Projektart:
Anfrage:
Objekt:
The Modular
Typ:
Bürogebäude
Ort:
Amsterdam [Satellit]
Staat:
Niederlande
Architekt:
Bureau Fraai 🔗, Amsterdam
Materialien:
Betonfertigteile
Publiziert:
Beton Bauteile 2023
Seiten:
36 - 41
Inhalt:
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Bürogebäude "The Modular", Amsterdam/NL

Betonsegel gesetzt

Im Amsterdamer Hafenquartier Oostenburg entstand ein schmales, fünfgeschossiges Bürogebäude, dessen dunkelgraue Sichtbetonfassade aus insgesamt nur 25 Fertigteilen besteht. Der Clou: Sie sind alle baugleich und entstanden in derselben Schalung.
Das Amsterdamer Hafenquartier Oostenburg war ursprünglich eine Insel, die der Altstadt im Osten unmittelbar vorgelagert ist. Die zahllosen Grachten, die die niederländische Metropole überall durchschneiden, verwässern jedoch diesen ursprünglichen Charakter. Heutzutage nimmt man Oostenburg einfach als weitere Landmasse wahr, einen Ort, der über viele Brücken mit dem Rest der Stadt verbunden ist.
Seit der frühen Neuzeit war Oostenburg Produktionsstandort: Während der Kolonialzeit unterhielt hier die bekannte „ Vereinigte ostindische Kompanie“ (VOC) bedeutende Schiffswerften. Die „Compagnie“, wie sie bis heute im Volksmund heißt, hatte in ihren Hochzeiten im 18. Jhd. bis zu 4.700 Schiffe unter Segel. So verwundert es auch nicht, dass es auf Oostenburg eine Compagniestraat gibt.
Mit dem Niedergang der Compagnie siedelte sich hier im 19. Jhd. eine Fabrik für Dampfmaschinen an, die in ausgedehnten Industriehallen bis weit in das 20. Jhd. hinein unter anderem Dampflokomotiven herstellte. Das Ende dieser Technologie bedeutete auch das Ende der Fabrik und das Quartier verfiel über Jahrzehnte hinweg. Zu neuem Leben erweckt wurde das Areal um die Jahrtausendwende mit dem Bau des INIT- Gebäudes, einem kollektiven Geschäftsgebäude, in dem auch viele Amsterdamer Zeitungen ihren Redaktionssitz haben. Nach und nach wurden die meisten der alten Industriebauten um diesen Neubau herum abgerissen. Nur vereinzelte Einheiten verblieben aufgrund ihrer architek-tonischen Qualität. Sie wurden unter Denkmalschutz gestellt und werden aktuell beherzt in das gerade entstehende Neubauquartier integriert.
Büros im Wohnquartier
Bei dem überwiegenden Teil der derzeit entstehenden Neubauten handelt es sich um achtgeschossige Wohnriegel, die jedoch aufgrund des selbstredend hohen Grundwasserspiegels und einer hohen Schadstoffbelas-tung durch die Vornutzung keine Keller aufweisen. Die gebräuchlichen Geschosshöhen im niederländischen Wohnungsbau liegen in der Regel bei rd. 2,60 m. Der Wert ergibt sich aus einer Abwägung von Wirtschaftlichkeit und Bauvorschriften.
Aus diesem Einerlei sticht das Bürogebäude „The Modular“ mit seinen nur fünf Geschossen und einer Geschosshöhe von 4,13 m wohltuend hervor. Der nur zwei Fensterachsen breite Neubau, der lediglich ca. 6,00 m Straßenlänge für sich in Anspruch nimmt, dafür aber immerhin 17,00 m tief ist, besitzt eine Attikahöhe von 20,45 m über Grund.
Damit liegt die oberste Nutzungsebene keine 16,00 m über dem Straßenniveau, was das Vorhalten eines teuren Feuerwehraufzuges überflüssig macht. In den Niederlanden ist es vorgeschrieben, dass ein Bauwerk mit einer obersten Geschosshöhe von mehr als 20 m, einen Feuerwehraufzug aufweisen muss, der im Brandfall garantiert und autark funktioniert.
Auswahlverfahren des Entwurfes
Rikjan Scholten und Daniel Aw, die beiden Gründer von Bureau Fraai, erzählen, dass es keinen eigentlichen Wettbewerb um den Auftrag gab. Vielmehr konnte man sich als junges Architekturbüro bei dem Bauherren, der Stadgenoot Ontwikkeling II B.V., im Rahmen eines Auswahlverfahrens zunächst mit eigenen Entwurfsarbeiten (es mussten nicht zwingend Realisationen sein) bewerben. Hier kam das Büro in die Runde der letzten zehn, welche die Aufgabe erhielten, für dieses schmale Grundstück einen finanzierbaren Entwurf für ein Bürogebäude zu entwickeln.
Ursprünglich wollte der Bauherr, eine Wohnungsbaugesellschaft, es nicht selber beziehen und die geschaffenen Büroflächen allesamt schlüsselfertig verkaufen. Bis zum Abschluss aller Baumaßnahmen an den Nachbargebäuden nutzen sie jedoch vorübergehend das Erdgeschoss und das 1.OG für eine objektnahe Präsenz.
Denn wenngleich die Häuserzeile, zu der auch die Adresse Oostenburgermiddenstraat 601 gehört, eine sehr heterogene und vielfältige Architektursprache aufweist, besitzen alle Gebäude denselben Bauherrn. Auch die Entwürfe der anderen drei Bauten, die über kaum minder expressive Fassadenformen verfügen, stammen ebenfalls von Jungarchitekten.
Daniel Aw erinnert sich, dass er an die Segelschiffe der Ostindischen Kompanie dachte, als er die Fassadenform dieses Bürogebäudes entwickelte; so wollte er an die große Geschichte dieses Areals erinnern. Er zeigt ein Foto von einer Focksegelstaffel, die dem Entwurfskonzept einst beigefügt war.
„Weniger ist mehr!“
Das bekannte Mies van der Rohe- Zitat umschreibt treffend die effiziente Baukonstruktion dieses Gebäudes: Sein Rohbau besitzt keine Stützen, es gibt keine eigene Brandwand, man teilt sich dieselbe mit dem Nachbarhaus. Der tragende Rohbau besteht aus den umlaufenden Außenwänden und den Innenwänden, die dem Treppenhaus vorgelagert sind, das längs der Brandwand verläuft. Sobald ein Mauerring stand, wurde dieser mit Filigrandecken abgedeckt, die anschließend eine Aufbetonschicht erhielten. Die längs der Straße spannenden Deckenelemente korrespondieren mit den Betonfertigteilen der Außenwände. Sie weisen eine Länge von rd. 6,00 m und eine Breite von gut 2,00 m auf. Jeweils drei Deckenelemente waren pro Geschoss erforderlich. Besonders stolz sind Scholten und Aw darauf, dass sie es schafften, die gesamte Wandkonstruktion in einem einzigen Betonfertigteil zusammenzuführen. Selbst für die Eckdetails entwickelten sie eine allgemeine Stufung der Seitenkanten, die eine entsprechende Sonderlösung überflüssig machte. Zusätzliche Einlagen in der Schalung haben sie nur einmal eingesetzt, als es galt, am straßenseitigen Erdgeschossfertigteil die Hausnummer „601“ einzulassen. Im Bereich des Erdgeschosses sind die Fertigteile um 45 cm höher, um noch ein entsprechendes Sockelband unter das Fassadenmodul zu schieben. Aber auch hier war die Schalung für das 3,97 x 5,56 m große Sichtbetonfassadenelement weiterhin dieselbe. Nur die dahinterliegende Unterkonstruktion wurde um diesen Betrag verlängert.
Die Produktion der Sandwichbetonbauteile erfolgte durch den im niederländischen Veenendaal ansässigen Hersteller Bruil. Zuerst stellte das Unternehmen die aus räumlichen Dreiecken bestehende Außenschale her. Diese betonierte die Firma – wie bereits erwähnt – mit nur einer einzigen Schalung, die sie insgesamt 25 Mal benutzte. Nach deren Erstarren wurde auf die Außenschale eine 18 cm starke Dämmung aus expandiertem Polystyrol (EPS) aufgebracht, auf die dann schließlich die statisch tragende und 20 cm starke Innenwand folgte. Die Stärke der Außenschale differiert in Abhängigkeit von den sichtbaren Fassadengraten zwischen 20 cm und 30 cm. Die Schale wurde mit 8 % Schwarzpigment dunkel gefärbt, was der Hersteller Bruil als das mögliche Maximum an Pigmenten angab. Um möglichst scharfkantige Grate zu erhalten, wurden keinerlei Rundprofile verwendet und stattdessen ein härterer C50/60-Beton eingesetzt. So sind zwar einerseits die Kanten präzise, infolge der weiten Winkelstellungen der Teiloberflächen zueinander drohen aber keine Abbrechungen.
Nachhaltigkeit
Das Gebäude ist mit einer Grundfläche von 102 m² und einer Bruttogeschossfläche von knapp 500 m² ein eher kompakter Bau. Beheizt und auch im Sommer gekühlt wird es über Erdwärmesonden, die sich unterhalb des gemeinsamen Innenhofes befinden. In den Niederlanden ist vorgeschrieben, dass Neubauten autark zu klimatisieren sind. Der Bau neuer Gasleitungen zu Endverbrauchern ist verboten. Grundsätzlich möglich wäre noch ein Anschluss an Fernwärmeleitungen, aber diese Option gab es in diesem Baufeld nicht.
So hatten die Architekten vom Bureau Fraai zusätzlich auf dem Flachdach hinter der niedrigen Attika noch horizontal angeordnete Photovoltaikelemente vorgesehen. Diese wurden jedoch infolge der starken Verschattung durch die Nachbarbebauung nicht realisiert. Ohnehin hat der Bauherr, dem ja auch diese „Schattenspender“ gehören, auf den höhergelegenen Flachdächern groß-zügige Photovoltaikflächen eingerichtet. Sie sollten für alle Objekte zusammen ausreichen.
Robert Mehl, Aachen
http://www.bft-international.com