Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Bahnhof
Ort:
Arnheim [Satellit]
Staat:
Niederlande
Architekt:
UNStudio 🔗, Amsterdam
Materialien:
microbeton 🔗, CIG 🔗, Hering 🔗
Publiziert:
metallbau 1/2017-1
Seiten:
16 - 21
Inhalt:
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Hauptbahnhof von Arnhem

Stahlglocke als Hallenkonstruktion

Der neue Hauptbahnhof im niederländischen Arnhem ist von einer amorph-gewölbten, weitgehend freitragenden Halle geprägt. Ihre stählerne Unterkonstruktion ist vergleichbar mit einem doppelwandigen Schiffsrumpf, deren Teilsegmente tatsächlich in Stralsund auf einer Werft erstellt wurden.
Arnhem ist für die Niederlande ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt, da es sich am Altrhein auf der Strecke zwischen Amsterdam und Köln befindet. Schon 1845 wurde hier ein erster Halt eingerichtet, womit die Stadt zu den ersten Bahnhöfen in ganz Europa zählt. Im Laufe von knapp 170 Jahren standen vier Bahnhofsgebäude annähernd an gleicher Stelle. Das erste war schnell zu klein, das zweite fiel dem Krieg zum Opfer und dass dritte - ein pragmatischer Wiederaufbau - war schnell wieder zu klein und keine Sanierung wert.
Zu Anfang des neuen Jahrtausends wurde das Amsterdamer Architekturbüro UNStudio beauftragt, ein städtebauliches Gutachten zu erstellen, in dem die infrastrukturellen Erfordernisse einer wichtigen Station im avisierten niederländischen Hochgeschwindigkeitsnetz ermittelt wurden. Das von Ben van Berkel und Caroline Bos geführte Büro betrachtete dabei vor allem die Verkehrsströme - wie man zum Bahnhof anreist und welche Angebote dort genutzt werden. Dabei stellten sie fest, dass fast so viele Menschen wie Zugfahrer nur für den Bus zum Bahnhof kommen. Daraus folgerten sie, dass beide Verkehrströme gleichberechtigt zu behandeln seien. Vermeiden wollten sie, dass Passagiere vor dem Bahnhof - schlimmstenfalls im Regen stehend - auf ihren Anschlussbus zu warten.
Verweben der Verkehrsströme
Die neue Bahnhofhalle ist von einem zentralen, stützenartigen Element geprägt, das wie ein Strudel von der gewölbten Decke in einen großen Bodenspalt führt, dem sogenannten »Twist«. Wie bei einer Drehscheibe winden sich die verschiedenen Wegverbindungen um ihn: Ein fußläufiger Zugang von außen, eine langgestreckte Treppenrampe hinauf zum oberen Geschoss, ein barrierefreier Abgang ins Untergeschoss, der unmittelbar zu einer 4.000 Fahrräder fassenden Radstation führt. Gleich daneben der Eingang zur Tiefgarage mit 1.000 Stellplätzen. Mit dem PKW erreicht man den Bahnhof von einem neuen Straßentunnel aus, der das Bahnhofsviertel annähernd autofrei hält. Weite Teile des Erdgeschosses werden vom Busbahnhof eingenommen, ein markant verglaster Zugang weist den Weg dorthin. Schließlich führt eine große Passage zu den Bahngleisen. UNStudio wollten mit ihrer Architektur Orientierung geben. Reisenden soll durch eine selbsterklärende Wegeführung sofort klar sein, wo sie sich befinden und wo sie sich hinwenden müssen.
Wichtig ist den Architekten die Feststellung, dass es hier nicht zuerst die abstrakte Form gab, die irgendwie mit sinnvollen Grundrissen zu beleben war. Vielmehr legten die Planer für die ermittelten Verkehrströme Wegeverbindungen an, die sie entsprechend ihres Bedarfs unterschiedlich groß dimensionierten.
Stahldach wie ein Schiffsrumpf
Die Hallenunterkonstruktion ist ein weitgespannter zweischaliger Stahlbau, vergleichbar mit einem doppelbödigen Schiffrumpf. Sie besteht aus zwei, 10 mm starken Stahlschalen, die über eine stählerne Rippenkonstruktion miteinander verbunden sind und so einen sphärisch gekrümmten Hohlraum umschließen. Diese auch Monocoque- Bauweise genannte Schalenkonstruktion ist gleichzeitig dünn und sehr biegesteif. Produziert wurde die Halle nicht vor Ort an einem Stück, sondern segmentiert bei den Stralsunder Werftzulieferer Ostseestaal GmbH & Co. KG und Formstaal GmbH & Co. KG, die beide zur Central Industry Group aus Groningen gehören. Zur Produktion wurde die Halle in 140 Teilsegmente zerlegt, die in den Werfthallen angefertigt wurden. Die Größe der Segmente war nicht einheitlich, sondern hing von der jeweiligen Krümmung ab. Kaum verformte Stahlelemente waren bis zu 3,00 m breit, 16,00 m lang und zwischen 10 und 15 t schwer. Die einzige Begrenzung war, dass sie mit einem Schwertransport von Ostdeutschland in die Niederlande transportiert werden konnten.
Anders als im Fahrzeugbau ist im Schiffsbau ein direktes Formpressen der Bleche kaum möglich. Verarbeitet man bei Autos Bleche von rd. 1 mm Stärke, war hier die 10-fache Stärke, also 10 mm, gerade das dünnste Material. Im Bereich des »Twist«, der einzigen Hallenstütze überhaupt, kamen sogar bis zu 60 mm starke Bleche zur Anwendung.
Zunächst wurden die schweren Stahlbleche mit punktuell arbeitenden Pressen geformt. Dies geschieht mittels eines Presszylinders, der zielgenau die Lasten aufbringt. Je nach Bedarf rüsten die Stahlbauer diesen Kopf mit Kugel-, Rollen- oder mit einer Messermatritzen aus. In einem zweiten Arbeitsgang kommt dann eine exakte Negativform zur Anwendung, durch die das Stahlteil seine finale Kontur erhält.
Null Toleranz
Für das Tragverhalten der künftigen Dachkonstruktion war eine hohe Passgenauigkeit obligat. "Für die Produktion des Bahnhofsdaches mussten wir in der Fertigung neue Wege gehen!" erläutert Wolfgang Krüger, zuständiger Projektingenieur bei Ostseestaal die Herstellung der Dachsegmente. Anders als im Schiffbau, wo die Segmente in der Halle vorgefertigt werden und dann im Dock zusammengefügt und angepasst werden, war dies hier nicht möglich. Stattdessen wurden bis zu sieben Segmente gleichzeitig in einer gemeinsamen Vorrichtung gefertigt, die die Abmessung L/BH 28/10/3m besaß. So konnten die Passgenauigkeiten fortlaufend kontrolliert werden. Erst wenn alle Bauteile die Vorgaben erfüllten, wurden sie wieder getrennt und separat ausgeliefert. Die Segmente der insgesamt 510 t schweren Dachkonstruktion wurden aus Stahl der Güte S355J2+N erstellt. Dieses Material zeichnet sich durch eine etwas höhere Zugfestigkeit als "normaler" Stahl aus.
Stahl und Beton verbinden
Ursprünglich sollte die Halle massiv aus Ortbeton erstellt werden, in gleicher Weise, wie die Architekten dies vor Jahren beim Mercedes Benz Museum in Stuttgart realisierten. Als der Bahnhof schon im Bau war, kam es dann aus Kostengründen jedoch zu einer Umplanung. Die ausführende ArGe aus BAM/Ballast Nedam aus Nieuwegein konnte Architekten und Bauherrn davon überzeugen, statt einer Ortbetonkonstruktion die heutige Stahlhalle zu schaffen, um diese dann mit Betonfertigteilen zu belegen. Letztere stammen von dem Fertigteilhersteller Micro Beton BV aus Bergen op Zoom.
Entscheidend für diese unübliche Bauweise war das erheblich minimierte Haftungsrisiko durch die elementierte Konstruktion. Dabei hatte der beauftragte Generalunternehmer weniger an mögliche Rechtsstreitigkeiten infolge von Bautoleranzen und einem Nicht- Passen wichtiger Details gedacht, als an schlechtwetterbedingte Bauverzögerungen infolge harter Winter: So wurden alle Bauteile des Daches in Hallen vorproduziert.
Für den Wechsel der Dachkonstruktion mussten auch deren Anschlüsse auf die neue Bauweise umgerüstet werden. Dazu war es teilweise erforderlich, das neue Stahltragwerk kraftschlüssig einzubetonieren. Dafür wurden rd. 900 Kopfbolzen an die unteren Segmente angeschweißt und teilweise mit einer Anschlussbewehrung (D= 25 mm) versehen.
Keine Überhöhung
Vor Ort wurden die passgenauen Segmente erst mit Laschen provisorisch fixiert, um dann im MAG- Verfahren unter Schutzgas als Vollanschluss zusammengeschweißt zu werden. Dies geschah sowohl außen- wie innenseitig an den 20mm Stahlblechen mit jeweils 12-15 Schweißlagen, um einen homogenen Verbund zu erhalten. Die unvermeidlichen Überhöhungen wurden, da statisch irrelevant, hinterher sauber beigearbeitet. Nach ihrer Vorfertigung in Stralsund erhielten die Stahlsegmente mittels Sprühpistole eine 80µm starke Grundierung, die etwa 10 Wochen vorhielt. Dies reichte aus für Transport und Montage bis zum Auftrag der Endbeschichtung.
Fertigteilbeplankung
Auf der Oberseite des Stahldaches sahen die Konstrukteure Laschen vor, an denen eine Holzlattung fixiert wurde. Darauf wurde eine Trennfolie verlegt, die eine Hartschaumdämmung erhielt. Der gesamte Aufbau dichtete man mit zwei EPDM- Matten- Lagen ab. Mittels eines rechnergesteuerten Lasersystems wurden darauf die exakten Positionen der Haltepunkte der Betonfertigteilschalung ermittelt. Das gesamte Hallendach ist von außen mit Betonfertigteilen verkleidet, die alle eine Nenngröße von 1,20 x 3,60 m haben. Dabei weisen alle Elemente unterschiedliche Krümmungen auf. Die Bauteile bestehen aus faserbewehrtem Ultra- High- Performance- Concrete (UHPC), den man zunächst in eine ebene Stahlform goss. Nun wartete man das Stocken ab, um dann die teigartige Fertigteilmasse computergenau zu verformen. Dies erfolgte durch unterschiedliches Anziehen von acht Spannschnüren, die an der dünnen Bodenplatte der Stahlschalung darunter fixiert waren.
Moderate Baukosten
Das Bahnhofsgebäude allein wird mit rd. 80 Mio. Euro veranschlagt, womit es in den Niederlanden als teuer gilt. Dennoch nehmen sich diese Dimensionen im Vergleich zu anderen europäischen Prestigebauten bescheiden aus. So kostete der neue Fernbahnhof von Lüttich etwa das Dreifache von Arnhem, besitzt aber nur 20 % von dessen Fahrgastaufkommen.
Robert Mehl, Aachen