Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Errichtet im Brückenklappverfahren
Ort:
Fürstenfeld [Satellit]
Staat:
Österreich
Architekt:
TU Wien 🔗, Prof. Johann Kollegger
Materialien:
Vorgespannte Betonfertigteile
Publiziert:
Beton Bauteile 2022
Seiten:
140 - 147
Inhalt:
[Artikel]  [2]      
 

Lahnbachbrücke bei Fürstenfeld/A

Klappen wie am Schnürchen!

Die TU Wien hat ein Verfahren zum Brückenneubau entwickelt, dabei werden deren horizontale Elemente zunächst vertikal auf Höhe ihres Mittelpfeilers auf-gestellt und dann – ähnlich einem Regenschirm – nach beiden Seiten hin aufgeklappt. Die ersten beiden Brücken wurden nunmehr so realisiert.
2024 soll die S7 ihrer Nutzung übergeben werden. Sie verbindet die österreichische Autobahn A2 auf Höhe des Knoten Riegersdorf mit der Staatsgrenze zu Ungarn bei Heiligenkreuz. Dabei passiert die neue Trasse etwas nördlich von Fürstenfeld die Grenze zwischen den Bundesländern Steiermark und Burgenland, welche in diesem Bereich das Flüsschen Lafnitz bildet. Dieses und der vielleicht 500 m weiter östlich gelegene Lahnbach galt es, mit zwei gleichartigen Brückenbauwerken von 106 bzw. 116 m Länge zu überwinden.
Vorgeschichte
Die ersten Planungen hierzu gehen auf das Jahr 2008 zurück, zunächst waren allerdings nur zwei klassische Stahlbeton- Stahlträger- Verbundbrücken vorgesehen. Im Sommer 2009 favorisierte dann die zuständige Auto-bahnbetreibergesellschaft, die Asfinag Baumanagment GmbH, ein alternatives Bauverfahren. Es handelte sich um das so genannte Brückenklappverfahren, das im Jahr 2006 durch Prof. Johann Kollegger, Leiter des Instituts für Tragkonstruktion der TU Wien entwickelt und patentiert worden war. Von dieser neuartigen Bauweise erhoffte sich die ASFINAG deutliche Kosteneinsparungen.
Da zu dem Zeitpunkt hierzu nur kleinere Demonstratoren existierten, aber keine validen Erfahrungswerte, die eine seriöse Kalkulation zuließen, wurde der bei der TU Wien angefragte Alternativentwurf sehr detailliert bis weit in die Ausführungsplanung hinein und unter Berücksichtigung der erforderlichen Bauphasen sowie der Spanngliedführungen ausgearbeitet. Dies ermöglichte eine Massenermittlung der Baustoffe Beton, Stahlbeton und Spannstahl, auch konnte nunmehr eine Baubeschreibung verfasst werden. Beides zusammen erlaubte eine Baukostenberechnung. Dabei sollte die Lahnbachbrücke als erstes angegangen werden. Der Kostenvergleich mit einer Stahlbeton- Stahlträger- Verbundbrücke ergab, dass die Errichtung eines Überbaus unter Anwendung des Brückenklappverfahrens um 25 % günstiger war.
Das Brückenklappverfahren
Das am Institut für Tragkonstruktion der TU Wien entwickelte Verfahren ähnelt dem Prinzip des Aufklappens eines Regenschirms. Allerdings schiebt man hier nicht mit einer ringförmigen Manschette eine radiale Schar von Druckstäben an einem Schirmstock nach oben. Vielmehr würde man – um im Bild zu bleiben – die Spanten des Schirms, an denen das wasserabweisende Textil fixiert ist, an einem zentralen Stab herunter schieben. Das ganze Verfahren wurde von Clemens Proksch- Weilguni im Rahmen seiner Diplomarbeit am Institut für Tragkonstruktionen umfassend dokumentiert.
Geklappt wurde nicht die gesamte Brückenkonstruk-tion auf einmal, sondern jeder der vier durchlaufenden Brückenträger einzeln. Bei diesen Klappvorgängen nahm die Position des Schirmstocks ein 29 m hoher Hilfspfeiler ein. Er bestand aus zwei Drehturmkranschäften des Herstellers Liebherr, die seitlich den rd. 8 m hohen Mittelpfeiler flankierten. Torsionssteif an ihrer Spitze verbunden waren diese beiden Stahlkonstruktionen mit einer Montageplattform. Auf den Innenseiten der beiden Hilfstürme lief jeweils eine Führungsschiene mittig hinunter, sie dienten der Führung eines mit Radialgelenklagern versehenen Querträgers (Knoten C). In diesem waren vier durchlaufenden Spannglieder fixiert, die jeweils aus vier Monolitzen St 1860 bestanden.
In der Ausgangslage – und so wurden sie auch eingefädelt – stiegen die Spannglieder in dem einen senkrecht stehenden Brückenträger nach oben, erreichten in dem erwähnten, vertikal beweglichen Querträger ihren Kulminationspunkt und liefen dann im zweiten Brückenträger wieder nach unten. Um ein Knicken der Spannglieder im Knoten C zu vermeiden, wurden die inneren Stirnseiten der Brückenträger jeweils als Viertelkreis mit einem Radius von 75 cm angelegt. Beide zusammen ergaben einen halbkreisförmigen Sattel mit dem besagten, vertikal verschieblichen Querträger als Scheitelpunkt. Die vier Spannglieder (aus je vier Monolitzen) verlaufen nun nicht nahe der künftigen Unterkante der Brückenträger, sondern in deren Schwerpunktachse, die rund 80 cm oberhalb von dieser zu verorten ist.
Die insgesamt 16 Monolitzen der Spannglieder, die man sich als bessere Stahlseile vorstellen kann, verbinden die beiden Brückenträger miteinander. Sie wurden nach der Klappphase zur Verbesserung der Brückentragkraft angespannt. Das Gewicht der beiden Brückenträger beim Ablassen wurde hingegen durch zwei vertikale Seilzüge (wie man sie von einem Kran her kennt) aufgenommen.
Vor dem Aufklappen waren die vertikal aufgerichteten Brückenelemente in einer grundsätzlich stabilen Position, der eigentliche Vorgang musste dadurch ausgelöst werden, dass mit hydraulischen Pressen die beiden Druckstreben auseinandergedrückt wurden, bis das systemschließende Verhalten der Konstruktion überwunden war. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Ablauf des selbstverständlich kontrolliert durchgeführten Absenkprozesses der beiden Brückenträger allein durch deren Gewichtskraft erwirkt. Das Ablassen endete mit dem Erreichen der Oberkante des Mittelpfeilers aus Ortbeton.
Vorproduktion der tragenden Brückenelemente
Jede der Klappeinheiten bestand aus acht symmetrisch aufgeteilten Elementen – vier für jede Seite, die die Franz Oberndorfer GmbH als Betonhalbfertigteile vorproduziert hatte. Während die beiden Druckstreben als Rechteckprofile mit einer Wandungsstärke von 12 cm angelegt waren, waren die übrigen sechs Elemente zunächst nur U-förmige Bauteile mit einer vertikalen Wandstärke von 7 cm und einer Bodenhöhe von 12 cm. Dies war möglich, weil diese Betonbauteile nach dem Klappvorgang eine horizontale Position einnahmen und hinterher ausbetoniert werden konnten. Auf diese Weise besaß die bewegte Masse nur 6 % des abschließenden Endgewichtes.
Die eigentlichen Brückenträger – also die Elemente, die geklappt wurden – bestanden aus zwei, einmal 19,5 m und einmal 16,5 m langen Teilen. Diese Teilung war aus logistischen Erwägungen erfolgt, die Trägerhälften wurden an der Baustelle in vertikaler Position zusammengefügt. Konkret errichtete man zunächst die Mittelstütze, flankierte seitlich an diese die beiden Hilfsstützen und platzierte davor die beiden Druckstreben in vertikaler Position. Deren Fuß- und spätere Drehpunkt am Mittelpfeilerfundament bildete den Knoten A. Vor diese beiden Druckstreben setzte man jeweils die künftig äußeren Brückenträgerelemente, die etwa die Länge der Druckstrebe besaßen, und stellte auf deren obere Stirnseiten die künftig inneren Brückentragelemente. An diesen Trennfugen wurden zudem die Druckstreben mit den Brückenträgern mittels Gelenk angebunden. In diesem Knoten B wurde mit 155° die größte Drehbewegung beim Aufklappen der Brücke vollzogen.
Um die Bachaue vollständig zu überbrücken, musste in einer weiteren Phase zwischen dem aufgeklappten Element und dem östlichen bzw. westlichen Brückenkopf jeweils ein 22 m langer Einhängeträger eingesetzt werden. Die Einhängeträger zu beiden Seiten des aufgeklappten Elementes wurden mit weiteren Spanngliedern über die gesamte Brückenlänge von 116 m miteinander verbunden. Die entsprechend druckfeste Verbindung zwischen den einzelnen Bauteilen erfolgte mit Vergussmörtel.
Justage und Verfüllen mit Beton
Die neue Schnellstraßenbrücke soll eine Längsneigung von 6 % aufweisen, das eigentliche Aufklappen der Brücke geschah aber aus Gründen einer symmetrischen Lastverteilung in der Horizontalen. Die gewünschte Brückenneigung wurde nachträglich am Quertäger eingestellt. Dieses definierte den Mittelpunkt der Brücke, die Spannglieder waren hier durch diesen manschettenartig umfasst. Durch ein seitliches Verschieben des Querträgers (ausgeführt mit M24 Schrauben) war es möglich, die Neigung der Brückenträger zu variieren. Darüber hinaus war eine Feinjustage der Trägerhöhe im Brückenlager möglich durch ein weiteres, individuelles Anziehen der Spannglieder. Von den eingangs erwähnten Spanngliedern, die über den mittigen Quertäger liefen, enden für eine solche Justage jeweils vier in einem Ankerblock oberhalb des Gelenks B - dem zur besprochenen Druckstrebe. Und zu diesen kommen dann noch einmal die vollständig durchlaufenden Spannglieder aus dem vorherigen Absatz.
Nach Abschluss der Justage wurden zunächst die beiden noch hohlen Druckstreben durch Einpressen von selbstverdichtendem Beton ausbetoniert. In der Folge wurden die im Querschnitt zwischen 1,00 m und bis zu 2,00 m breiten und 1,80 m hohen Brückenträger gleichmäßig und gleichzeitig zu beiden Seiten des Mittelpfeilers mit selbstverdichtendem Beton verfüllt. Für die Betonagen waren für die statische Ertüchtigung der Halbfertigteile zusätzlich von den 29 m hohen Hilfspfeilern insgesamt sechs temporäre Abspannungen erstellt worden. Je zwei Abspannungen verstärkten die diagonalen Druckstreben, vier weitere unterstützten die beiden Einhängeträger.
Der Beton wurde an zwei Tagen hintereinander eingebracht; zunächst eine 50 cm hohe Lage, auf die dann eine 1,18 m hohe zweite Schicht aufgebracht wurde. Ein nicht ausreichender Verbund zwischen den beiden Schichten ist hierbei auszuschließen, da beide Betonschichten zudem mit einer durchgehende Bügelbewehrung verbunden sind.
Schalungswagen
Wie im vorherigen Absatz angedeutet, ist die Brückenträgerbreite nicht durchgehend gleich: Zum Knoten B hin, dem Gelenk zwischen dem horizontalen Plattenbalken und den sie stützenden Druckstreben, weiten sich die U-förmigen Brückenträger zu 2,00 m Breite auf. Dies erforderte eine besondere Achtsamkeit beim Aufbringen der Fahrbahnplatte, die mit Hilfe eines Schalungswagens des Schalungsherstellers DOKA erfolgte. Gleichwohl konnten die Schalungsfugen zu den durchlaufenden Plattenbalken hin währende der Betonage konventionell abgedichtet werden.
Ausblick
Bernhard Streit, Projektleiter bei der ASFINAG, terminiert die Inbetriebnahme des 28 km langen und rund 760 Mio. Euro teuren Schnellstraße in gut drei Jahren. Dennoch werden aktuell schon beide Brücken für den Baustellenverkehr genutzt. Professor Johann Kollegger zeigt sich hoch erfreut, dass das Projekt so reibungslos wie unfallfrei ablief.
Wie erwähnt, besitzt er seit 2006 ein Patent auf das Klappbrückenverfahren, das jedoch lizenzfrei durch die ASFINAG wie auch die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) genutzt werden darf, da beide Unternehmen ihn bzw. die TU Wien mit entsprechenden Forschungsgeldern unterstützt haben. Weitere Projekte sind derzeit nicht in Planung, jedoch hält er entsprechende Patente auch in anderen Staaten, darunter Deutschland, Japan, Australien, USA und China. Aufgrund der hohen Kostenersparnis wird die Bauweise sicherlich Schule machen.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com