Das mit der Leitdetailplanung der Fassadensanierung beauftragte Stuttgarter Ingenieurbüro Drees & Sommer entwickelte für die Fassade zur Kompensation der thermischen Bewegungen so genannte Dehnpfosten, die nunmehr jeden dritten Pfosten der Fassadenfläche ersetzen. Diese Vertikalelemente besitzen eine mechanische "Seele" aus starken Druckfedern, die den markant vorkragenden Pfostenmittelteil stets in Profilmitte halten, während sich die Scheiben ausdehnen oder zusammenziehen können. Diese über eingebaute Dichtungsfolien vor Feuchtigkeit geschützte Federmechanik wird gehalten von einem Gehäuse – quasi den Profilaussenkanten –, die jeweils mittels einer 3D- CNC- Fräse aus einem Stück Stahl erstellt wurden.
Schließlich stellte sich die grundsätzliche Frage, wer überhaupt eine solche Glasbreite liefern konnte, da es schon in den 1960er Jahren überhaupt nur noch einen Hersteller in Frankreich gab, der die Scheiben im dimensionsoffenen Libbey- Owens- Verfahren herstellte. In der heutigen Zeit dominiert das von Alastair Pilkington entwickelte Floatglas- Verfahren die Glasproduktion, das allerdings nur eine Maximalbreite von 3,21 m zulässt. Die weltweite Suche fand ihr erfolgreiches Ende in dem chinesischen Hersteller Jinjing aus der Provinz Shangdong. Dieser konnte die benötigten Scheiben in den Größen 3,43 x 5,40 m und 3,54 x 3,84 m über den Glasveredler NorthGlass aus Tianjin liefern.
Durch die Verwendung des VSG- Glases wurde zwar der Wärmeschutz deutlich verbessert, jedoch bei weitem noch nicht das Optimum erreicht. Dessen war man sich bewusst und nahm daher in Kauf, dass es bei bestimmten Wetterlagen weiterhin zu Tauwasserausfällen kommt. Einerseits betrachten die Architekten dies als eine tradierte Eigenschaft des Bauwerkes, andererseits ließ sich nur so die vertraute Fassadensituation erhalten. Und schließlich begegneten die Planer konstruktiv dem erwarteten Tauwasser damit, dass sie unter den bestehenden Lüftungsgittern, die Mies von der Rohe ohnehin innenseitig hinter der Fassade angelegt hatte, eine Entwässerung einrichteten.
Sockelgeschoss
Der formale Trick der Neuen Nationalgalerie ist ihr Sockelgeschoss, denn zum einen wird damit die schwarze Ausstellungshalle förmlich zu einem Tempel erhöht. Zum anderen sind in dem Sockelgeschoss die eigentlichen Ausstellungsräume untergebracht. Gemälde brauchen vor allem neutrale Wandflächen, um sie zu präsentieren, auch verhindert eine geschlossene Raumsituation effektiv das Eindringen schädlicher UV- Strahlung und ermöglicht eine pointierte Illuminierung.
Äußerlich zeichnete sich der Sockelbau vor allem durch seine Geschlossenheit auf und war deshalb mit insgesamt 14.000 Steintafeln aus Striegauer Granit sowohl an den Wänden wie auch auf der Freifläche verkleidet. Aus welchem Steinbruch genau das Steinmaterial um den niederschlesischen Ort Strzegom (Striegau) kam, lies sich nicht mehr abschließend klären, was tatsächlich für den Ersatz zerbrochener Tafeln bedauerlich war. Besonders bei den exakt 1,194 m im Quadrat messenden und nur 3,2 cm starken Bodenplatten der Terrasse waren einige zerbrochen. Dies geschah vor allem infolge unregelmäßiger Untergrundsetzungen und darauf aufgebrachter hoher Punktlasten, wie etwa Skulpturen oder das Bühnenequipment temporärer Events.
Der schadhafte Untergrund behinderte zunehmend eine einwandfreie Flächendrainage, was zu Pfützen und damit verbundenen Frostschäden im Winter führte. Darüber hinaus hinterließen Moose, Algen und zahllose Skate- Boarder ihre Spuren auf dem Granit der Freifläche. Zur Sanierung nahm man alle Steine auf, kartierte deren genaue Position und säuberte sie im Partikelniederdruckverfahren. Bei manchen Elementen kam anschließend noch ein Heißwasserhochdruckverfahren zum Einsatz, um so ihre übermäßige Vergrünung zu neutralisieren. Die katalogisierten Granitplatten waren während des Rückbaus der Neuen Nationalgalerie auf ihren Rohbauzustand im Dezember 2016 aufrecht stehend in Brandenburg gelagert. Nunmehr wurden alle Bodenplatten reversibel auf einem Splittbett in einem lichten Abstand von 12 mm verlegt, um ein Abfließen des Regenwassers dazwischen zu ermöglichen. Das Wasser gelangt zu einer Drainagematte mit Trennlage, die auf einer mit Heißbitumen eingeschlämmte Gefälledämmung aus Schaumglas aufliegt. Für Starkregenereignisse ist zusätzlich eine Abführung des Wassers oberhalb der Steinplatte eingerichtet. Wie erwähnt, sind auch die Sockelaußenwandflächen mit Naturstein verkleidet. Tatsächlich handelt es sich hier um eine der ersten vorgehängten, hinterlüfteten Fassaden, die in Deutschland ausgeführt wurden. Bei dieser Fassade steht daher nicht nur die Ansicht, sondern auch die Konstruktion, insbesondere die eingesetzten Befestigungsanker, unter Denkmalschutz. Entsprechend aufwändig hatte die Demontage und der Widereinbau derselben zu erfolgen.
Unmerkliche Ergänzungen
Eine für den Museumsbesucher nicht erfahrbare, aber für die internen Abläufe sehr bedeutsame bauliche Ergänzung hat zu einer Neuorganisation der Besucherwege geführt. Auf der Südostseite der Nationalgalerie entlang der Potsdamer Straße wurde über fast die gesamte Sockelbreite eine neues Kunstdepot angebaut. Dies erlaubte, dass das ehemalige Skulpturendepot nordöstlich der unteren Treppenhalle zur Besuchergarderobe umgenutzt werden konnte. Dessen räumliches Pendant, ebenfalls ein früheres Depot, nur auf der Südwestseite der Treppenhalle, bauten David Chipperfield Architects zum neuen Bookshop um. Dabei waren sie bestrebt, ihre eigene architektonische Handschrift maximal zurückzuhalten und es so auszuführen, wie es der große Meister in unserer heutigen Zeit vielleicht gemacht hätte. So adaptierten sie dessen hier angetroffenes Prinzip, Mobiliar grundsätzlich in amerikanischer Brauneiche mit einer vertikal verlaufenden Maserung anzulegen, auch arbeiteten sie mit schwarzen Füllungen bei den Tischplatten und schwarzen Metalleinbauten, die einen warmen Kontrast zu den dunklen Holzoberflächen bilden. Die beiden ursprünglichen Gaderoben in der großen Ausstellungshalle wurden hingegen sorgsam restauriert, wobei die historischen Gebrauchsspuren belassen wurden. Allein deren Aufnahmekapazität von 192 Mänteln 96 Hüten ist nunmehr ausschließlich besonderen Ereignissen vorbehalten. Tatsächlich ist es verbrieft, dass Mies' bei Mänteln eine Reihungsbreite von 5 cm am Bügel und bei Hüten einen Platzbedarf von 10 cm in gekippter Lage angesetzt hat.
Wiedererweckt wurde der ursprünglich von ihm geschaffene Verkaufsstand im Untergeschoss, der in den 1980er Jahren jedoch abgebaut worden war und größtenteils nicht mehr erhalten ist. Er wurde in seiner Dimension und Anlage neu erstellt und dient nunmehr als Kassen- und Informationstresen wo insbesondere die Audio- Guides ausgegeben werden. An diese neue Anforderung wurde das Möbel entsprechend angepasst, weshalb es deutliche Unterschiede zu seinem Vorgänger aufweist.
Abhangdecken
Schon in der ursprünglichen Anlage der Ausstellungsräume hatte Mies van der Rohe mit Abhangdecken und mit indirekten Deckenflutern, so genannten "Wallwasher" gearbeitet, die ein gleichmäßiges Ausleuchten der Wandflächen erlaubten. Leider hat sich im Zuge der Sanierungsarbeiten herausgestellt, dass die Deckenelemente profan an Holzleisten angeschlagen und damit für Ausstellungszwecke nicht demontabel waren. Dieses Abhangdeckensystem wurde durch ein in der Rasterung und optischen Anmutung gleichartiges System ersetzt, das jedoch reversibel in Metallschienen geführt ist und gleichzeitig auch noch verdeckte Stromschienen aufweist.
In den ehemaligen Depotbereichen, die nunmehr als Gaderobe beziehungsweise als Bookshop genutzt werden, beließ man jedoch die darin vorgefundene Untersicht der Betonkassetten, die sich als Rohbau tatsächlich durch das gesamte Untergeschoss zieht. Verzichtet hat man allerdings auf die ursprünglichen Leuchtmittel, die etwa in diesen Kassetten, aber auch im gesamten Bau verwendet wurden. Stattdessen arbeitet man heute mit einer zeitgemäßen LED- Beleuchtung. Sie dient im nicht unerheblichen Maße der Energieeinsparung und erlaubt zudem für Wechselausstellungen die Wahl anderer Lichtfarben als weiß.
Wenn matt glänzend ist
Die Wiederherstellung der ursprünglichen Farbfassungen, insbesondere die Rekonstruktion des ultra-matten, überhaupt nicht reflektierenden Schwarztons der Metallteile war eine besondere Herausforderung. Dies lag u.a. daran, dass man sich aus verständlichen Gründen nicht mehr der giftigen Ausgangsstoffe bedienen durfte, die man während der Erbauung sorglos eingesetzt hat. Nunmehr gibt es jeweils eine Farbfassung für den Innen- und für den Außenbereich. Farblich unterscheiden sie sich natürlich kaum, aber bauphysikalisch sind sie besser an die jeweiligen Anforderungen angepasst. In der Presseerklärung der Architekten findet sich der folgende Satz:
"Die Grundinstandsetzung hatte den Anspruch, dem Bauwerk in seiner ursprünglichen wie künftigen Nutzung als Kunstmuseum und Sonderausstellungsgebäude von internationalem Rang einen zweiten Lebensabschnitt von weiteren 40 bis 50 Jahren zu geben, indem ein angemessener Bauunterhalt ausreicht, um das Gebäude und den Betrieb zu sichern, ohne dass tiefgreifende oder strukturelle Veränderungen erforderlich werden." Dies ist fürwahr gelungen!
Robert Mehl, Aachen