Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Erweiterung Folkwang Museum
Typ:
Kunstmuseum
Ort:
Essen [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
David Chipperfield 🔗, London
Materialien:
Beton, Glas, Stahl
Publiziert:
Beton Bauteile 2011-a
Seiten:
28 - 31
Inhalt:
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Erweiterung Folkwang Museum Essen

Der Götterpalast

Das 1902 von Karl Ernst Osthaus gegründete Museum Folkwang ist eines der ältesten Kunstmuseen seiner Art in ganz Europa. Seine wechselvolle Geschichte ist vor allem vom Zugriff der Nationalsozialisten und der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg geprägt. Nun hat David Chipperfield dem so genannten »Loy- Bau« aus der Nachkriegszeit eine Erweiterung hinzugefügt und dem Museum ein neues Gesicht gegeben.
Der Name Folkwang kommt aus der nordischen Mythologie und bezeichnet eigentlich jenen Palast, in dem die Göttin Freya in Asgard wohnt. Zum Glück liegt das Museum Folkwang nicht in diesem sagenhaften Reich der Götter, sondern in Nordrhein- Westfalen und lässt sich sehr gut per Bahn erreichen. Vom Hauptbahnhof aus führt der kürzeste Weg in südlicher Richtung entlang der Bismarckstraße. Diese ist eine der großen Ausfallstraßen der Stadt. In Höhe des Museums weist die Magistrale nach beiden Straßenseiten hin eine auffällige, weitgehend natürliche Böschung auf. Eine topographische Konstellation, die von der Stadt auch zur Schaffung einer leicht zugänglichen Fußgängerbrücke über die stark frequentierte Straße genutzt wurde. Obwohl von hier aus der Besucher den besten Blick auf das neue Ensemble hat, legen die Architekten großen Wert darauf, dass für ihren Entwurf allein die Perspektive auf Straßenhöhe ausschlaggebend war. Daher werden in diesem Beitrag auch nur Aufnahmen von solchen Standorten gezeigt.
Wechselvolle Geschichte
Die Topographie, wie auch die dramatische Geschichte des Kunstmuseums, waren die formalen Entwurfsquellen von David Chipperfield Architects. 1902 von Karl Ernst Osthaus gegründet, erlangte das Museum spätestens in den 1920er Jahren mit seiner Sammlung große internationale Bedeutung. Aufgrund seiner modernen und weltläufigen Ausrichtung ist es nicht verwunderlich, dass der Ort während der NS- Zeit in Ungnade fiel. Allerdings wussten die Nationalsozialisten um den finanziellen Wert der Werke und verkauften einen Teil der Sammlung. Der ursprüngliche Bau wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1960 wurde das Museum nach den Entwürfen des Architekten Loy wieder aufgebaut und in den 1980er Jahren um einen Anbau erweitert. Im neuen Jahrtausend war dieser renovierungsbedürftig, jedoch fehlten der Stadt Essen die notwendigen finanziellen Mittel für eine umfassende Neugestaltung. Die Rettung kam durch eine hochdotierte Spende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung, die 2007 einen Architekturwettbewerb auslobte, an dem einige renommierte Architekten teilnahmen. David Chipperfield war einer dieser Architekten und konnte die Wettbewerbsjury mit seinen Entwürfen überzeugen. Der britische Planer schaffte es, gemäß den Vorgaben den denkmalgeschützten „Loy- Bau“ in das Neubaukonzept zu integrieren sowie überzeugend auf die Umgebung einzugehen. Er reagierte pragmatisch auf die direkt angrenzende Wohnbebauung der Nachkriegszeit und schuf Räume, die sich vor der präsentierten Kunst zurückhalten und in den Hintergrund treten. Überdies schlug er relativ kostengünstige Materialien und eine ebensolche Konstruktion vor.
Kunst auf den Sockel gehoben
Errichtet an Stelle des Erweiterungsbaus aus den 1980er Jahren, ergänzt der neue Chipperfield- Bau den denkmalgeschützten Altbau. Die bauliche Zutat setzt das architektonische Prinzip des Altbaus mit einem Ensemble von sechs Baukörpern, vier Innenhöfen, Gärten und Wandelhallen fort. Die Gebäudekuben ruhen auf einem massiven Sockel aus Ortbeton, vor den eine Vormauerschale aus Betonfertigteilen gestellt wurde. Oberhalb dieser Basis haben die Volumina eine transluzente, alabasterartige Fassade aus Recyclingglas. Die integrierten Fensteröffnungen der Doppelfassade sind vorwiegend geschosshoch und schaffen partiell einen Seitenlichteinfall. Eine schlanke Konstruktion aus Stahlprofilen hält die gläsernen Flächen. Die Oberlichtkonstruktion gewährleistet eine gleichmäßige, blendfreie Belichtung bei Tage, die aber jederzeit mit Kunstlicht im Bereich des Lichtdeckensystems unterstützt werden kann. Prinzipiell wurden bei dem Neubau alle tragenden Wände in Ortbeton erstellt. Dies schließt sowohl die monolithisch erscheinenden Kellerbereiche ein, wie auch alle tragenden Wände der Museumsebene, die jedoch weitgehend durch Recyclingglasfassade verborgen wird.
Ähnlich dem aus der Antike stammenden, dreigeteilten ästhetischen Kräftespiel aus Basis, Schaft und Kapitell, welches auch das Ursprungsgebäude kennzeichnet, entschieden sich Chipperfield Architects für eine Wechselwirkung zwischen dem Sockel, der Glaskeramik und den tatsächlichen Fenstern. Um dafür eine glaubwürdige monolithische, bodennahe Solidität zu erhalten, entschieden sie sich für eine Basis aus „Stein“. Denn selbstverständlich kann eine Glasfront nicht einfach im Erdreich verschwinden. Die Vormauerschale des Sockels besteht aus längsrechteckigen Betonwerksteinen. Wandhaken sichern die Mauerfront. Zusammengefügt wurden die Steine mit schlichtem Mörtel und nicht – wie die Bilder vermuten lassen – mit einem speziellen Kleber. Die raue, an Naturstein erinnernde Oberfläche wurde durch Sandstrahlen erreicht. Dies geschah jedoch nicht direkt nach dem Ausschalen, sondern einige Zeit später, um so den Materialabtrag geringer zu halten.
Der Bau als Teamleistung
Der Entwurf für die Sanierung des Altbaus mit der Neugestaltung der Oberlichtsäle und der erweiterten Ausstellungsflächen im Untergeschoss erfolgte durch die PLAN FORWARD GmbH aus Stuttgart. Die Realisierung von Neubau und Altbau wurde durch die NMFE GmbH durchgeführt. Die PLAN FORWARD GmbH zeigte sich verantwortlich für die Ausführungsplanung. Beide Gesellschaften sind Unternehmen der Wolff Gruppe Holding GmbH.
Wechselbeziehung mit der Umgebung
So markant das Museum, verstärkt durch den massiven Sockel, auch von der großen Ausfallstraße her erscheint, so stark nimmt sich der Bau auf seiner Rückseite zurück, die an eine Wohnstraße grenzt. Bedingt durch das ansteigende Geländerelief reduziert sich die Basis auf die Höhe eines gewöhnlichen Spritzwasserschutzes bei Hochbauten. Bis zu einem mit alten Bäumen bestandenen Fußweg ist an der Rückseite eine leicht ansteigende Wiese angelegt. Darüber hinaus leistet auch das äußere Volumen des Museums einen wichtigen Beitrag. Zahlreiche Innenhöfe, die in der Regel nach außen hin orientiert sind, unterbrechen und gliedern die Fassade in kleinere Bereiche. So wird bewusst eine monumentale Wirkung des Baus vermieden – ein Effekt, der angesichts einer Kantenlänge von gut 200 m eigentlich unvermeidlich erscheinen muss. Eine großzügige Freitreppe führt von der Bismarckstraße in den neuen Eingangsbereich, der als offener Innenhof mit einem Restaurant und einer Buchhandlung konzipiert ist. Die Stufen der Treppe, wie auch der Belag des Eingangshofes bestehen aus Betonfertigteilen und unterstreichen den monolithischen Charakter des Sockels.
Fazit
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich das neue Museum Folkwang in seine Umgebung einfügt, ist beeindruckend stimmig. Tatsächlich fühlt man sich hier – wenn auch in einem übertragenen Sinne - ein wenig an das berühmte Zitat von Paul J. Sachs erinnert. Sachs war ein Mitbegründer des Museum of Modern Art in New York und urteilte nach einem Besuch des Essener Museums im Jahr 1932, es sei „das Schönste Museum der Welt“. Natürlich meinte dieser ausschließlich die Kunstwerke. Allerdings wäre dieser Superlativ für die neu geschaffene Architektur auch nicht ganz unzutreffend.
Robert Mehl, Aachen