Projektart:
Anfrage:
Objekt:
St. Marien - Kirche am Meer
Typ:
Kirche
Ort:
Horumersiel-Schillig [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Königs Architekten 🔗, Köln
Materialien:
Ziegelmauerwerk, Glas
Publiziert:
BFT 09/2015
Seiten:
58-63
Inhalt:
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Fertigteilturmspitze am Meer

Den Hut aufgesetzt

In Horumersiel- Schillig, direkt am Wattenmeer, ist einer der wenigen katholischen Kirchenneubauten der letzten Jahre entstanden. Seine geometrisch anspruchsvolle Turmspitze ist ein Betonfertigteil.
allein schon eine Meldung wert, zumal dieser im protestantisch geprägten Norden Deutschlands steht. In Horumersiel befindet sich jedoch einer der größten Caravan- Campingplätze der Republik, der überwiegend von Urlaubern aus dem mehrheitlich katholischen Ruhrgebiet genutzt wird. Die Erfahrung zeigt, dass sich Urlauber verstärkt mit Glaubensdingen beschäftigen, und so erfreute sich schon der dortige Vorgängerbau einer regen Nachfrage.
Allerdings war der kapellenartig gedrungene, eingeschossige Vorgängerbau aus den 1960er Jahren dringend sanierungsbedürftig. Ein Gutachten attestierte zudem, dass die Instandsetzung der alten Ortbetonkirche mutmaßlich teurer als ein Neubau wäre, weshalb sich das zuständige Bistum Münster für letzteres entschied.
Den dazu ausgelobten, geladenen Architekturwettbewerb konnte das Kölner Büro Königs Architekten mit einem formalen Konzept für sich entscheiden, das nahe Meer durch ein Licht- und Schattenspiel im Kirchenraum erlebbar zu machen. Dazu wurde dieser mit einem großflächigen Oberlichtdach ausgestattet, dessen einzelne Glasflächen unterschiedlich getönt sind und das von zahlreichen, großformatigen Dachträgern getragen wird. Beides zusammen bildet auf den geschwungenen, weiß verputzten Innenwänden ein farbiges und sehr vitales Schattenbild, das sich mit der Sonnenbewegung ständig verändert. Tatsächlich soll der Effekt an die Lichtbrechung in niedrigem Wasser erinnern.
Kreuzförmiger Grundriss, sattelförmiger Schnitt
Da es von Köln aus logistisch schwierig ist, eine Baustelle an der Nordsee zu führen, war es der Wunsch des Bistums, dass die Bauleitung der im Wettbewerb Zweitplatzierte, das Oldenburger Architekturbüro Göken + Henckel, übernimmt. Die Konstellation stellte sich als großer Gewinn heraus: Bemerkenswerte formale Ideen trafen hier auf eine absolute Gewissenhaftigkeit.
Der Grundriss der Kirche beschreibt ein lateinisches Kreuz, dessen Ecken für das Erzielen der erwähnten Lichteffekte abgerundet sind. Der Grundriss wurde vertikal in die Höhe gezogen und im Bereich der Traufe mit einem halbrund angeordneten Schnitt horizontal begrenzt. Der Bau erhielt von außen derart eine sattelförmige Anmutung mit zwei Hochpunkten: im Osten den leicht erhabenen Chor, im Westen den deutlich höherne Glockenturm. Dazwischen, auf dem Tiefpunkt des nach Norden um 2° geneigten Glasdaches, findet sich der zentrale Wasserspeier, der als Betonfertigteil ausgeführt ist. Die relativ starke Flachdachneigung war erforderlich, um zu vermeiden, dass sich aufgrund widriger Windverhältnisse stehende Wasserflächen auf den Oberlichtern bilden.
Das Betonelement wurde - wie auch die Sichtbetondecken im Bereich des Hauptportals sowie der Nebeneingänge - mit 6 % anthrazitfarbenen Pigmenten versehen. Der bauleitende Architekt Dipl.-Ing. Michell Otto erläutert, dass dies der maximal zulässige Grad an Farbzugabe für Betonbauteile bei diesen hohen Anforderungen an eine Witterungsbeständigkeit sei. Das Element wurde im Steenfelder Betonwerk Johann Meinders GmbH in Westoverledingen bei Papenburg erstellt und dann vor Ort in die tragende Ortbetonmauerwand eingelassen. Anschließend führten Handwerker das umgebende Mauerwerk aus Schmorbrandziegeln bündig bis an das Betonfertigteil aus. Spengler schlugen danach den Sichtbetonwasserspeier mit einer Metallverkleidung aus und schlossen daran die Dachdrainage an.
„Der Pfiff“ dank Fertigteil
Der zentrale Entwurfsgedanke bei dem in seiner Geometrie sehr klaren Bau war das stringente Festhalten an diesen einfachen Symmetrien, auch über die bekannten Standards der Ausbauplanung hinweg. Der Rohbau der Kirche besteht in weiten Teilen aus Ortbeton, der mit Sichtmauerwerk aus doppelt gebrannten Ziegeln verblendet wurde. Um diese relativ breite Wandkonstruktion regulär abzuschließen, ist die Ausbildung einer Attika im Prinzip unvermeidlich. Der in einem scharfen, schrägen Schnitt endende Kirchturm - eine ganz zentrale Idee der Kölner Königs Architekten - wäre konstruktiv daher nicht ohne weiteres umsetzbar gewesen: Unvermeidlich wäre nach den „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ eine stumpfe Spitze, die ein kleines horizontales Plateau, eine Attika besitzt, welche der Kirche zugewandt die Form eines offenen „C“ gehabt hätte.
Daher beschlossen die Planer die gesamte Turmspitze komplett als Betonfertigteil auszuführen und dieses an dem Punkt auf die Rohbaukonstruktion aufzusetzen, wo die begrenzende Dachneigung in diese beginnt einzuschneiden. Mit der Verwendung des Fertigteiles war es ebenso möglich, die durch den spitzen Winkel bedingte, extreme Überhöhung des Scheitelpunktes konstruktiv zu realisieren. So wurde in diesem Bereich die formal natürlich existierende Attika in einer fast schon expressiven Form geneigt und damit in extremer Weise in die Länge gezogen. Auch dieses Element führte die Steenfelder Betonwerk Johann Meinders GmbH aus. Dabei wurde das Bauteil über Kopf gegossen, die spätere horizontale Unterseite bildete also die horizontale Oberfläche der Betonage. Ausgeführt wurde das Fertigteil ohne besondere Anforderungen an eine Wasserundurchlässigkeit, da es im Zuge des weiteren Ausbaus durch die Dachdecker beziehungsweise die Spengler als Teil der umlaufenden Dachkante komplett verblendet wurde.
Das später sichtbare Verblendmauerwerk wurde schon in der Schalung zu platziert und direkt an das Fertigteil anbetoniert, allerdings musste es infolge zu hoher Bautoleranzen in einigen Randbereichen noch einmal entfernt und neu aufgemauert werden. Denn schließlich sollte sich die spätere Wandansicht vollkommen gleichmäßig und ohne eine sichtbare Fuge unterhalb des abschließenden Elementes präsentieren.
Die Verblendung erfolgte mit den gleichen Ziegelsteinen, mit denen das übrige zweischalige Mauerwerk ausgeführt wurde. Hierzu mussten die Maurer in Handarbeit die Steine in Längsrichtung schneiden. Sie wurden zunächst mit Klebemörtel am Fertigteil fixiert und dann in einem zweiten Schritt mit dem gleichen Sichtmörtel wie das darunter liegende Mauerwerk verfugt. Obwohl das Fertigteil eine gewölbte Außenwandfläche besitzt, wurden die „Ziegelriemchen“ gerade geschnitten - dies erlaubte es, etwaige Krümmungsungenauigkeiten im Mörtelbett auszugleichen.
Einschweben des Fertigteils
Die Bauzeit der verhältnismäßig kleinen Kirche betrug 29 Wochen, die Verzögerungen dabei großenteils bedingt durch schlechtes Wetter. Teilweise war der Wind so stark, dass der frisch in die Fugen eingebrachte Mörtel sofort wieder ausgeblasen und „großzügig in der Nachbarschaft verteilt wurde“. Auch sind im Winter die Eiszapfen an den Gerüsten sturmbedingt nicht vertikal sondern horizontal gewachsen. Entsprechend dauerte es tatsächlich Wochen, bis sich ein windstiller Tag einstellte, an dem das krönende Fertigteil vorsichtig mit einem Kran eingehoben werden konnte. Schließlich musste sein Platzieren millimetergenau erfolgen - ein zweiter Versuch war nicht möglich, da es auf ein Mörtelbett aufgesetzt wurde.
Wolfgang Göken, Architekt und Geschäftsführer von Göken + Henckel Architekten BdA, erinnert sich dran, dass sie sich häufig auf der geraden Zufahrtstraße der Baustelle näherten und manchmal eine minimale Unstimmigkeit schon von weitem sahen. Diese minimalen Details störten jedoch die angestrebte Symmetrie in besonderer Weise und musste des Öfteren zum Unmut der Handwerker behoben werden. „Aber der Pfiff wäre sonst weg gewesen“, so Göken.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com