Projektart:
Anfrage:
Objekt:
Agfa-Hochhaus
Typ:
Hochhaus
Ort:
München [Satellit]
Staat:
Deutschland
Architekt:
Hild und K 🔗, München
Materialien:
Betonfertigteile, Glas
Publiziert:
Beton Bauteile 2012-1
Seiten:
8 - 15
Inhalt:
[Artikel]  [2]      
 

Agfa- Hochhaus in München

Die liegende Landmarke

2008 wurde in München im Zuge der Umgestaltung des ehemaligen Konzerngeländes das alte Agfa- Hochhaus infolge seiner Unwirtschaftlichkeit gesprengt. Da der Bau jedoch von der Stadtplanung als Landmarke eingestuft wurde, konnte er nur durch ein Bauwerk mit vergleichbaren Dimensionen ersetzt werden. Dieses „neue“ Agfa- Hochhaus ist Ende 2010 fertig gestellt worden und wird derzeit bezogen.
Der 15-geschossige Bau ist kein freistehendes Hochhaus im klassischen Sinne. Vielmehr ragt dieser Turm aus einer einheitlich ausgeführten und über 200 m langen Blockrandbebauung hervor, die auf Höhe des ehemaligen Agfa- Werkes die Tegernseer Landstraße flankiert. Und eigentlich meinen alle Projektbeteiligten diese gesamte konkav geschwungene Blockrandzeile, wenn sie vom Hochhaus sprechen - genauer und oft gesagt: vom liegenden Hochhaus. Tatsächlich hätte der Investor auch nichts dagegen gehabt, ein höheres Gebäude zu errichten. Allerdings war er fest an die städtebaulich vorgegebenen Traufhöhen gebunden. Dieses war die Nische, welche die Architekten Hild und K für ihre Kreativität zu nutzen wussten und womit sie ihren Bauherren, die Gecon Immobilien GmbH, überzeugen konnten. Denn die Planer waren ursprünglich nur hinzugezogen worden, um eine attraktive Fassade für das Objekt zu entwickeln.
Der Entwurf
Von vornherein waren die Architekten der Auffassung, dass sie Rücksicht auf die dort angetroffene, sehr spezielle infrastrukturelle Lage nehmen müssten. Die schon erwähnte Tegernseer Landstraße ist eine wichtige Ausfallstraße Münchens nach Südwesten und an dieser Stelle zu einer vierspurigen Schnellstraße ausgebaut. Entsprechend setzten sich die Planer mit der Frage auseinander, wie man Aufmerksamkeit an einem Gebäude in einem zügig fahrenden Auto schaffen kann. Die Antwort fanden sie in dem Konzept eines „liegenden Hochhauses“. Tatsächlich suggeriert die realisierte Fassade nun einen optischen Knick. Die helle Metalloberfläche des Hochhauselementes wird oberhalb des zweigeschossigen Gebäudesockels um 90° in die Horizontale gelegt und kragt zudem am stadteinwärtigen Ende etwa um die Breite des Bürgersteiges vor. Dabei stimmt die Höhe dieses über 100 m langen Riegelaufsatzes etwa mit der Breite der der Ausfallstraße zugewandten Hochhausfront überein. Um diesen Ansatz auch optisch umzusetzen, wählten die Architekten einen augenfälligen Kontrast zwischen den betreffenden Bauteilen. Während der Hochhausbereich mit weiß pulverbeschichteten Aluminiumpaneelen verkleidet wurde, wurde der Sockel wie auch der Kopfbau, der formal ebenso nicht zu diesem Vertikalelement gehören sollte, mittels braun durchgefärbten Betonfertigteilelementen realisiert. Dabei wurde bewusst mit dem braunen Ton der Sichtbetonoberflächen eine emotionale Nähe zur architektonischen Wirkung von Naturstein gesucht. Auch für die Entwicklung der Fassadenform war den Architekten deren bewusste Wahrnehmung aus einer Bewegung heraus die Kernfrage des Entwurfs. Sie kamen zu der Überzeugung, dass ein dreidimensionales Flechtwerk, welches in horizontaler Richtung gewoben ist, die größte Aufmerksamkeit erzeugt. Eine horizontale Webrichtung weist schleifende Vor- und Rücksprünge auf, denen man in Bewegung viel besser folgen kann, als harte Kanten, die in geringer Distanz aufeinander folgen. Bei der Entwicklung von Fassadendetails erwiesen sich die geflochtene Struktur und der erklärte Wunsch, dieses formale Thema in jedem Fall zu erhalten, nicht als Hemmnis, sondern als der wegweisende rote Faden. Die Architekten von Hild und K hatten selten die Wahl, wie ein Detail ihn subjektiv besser gefällt. Aufgrund der selbst bestimmten Vorgabe gab es meist nur eine Lösung. Auch erwies sich diese Planungsregel als gewichtiges und letztlich überzeugendes Argument gegenüber dem Bauherrn in strittigen Punkten.
Das Z- Modul
Sowohl der Rohbau des horizontal gekrümmten Riegels, wie auch der des daraus aufragenden Vertikalbauwerkes wurden in klassischer Pfosten/Riegel- Konstruktion errichtet. Auch erhielt das gesamte Gebäude eine zweischalig-hinterlüftete Fassade. Optisch nach außen differenziert wurde allein in der Ausführung der Vorhangfassade. Dabei wurden die Aluminiumbauteile, gleichwohl auch sie die für diesen Bau typische geflochtene Charakteristik haben, in konventioneller Weise in Horizontal- und in Vertikalelemente aufgeteilt, vorproduziert und montiert. Bei den Betonfertigteilen war jedoch die Erstellung größerer Bauteile wirtschaftlicher. Optimal wäre die Entwicklung eines Standardmoduls gewesen, das überall gepasst hätte. Erschwert wurde dieses jedoch durch die städtebaulichen Vorgaben, welche ein Folgen des eine Kurve beschreibenden Straßenverlaufes forderte und so einen konischen Verlauf der Gebäudeachsen bedingte. Ebenfalls erforderten nutzungsbedingte Grundrissvarianten auch Sonderlösungen bei der Fassade. Das Standardbauteil der Betonfertigteilfassade umrahmt jeweils ein ganzes Fenster und endet immer an der Innenleibung der angrenzenden Fensteröffnung. Jeweils eine Brüstung und ein Sturz, die immer über zwei vollständige Fensterachsen verlaufen, sind an diese beiden Vertikalelemente angegossen, jedoch zueinander um eine Achse versetzt. Das Fertigteil hat so die Form eines umgekehrten „Z“, das aber zwei vertikale Schenkel aufweist. Entsprechend wird es von allen Baubeteiligten nur Z- Modul genannt. Das Webmuster wurde auch hier geschickt genutzt, da die vordere, durchgehend sichtbare horizontale Schlaufe des Webschusses grundsätzlich nicht durch einen Bauteilstoß unterbrochen wird, sondern die unvermeidliche Fuge immer hinter der vertikalen Webkette - also hinter dem Pfosten - liegt. Produziert wurden die Betonfertigteile von dem belgischen Hersteller Decomo. Die Firma ist international bekannt geworden vor allem mit hochpräzisen all-in-one Fertigteilen. Eine davon ist die tatsächlich nur mit Backsteinen dekorierte Betonfertigteil- Fassade des Kollhoff- Hochhauses am Potsdamer Platz in Berlin. Da die hier zum Einsatz gekommenen Fertigteile allein als nichttragende Vorhangfassade zu dienen haben, bestanden keine besonderen bautechnischen Anforderungen. Von großer Bedeutung waren dagegen, da es sich um Sichtbetonelemente handelt, eine einheitliche Färbung sowie die Oberfläche. Der identische braune Farbton wurde anhand einer Durchfärbung mittels Pigmentzuschlag erreicht, die Oberfläche wurde anschließend gesäuert. Dieses mindert zum einen die an einer Ausfallstraße ohnehin sehr starke Verschmutzung, zum anderen nähert sich so auch die Oberflächenhaptik derjenigen von Naturstein an.
Fazit
Das Kompliment, dass das neue Ensemble an der Stelle des ehemaligen Agfa- Hochhauses allein schon beim Vorbeifahren auffällt, greift bei weitem zu kurz – Und genau dies wollten die Architekten der Fassade erreichen. Mit Recht formulierten sie den Vergleich, dass hier ein Hochhaus mit erhobenem Kopf liegt. Vielleicht sollte man noch ergänzend angeben worauf: nämlich auf einem formal stimmig hierzu angelegten Sockel mit integriertem Kopfbau. Man könnte auch sagen auf einem braunen Kanapee aus Betonfertigteilen.
Robert Mehl, Aachen