Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Typ:
Werkstatt für Kunstdruck
Ort:
Kasterlee [Satellit]
Staat:
Belgien
Architekt:
LIST 🔗, Hideyuki Nakayama 🔗
Materialien:
Massivholzunterkonstruktion
Publiziert:
structure 17.04.2019
Seiten:
online
Inhalt:
[Artikel]      
 

Frans Masereel Centrum, Kasterlee/B

Reziproker Rahmen

Das seit 1972 bestehende Frans Masereel Centrum, eine graphischen Künstlern offenstehende Druckwerkstatt ist erweitert worden. Der kegelförmige Neubau besteht aus einer nexoraden, sich schalenartig-selbstaussteifenden Dachstruktur.
Das Frans Masereel Centrum ist dem gleichnamigen, für seine Holzschnitte bekannten Künstler (1876 - 1972) gewidmet und steht druckgraphisch orientierten Kunststipendiaten offen. Das im Masereel's Todesjahr noch eröffnete Zentrum besitzt einen eiförmigen Kernbau, der in tortenstückartige Segmente aufgeteilt ist, worin verschiedenartige Kunstdruckmaschinen bereitstehen. Um diesen herum gruppiert sich eine kleine Siedlung zeltartiger Kleinwohnhäuser, die alle acht Wochen von ausgewählten Künstler neu bezogen werden. Dieses Ensemble ist nunmehr nach Süden hin um einen kegelförmigen Neubau erweitert worden.
Charakteristisch für diesen ist ein ausgesprochen flachkegeliges Dach, dessen geometrische Grundstruktur scherenschnittartige Aussparungen aufweist und der von oben deshalb ansatzweise wie ein fünfzackiger Stern erscheint. Bemerkenswert ist dabei dessen hochvariable Grundrissanlage: Die Aussparungen und Raumgrundrisse unterhalb des Kegeldachs folgen allein den aktuellen Nutzerbedürfnissen und keinen statischen Erfordernissen. Es gibt keine zwingend erforderlichen radialen oder tangentialen Trenn- oder Außenwände. Sollten bei künftige Nutzungen ein entsprechender Wunsch aufkommen, können bestehende Wände umgesetzt und sogar fehlende Keilsegmente im Dach ergänzt werden.
Ersonnen wurde die flexible Kegelarchitektur von dem Pariser Büro List in Kooperation mit Hideyuki Nakayama aus Tokyo im Rahmen eines internationalen Architekturwettbewerbes, den diese 2013 gewannen. Die Paris- Brüsseler Niederlassung von Bollinger + Grohmann arbeitete diesen Entwurf auf Basis einer ganzheitlichen Idee aus: Es sollte mit möglichst kleinen Bauteilen operiert werden. So hätten diese allein mit reiner Menschenkraft, vorzugsweise von nur einem allein, getragen, bewegt und auch montiert werden können. Schlussendlich kam aber doch ein Baukran zum Einsatz.
4-nexorade Struktur
Der nominelle, infolge zahlreicher Flächenaussparungen nur an wenigen Punkten nachzumessende Gesamtdurchmesser des Dachtragwerks beträgt 29,6 m. Es basiert aus einer redundanten, entfernt rautenförmigen Grundstruktur, die die Tragwerksplaner als einen reziproken Rahmen bezeichnen. Reziprok, weil immer ein aufrechtes Grundelement auf ein gleichartiges, "auf-dem- Kopf-stehendes" trifft. Dadurch wird ein regelmäßiges Muster erschaffen, das subtil an einen Weidenkorb erinnert. Ein Modul besteht aus vier massiven Kanthölzern mit einem Querschnitt von 80 x 230 mm, deren Länge zwischen 2,50 m und 4,15 m variiert. Es wurden hierfür grundsätzlich keine Leimholzbinder verwendet, da es galt, eine natürliche Konstruktion zu schaffen, die sich an der Fachwerkbautradition Flanderns orientiert. Auch wurde die kleinteilige Dimensionen gewählt, damit alle Bauteile allein mit Menschenkraft bewegbar waren.
Die erwähnten Kanthölzer des Moduls formen besagte Raute, stoßen mit ihren Stirnseiten in einem zum Kegelrand hin zunehmend spitzer werdenden Winkel aneinander und treffen mit ihren äußeren Ende in einem ebenso spitzen Winkel auf die Kantholzflanken der benachbarten Rauten. An diese werden sie kraftschlüssig angeschlossen. Die Verbindungen erfolgen über Holzzapfen, bzw. über stirnseitig eingeschraubte Schrauben, jedoch nie über sichtbare Stahllaschen.
In der Untersicht ergibt dies zu ein dynamisches Kantholznetz, dessen Rauten sich von der Kegelspitze zu den Rändern hin von hinreichend senkrecht zu extrem flach verändern. Über die sphärische Krümmung der Dachfläche wird eine nexorade, schalenartige, sich selbst aussteifende Struktur erreicht, die ohne Haupt- und Nebenträger auskommt. Freilich waren für den Bau zahlreiche Hilfsstützen erforderlich, das Dach war jedoch nach Erstellung aller Holzverbindungen schon in Teilbereichen voll tragfähig. Gut nachvollziehbar ist diese so simple, wie effiziente Grundstruktur in den Luftaufnahmen des Rohbaus.
Robert Mehl, Aachen
https://www.structure-magazin.de/artikel/reziproker-rahmen-frans-masereel-centrum-in-kasterlee-34022