Projektart:
Anfrage:
Objekt:
ForMed
Typ:
Laborgebäude
Ort:
Gießen [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Carpus + Partner 🔗, Aachen
Materialien:
Publiziert:
opus C 3/2018
Seiten:
48 - 53
Inhalt:
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ForMed- Laborgebäude, Gießen

Trennend - und doch vereinend

In Gießen wurde ein gemeinsames Laborgebäude für 13 Forschungseinheiten im S2-Sicherheitsstandard realisiert. Formal thematisiert der Bau das Spannungsverhältnis zwischen "intimer Laborsicherheit" und "kommunikativer Öffentlichkeit". Die Hauptrolle spielt dabei eine dreigeschossige Sichtbetonwand.
"Wir bauen Gebäude, die helfen sollen, unser Wissen zu vermehren für eine hoffnungsvolle Zukunft!", so der Architekt Alexander Koches, Prokurist der Aachener Carpus + Planer AG und Leiter von deren Frankfurter Niederlassung. "Natürlich kann das Gebäude dies an sich nicht, aber die formale Intelligenz desselben kann dies unterstützen. Und Wissen kann nur vermehrt werden, wenn Menschen zusammenkommen und sich austauschen", fährt er fort. Er ergänzt, dass selten jemand - wie einst Archimede - "Heureka - Ich habe es gefunden!" ausruft und dann die Welt an seinem Wissen teilhaben lässt. Wissensvermehrung findet nach dem Credo von Carpus + Partner durch Antizipation statt: Zwei Personen berichten von ihren jeweiligen Erkenntnissen, die thematisch möglicherweise ganz unterschiedlich gelagert sind; eine dritte Person hat dann die Idee, beides auf eine bestimmte Weise miteinander zu verbinden.
Dies erfordert eine bauliche Entsprechung, bei der den öffentlichen und kommunikativ zu nutzenden Bereichen eine gleichwertige und nicht nur dienende Funktion zuerkannt wird. Gleichzeitig sind aber auch die Labore gemäß den allgemeinen Gefahrenstandards der Wissenschaft zu sichern und andererseits ist eine höchstmögliche Flexibilität sicherzustellen. Denn "kein Mensch weiß, was für ein Gas in fünf Jahren so ein biomedizinisches Labor dann noch zusätzlich braucht", so Kochs in einem pragmatischen Kommentar. Der realisierte S2-Standard ist eine mittlere Sicherheitsstufe, quasi der derzeitige Laborregelfall.
Carpus + Partner wurde mit dem Bau des ForMed- Gebäudes im Rahmen eines VOF- Auswahlverfahrens beauftragt, bei dem auch "Gestaltungsideen mit zu entwickeln und einzubringen" waren. Das Büro ermittelte zunächst, in welcher prozentualen Verteilung sich die Wissenschaftler in ihren Laboren und in ihren Büros aufhielten und wie oft sie durchschnittlich pro Tag zwischen den Räumen pendelten. Es stellte sich heraus, dass eine im Laborbau übliche unmittelbare räumliche Nähe dazwischen nicht zwingend erforderlich ist und der Weg zwischen den Räumen auf jeden Fall der präferierte Ort für Kommunikation und Interaktion ist. Insofern bot sich ein Konzept mit verhältnismäßig kurzen Wegen an, die jedoch alle über einen "Markplatz" führen und dort Begegnungen ermöglichen.
So entstand das dreigeschossige, offene Foyer, das in den beiden Obergeschossen von Laubengängen umrahmt ist, an denen sich die Büros befinden. Dominiert wird das Volumen von einer skulpturalen Treppe; die weitgehend fensterlose, zentrale Halle wird auf natürliche Weise über ein nach Norden orientiertes Shed- Dach hell belichtet.
Befensterte Betonwand
An den halböffentlichen Büroteil, in dem man sich frei bewegen kann, schließt sich ein über Chiptüren gesicherter Laborflügel an. Formal wie auch funktional werden der halböffentliche und der Laborbereich über eine gebäudehohe, 25 cm starke Trennwand aus einschaligem Sichtbeton getrennt; sie schließt das große Eingangsfoyer nach Norden ab. Deren Ortbeton ist ohne besondere Anforderung erstellt; die Oberfläche ist auch nicht bearbeitet oder hydrophobiert. Allerdings legten die Architekten detaillierte Schalungspläne an, in denen sie die Positionen der Tafelstöße und auch die der Ankerlöcher festlegten.
Die Betonwand besitzt im Foyerbereich geschosshohe, schießschartenartige Fenster, deren Sichtbetonlaibungen ebenfalls toleranzarm auszuführen waren. Diese Festverglasungen sind zu zwei vertikalen Achsen zusammengefasst. Sie belichten die "Dunkelräume" - Prüflabore, in denen Maschinen monotone Funktionen ausführen. Da sich hier niemand über längere Zeit aufhält, können diese Räume ohne Tageslicht auskommen und werden gerne in der Gebäudemitte nahe den Kernen angeordnet. Die internen Fenster waren letztlich nicht erforderlich, entsprangen nur dem Architektenwunsch nach einer grundsätzlichen Transparenz.
Im Raster bleiben
Das gesamte Gebäude, alle Innenräume, insbesondere die Labore fußen auf einem 1,25 m- Raster, welches nach Auffassung der Generalplaner von Carpus + Partner AG das effektivste sei. Interessanterweise kennt der Autor diese mit Verve vorgetragene Einschätzung auch von anderen Laborplanern, die allerdings auf die gleiche Weise ein 1,35 m- Raster preisen. Darauf angesprochen, relativiert Alexander Kochs die absolute Aussage und räumt ein, dass es neben dem 1,25 m- und 1,35 m- Raster noch ein 1,15 m- Raster gibt, das ohne große Gerätschaften gut funktioniert. Das 1,25 m- Raster hätte seiner Ansicht nach den kostengünstigsten Flächennutzungseffekt.
Neben der rationalen Rasterung der Arbeitsbereiche war auch eine effektive Bündelung und Organisation der Haustechnik und der dazugehörigen Leitungsstränge essentiell. Vor dem Hintergrund einer höchstmöglichen Flexibilität teilten die Planer den ganzen Bau in drei große Brandabschnitte auf: zwei für die Labore, einen weiteren für den halböffentlichen Bürobereich. Den beiden Laborbrandabschnitten ist jeweils ein Gebäudekern zugeordnet, der über einen großen Versorgungsschacht hauptsächlich für die Lüftungstechnik verfügt. Darüber hinaus besitzen alle Labore zusätzliche kleinere Schächte, durch die Medien wie Strom, Gas, Wasser und digitale Daten geführt werden. Dies erlaubt auch größere Laborumbauten, ohne die Brandschutzabschnitte neu zu organisieren und dafür die Genehmigungsbehörden einzuschalten.
Vorgespannte Treppe
Betritt man den äußerlich kompakt gehaltenen Bau über seinen Haupteingang, ist man überrascht von dem erwähnten weitläufigen Foyer mit seiner stützenfreien Treppe. Gehalten wird diese allein über ihre beiden Obergeschossanschlüsse. Während der Beton keine besonderen Auflagen besitzt, war jedoch eine umfangreiche Bewehrung erforderlich. Neben dem umfangreichen Einbringen von Bewehrungsstählen wurden innerhalb der Geschossdecken vorgespannte Stahltraversen montiert, die die Treppenansätze mit dem knapp 4,50 m entfernten Aufzugskern verbinden. Die Stahlträger wurden ohne Spannung montiert und die monolithischen Betontreppenläufe daran angehängt. So kam die Konstruktion unter Spannung, die Traversen senkten sich wie geplant auf die Deckenebene ab und wurden schlussendlich so einbetoniert. Um die ganze Konstruktion möglichst leicht und elegant erscheinen zu lassen, wurden anschließend die Brüstungen und die Decke so glatt und eben wie möglich abgespachtelt.
Vorgehängte Fertigteile
Das Laborgebäude steht an einer verhältnismäßig stark ansteigenden Straße, wodurch es möglich war, neben dem Haupteingang auch einen ebenerdigen Zugang zum Untergeschoss zu schaffen, das als Technikzentrale dient. Formal ausgeführt als dunkler Betonsockel trägt es die mit einer Glasfassade geschlossenen drei Geschosse darüber. Die Wandscheiben des Untergeschosses bestehen aus einer Ortbetonkonstruktion, die mit Mineralwolle äußerlich gedämmt wurde und dann eine Verblendung aus 12 cm starken Betonfertigteilen erhielt. Sie hängen reversibel an Metallschienen. Die im Betonfertigteilwerk der Faber + Schnepp Hoch- u.Tiefbau GmbH erstellten schwarz durchgefärbten Elemente wurden unmittelbar nach ihrem Ausschalen gesandstrahlt und hydrophiert. So erhielten sie ihre sandige Natursteinanmutung und weisen einen guten Oberflächenschutz auf.
Außen Eis, innen heiß
Charakteristisch für den Bau ist seine als Pfosten- Riegelkonstruktion ausgeführte Glasfassade oberhalb des halb eingegrabenen Betonsockels. Sie besteht aus in vier verschiedenen Farben gehaltenen opaken Glasflächen sowie dazu konstruktiv baugleichen, klaren Fensterflächen. Auch hier wird erneut das changierende Spiel zwischen Geschlossenheit und Einblick geben geschaffen. An wolkenverhangenen Tagen mit fahlem Licht erinnert der Bau hier an einen schmelzenden Eiswürfel, der auf einem schwarzen Teller ruht: Manche Stellen (die Fenster) sind ansatzweise transparent, andere nahezu blind; die Farben schillern nur leicht unterschiedlich. So wohnt dem Bau eine vage Ahnung inne, die neugierig macht.
Robert Mehl, Aachen