Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Güterstraße 30
Typ:
Wohnhochhaus
Ort:
Pforzheim [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Freivogel Architekten 🔗, Ludwigsburg
Materialien:
Altbausanierung, Betonfertigteile
Publiziert:
DBZ 01/2016-1
Seiten:
20 - 25
Inhalt:
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Hochhaussanierung in Pforzheim

Urbane Nachhaltigkeit

In Pforzheim wurde ein 45 Jahre altes Wohnhochhaus nicht nur zum Nullenergiehaus, sondern zu einem nachhaltig umgesetzten Effizienzhaus Plus generalsaniert. Anlass war 2011 ein bundesweites Bewerbungsverfahren der Deutschen Energie Agentur (dena) für den Ideenwettbewerb „Zukunft Haus – auf dem Weg zum Effizienzhaus Plus“ zur Erlangung entsprechender Fördergelder. Tatsächlich ist die Umsetzung des Konzeptes so schlüssig, dass das Projekt im November den Preis „Nachhaltiges Bauen“ der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) erhalten hat.
„Beamtenhochsitz“ nannte man lange Zeit den achtgeschossigen Bau unmittelbar am Pforzheimer Hauptbahnhof. Errichtet im Jahr 1970 von der Deutschen Bahn als Wohnhochhaus für höhere Bahnbeamte wies es 16 komfortable Betriebswohnungen mit jeweils 80 – 90 m² Wohnfläche auf. Im Zuge der Privatisierung trennt sich seit einiger Zeit der Transportkonzern von Immobilien und verkaufte 2009 den Bau zusammen mit zwei zwischenzeitlich abgerissenen, einst dahinter angeordneten Mietshäusern an die Pforzheimer Bau und Grund GmbH. Tatsächlich war bis zu diesem Zeitpunkt seit über 40 Jahren nichts an dem Objekt geschehen. Das Gebäude war von seinen Dämmwerten unzureichend, zudem wurden die Wohnungen kostenintensiv über elektrische Nachtspeicheröfen beheizt.
Das Büro Freivogel wurde um ein Gutachten gebeten, wie mit dem Gebäude generell zu verfahren sei. Zu klären war, ob es nur renoviert, saniert, gar generalsaniert werden müsste, oder ob man es nicht besser abreißt. Die Architekten attestierten, dass der Bau grundsätzlich noch intakt sei und zudem, bedingt durch die ehemals privilegierten Wohnungen, deren Grundrisse sehr zeitgemäß sind. Gleichzeitig erfolgte die Auslobung der dena- Nachhaltigkeitsinitiative, was die Planer letztlich zu einem „Wenn, dann aber richtig!“ veranlasste. Deshalb haben sie die Generalsanierung so nachhaltig und effektiv wie sinnvoll konzipiert, um so die in Aussicht gestellten Fördergelder und kostengünstigen Kredite zu erhalten.
Nachhaltigkeit – mehr als Haustechnik
Nachhaltiges Bauen ist für Jochen Freivogel mehr als entsprechende Haustechnik und optimales Dämmen, sein Büro legt auch Wert auf urbane Nachhaltigkeit und auf die städtebauliche Verträglichkeit eines Objektes. Daher schied ein Konzept mit sichtbaren Photovoltaikelementen von vornherein aus, Freivogel wollte keinen „PV- Techno- Bunker“ im Stile zahlloser Vorortsiedlungen. Folglich analysierten die Architekten zunächst den Ort und registrierten, dass direkt nebenan die bedeutendste Fußwegverbindung zwischen dem Pforzheimer Zentrum und der einwohnerstarken Nordstadt liegt: der großzügig dimensionierte Bahnhofstunnel, den sie mit einem entsprechenden urbanen Bindeglied markieren wollten. Dem urbanen Gedanken ist auch der Dachabschluss in Form eines freiliegenden Architravs geschuldet, welcher die Bauhöhe zusätzlich betont und zudem die vier Zeilen um 25° geneigte PV- Elemente mit 30 kW Leistung auf dem Flachdach verdeckt. Augenfällig ist allein die Kleinwindkraftanlage, die formal den nachhaltigen Bauwerkscharakter betont, mit 5 kW allerdings nur wenig Energie liefert.
Thermische Energiegewinnung
Schon ganz zu Anfang der Planung erhielt das Stuttgarter Klimaingenieurbüro Transsolar den Auftrag, ein energetisches Konzept für die Hochhaussanierung zu entwickeln. Schnell stand fest, die Sonnenergie überwiegend thermisch zu nutzen und die gewonnene Wärme in einem unterirdischen Tank zu speichern. Die erforderliche Wärmepumpe sollte über die erwähnten, dachständigen Energiequellen gespeist werden. Parallel dazu sollte der Baukörper zusätzlich mit einer hocheffizienten Wärmedämmung versehen werden. Von vornherein favorisiert war ein Rückbau der bestehenden Balkone und deren Ersatz durch ein „Regal aus Betonfertigteilen“, mit dem man zudem die Gebäudehülle optisch glätten wollte. Rechts von den Balkonflächen befindet sich ursprünglich ein Gebäudevorsprung, auf dessen geschlossener Kopffläche die thermisch aktivierten Flächen aufgebracht wurden.
Zunächst wollte man mit einem offenen Kapillarrohrsystem arbeiten, das rückwärtig auf Faserzementpaneelen saß. Dabei sollten die Leichtbetonplatten die gleiche Färbung erhalten wie die Loggien in Betonfertigteilbauweise. Das mit der konstruktiven Umsetzung beauftragte Berliner Unternehmen Clina Bionic Systems regte an, nicht mit Faserzementelementen zu arbeiten, sondern die Schlauchmäander in dünne Betonfertigteile zu integrieren, da so am sichersten eine homogene Fassadenfärbung zu erzielen sei. Problematisch hierbei war jedoch das Abhängen von selbst dünnen Fertigteilelementen von der vorhandenen Rohbauwand, da diese aus ausbetonierten Hohlwandsteinen besteht. Der mit der Produktion der Balkonloggien beauftragte Fertigteilhersteller initiierte die schließlich realisierte Lösung eines „Stapelns“ dieser Elemente. Tatsächlich war diese Bauweise zum Zeitpunkt der Genehmigungsplanung in dieser Höhe deutschlandweit noch nie realisiert worden. Das Unternehmen konnte aber einen soeben realisierten Referenzbau in Österreich vorweisen, was eine „Genehmigung im Einzelfall“ stark begünstigt hat.
Deckenheizung mit mechanischer Zuluft
Das Niedrigenergiehaus arbeitet mit geringen Vor- und Rücklauftemperaturen, was Flächenheizkörper erfordert, die unter die Decke montiert wurden. Infolge der hohen Gebäudedichtigkeit und einem oft unzureichenden Lüftungsverhalten, sah man zudem eine mechanische Belüftung vor. Hierzu installierte man entsprechende Klappen neben den Fenstern der Nebenräume an der Nord- bzw. Westseite. Dahinter sitzt jeweils ein größeres Kombigerät, es enthält die erforderlichen Ventilatoren, einen Wärmetauscher zur Zulufttemperierung mittels Abwärmenutzung sowie die Steuerungseinheit. Unterhalb der Decke verläuft ein Lüftungskanal, der sich im Flur auf die Zimmer verzweigt. Um dies zu kaschieren, wurde hier die Decke nachträglich abgehängt. Oberhalb der Türstürze wird die Zuluft über neue Auslässe in alle Räume eingeblasen. Da die Luftwechselrate sehr gering ist, verzichtete man in den Wohn- und Schlafräumen auf eine Zwangsentlüftung. Hier entweicht die Luft über die Türspalte, in Küche und Bad wird sie hingegen über einen zweiten Strang abgesaugt.
Besser als erwartet
Mitentscheidend für die Zuerkennung des DGNB- Preises war die Fassadenintegration der Solarthermie- Absorberelemente, die nicht optisch in Erscheinung treten. Deren Kapillarrohrdurchmesser beträgt nur 4,3 mm, womit ganze 0,3 l/m² Flüssigkeit sich auf die zu erwärmende Fläche verteilen. Das Rohrgefache in den nur 10 cm starken Betonfertigteilen hat eine mittige Lage, was die Materialträgheit ausnutzt. Morgens bringt dies zwar eine längere „Aufwärmzeit“ mit sich, abends wird jedoch die Bauteilrestwärme effektiver genutzt.
Die dena- Richtlinien für das Effizienzhaus Plus fordern ein Fernmonitoring der Haustechnik über eine Online- Verbindung. Für das erste Betriebsjahr liegen derzeit noch keine abschließenden Daten vor, der positive Einspartrend übertrifft jedoch alle Erwartungen. Relevant für das Preisgericht war auch der städtebauliche Diskurs, der mit diesem diskreten Absorberdetail angestoßen wird: Bebauungspläne definieren detailliert Bauhöhen und Fluchtlinien, machen aber kaum Angaben zu PV- Anlagen. Aber auch der Grad einer Photovoltaisierung erscheint zunehmend regelungsbedürftig!
Robert Mehl, Aachen
http://www.dbz.de